Es scheint, als habe sich Nicole Flattery in ihrem Debüt zur Aufgabe gemacht, die Möglichkeiten von Frauen neu auszuloten. In jeder ihrer acht Kurzgeschichten zeichnet Flattery weibliche Protagonistinnen, die nicht schön oder anmutig sind, aber dafür auf ihre Unabhängigkeit setzen.
Von Emilia Kröger
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Wir kennen sie alle: Die geschnörkelten Zeilen, die die ansonsten leere Seite vor Beginn eines Romans schmücken. Nur ein Umblättern entfernt von der Erzählung sollen sie uns einstimmen, auf das, was kommt, und wir lesen sie erhaben und gleichzeitig voller Ehrfurcht vor dem Text, der sich an das Zitat anschließen möchte. So gesehen könnte wohl vor jeder Hausarbeit ein mehr oder minder bedeutsames Zitat von irgendeinem berühmten Kopf stehen; denn seien wir mal ehrlich, nach Beenden der Lektüre ist es meist sowieso vergessen. Es stellt sich also die Frage, ob der gewünschte Effekt eher das achtungsvolle Umblättern als die wirkliche Hinleitung zum Inhalt des Romans ist. Solche Mottos hat Andreas Bernhard sogar mal anhand einiger amüsanter Beispiele für das Magazin der SZ kategorisiert. Und über die »Funktion von literarischen Mottos« ergab sich dabei vor allem, dass es der Selbstinszenierung der Autor*innen dient.
Nicole Flattery hat hingegen unlängst in ihrem Debüt Zeig ihnen, wie man Spaß hat bewiesen, wie sinnvolle literarische Mottos aussehen können. Auch sie beginnt mit einem Zitat, und auch hier folgt darauf ein ehrfurchtvolles Blättern, bei dem sich jedoch bereits Verwirrung untermischt. Im Laufe des Lesens muss immer zurück zum Motto geblättert werden, um die Funktion davon nachzuvollziehen. Denn Flattery wählt ein Zitat nicht, um sich in dessen Tradition einzureihen, sondern vielmehr, um es zu wiederlegen.
Mit diesen Worten beginnt Flattery ihr Debüt, eine Sammlung aus acht Kurzgeschichten. Alle haben eine oder mehrere weibliche Protagonistinnen, die zwar unterschiedlicher kaum sein könnten, aber eine entscheidende Gemeinsamkeit besitzen: Sie alle widersprechen stereotyper Weiblichkeit.
Provozierende Langeweile
Da ist zum Beispiel die Erzählung Süßholz, in der die Protagonistin eine sehr draufgängerische und gleichzeitig sehr besonnene 14-Jährige ist. Sie lebt auf einer Farm, und ihr Vater beschäftigt am laufenden Band neue männliche Arbeiter, nur um sie kurz danach wieder zu feuern, wenn sie »[s]ichtbare Bemühungen« oder Eitelkeit zeigten. In einen der Arbeiter, einen Australier, verliebt sich die Protagonistin, allerdings bekundet sie dies so: »Es bedarf schon einer ganz speziellen, unverdrossenen Geisteshaltung, sich in jemanden zu verknallen, der auf so hilflose und ehrliche Weise gewöhnlich ist.« Und darin besteht auch der Klischeebruch in dieser Story: Die Protagonistin ist in ihrer Denkweise so überraschend reflektiert und verfolgt gleichzeitig ein rebellisches Jugendleben, wie es für 14-jährige Töchter, die auf einer Farm aufwachsen, selten beschrieben wird. Denn in Romanen, die auf einem Hof spielen, sind junge Frauenfiguren gerne mal als liebe kleine Mädchen dargestellt, wie beispielsweise Regina in Stefanie Zweigs Nirgendwo in Afrika. Oder auch die beiden Schwestern Mathilde und Gretchen in Simon Becketts Der Hof, die beide als wunderschön und fürsorglich charakterisiert werden.
Auch das Rollenbild einer Mutter wird in einer der Erzählungen Flatterys behandelt: In Papagei ist die Protagonistin eine gelangweilte Schwiegermutter, die ihren Mann nicht so sehr liebt wie er sie. Warum sie trotzdem bei ihm bleibt, hängt wohl mit ihrem Ideal von Beziehungen zusammen, das sich in zwei ausgestopften Papageien in einer Museumsaustellung ausdrückt: »Sie wirkten als wären sie schon ewig dort, in Liebe und Befürwortung füreinander.« Bevor aus einer Affäre, in der er der Chef und sie die Assistentin war, eine Ehe wurde, sah das Leben der Protagonistin folgendermaßen aus:
Dann, nachdem sie überrascht festgestellt hatte, dass er sich in sie verliebt hatte, übernimmt sie die Rolle der Ehefrau und Mutter, doch Langeweile und Müdigkeit bleiben. In den überraschend tristen Schilderungen der Hauptfigur, die weder in der Kunst noch in der Ehe oder der Mutterschaft Befriedigung, geschweige denn Sinn, findet, liegt die Provokation dieser Story. Dass diese Geschichte so intensiv auf den*die Leser*in wirkt, liegt auch an der Selbstreferentialität, die hier zum Einsatz kommt: Flattery verwendet eine unaufgeregte und fast beiläufige Sprache, wodurch die Haltung der Figur noch spürbarer wird.
Auch alle anderen der Erzählungen beinhalten Überraschungsmomente, die von den Figuren ausgehen. Sie alle vereint ihre ablehnende, gelangweilte Haltung und gleichzeitig ihr Humor. Darüber hinaus geht es in vielen der Storys außerdem um Arbeitsverhältnisse, oder wie Flattery es in einem Interview treffend beschreibt, »the precarity of work.« Denn mit schwierigen Arbeitsverhältnissen kennt sich die Autorin gut aus, sie selbst habe sich nach Abschluss ihres Masters (Creative Writing am Trinity College in Dublin) mit Gelegenheitsjobs und Arbeitslosengeld finanziert, bevor sie 2017 mit dem Gewinn des White Review Short Story Prize auf der Bildfläche der Gegenwartsliteratur erschien und wie heute als Schriftstellerin in Galway leben konnte.
Abtreibung: Eine Liebesgeschichte
Mit Abstand die ausführlichste Story befindet sich in der Mitte der Sammlung. In Abtreibung: Eine Liebesgeschichte geht es um zwei Theaterstudentinnen: Natasha und Lucy. Beide studieren eher auf unübliche Art: Natasha weiß, bis sie Lucy trifft, nicht einmal genau, was sie eigentlich studiert, und verbringt ihre Zeit damit, Steine aufs Rechnerzentrum zu werfen – für sie das »Symbol des universitären Regimes«. Lucy hingegen ist eine sehr erfolgreiche Studentin:
Mit ihrem unüblichem Verhalten entlarven beide Protagonistinnen die Willkür des Studiums und gleichzeitig auch die Anforderungen, die an junge Studentinnen gestellt werden: sich »mithilfe einer stillen, gesitteten Persönlichkeit bis zum Mittelmaß hochzuarbeiten« und zu heiraten, um einen Mann »zu sämtlichen gesellschaftlichen Anlässen zu begleiten, auf denen du dir den ganzen Abend nur einen Brandy genehmigen wirst.« Dabei sind Lucy und Natasha einerseits selbst Provokateurinnen, indem sie sich auf dem Campus unüblich verhalten und beispielsweise mit demselben Professor eine Affäre eingehen, um von ihm beschenkt und zum Essen ausgeführt zu werden. Andererseits müssen sich beide Watte in ihre Ohren stopfen, da ihr Leben und die sie umgebende Realität des Campus regelmäßig zu Nervenzusammenbrüchen führen. Die beiden Studentinnen entwickeln eine außergewöhnliche Freundschaft und arbeiten zusammen die Aufführung eines Theaterstücks aus. Es trägt den Titel Abtreibung: Eine Liebesgeschichte; Lucy hat es geschrieben, als ihr Lebenswerk. Das Stück fasst im Endeffekt alles zusammen, was Lucy und Natasha in ihrem Leben umtreibt: der humorvolle, ironische und gleichzeitig verzweifelte, quälende Bruch mit der ›Normalität‹.
Geprägt ist diese Geschichte von dramatischen Elementen: Wir erfahren vieles im unmittelbaren Dialog, der nie beiläufig ist, sondern in essenziellen und prägnanten Wortwechseln stattfindet. Eine*n explizite*n Erzähler*in gibt sich darüber hinaus nicht zu erkennen, allerdings werden Elemente geschildert, die über die Perspektive von Lucy oder Natasha hinausgehen. Flatterys Stil ist von Unmittelbarkeit gekennzeichnet – eben so, als würde sich alles, passend zum Thema Schauspiel, vor den Leser*innen direkt auf einer Bühne abspielen: »Am ersten Tag erschien Lucy herausgeputzt, in adretter Bluse und Wolljacke. Sie sah aus wie eine, die an Ordnung glaubt. ›Zieh das aus‹, kommandierte Natasha. ›Hier ist kein Platz für Ordnung.‹« Diese Ähnlichkeit zur Dramatik ist vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass Flattery Theater und Film studiert hat. Als Einflüsse für ihren literarischen Stil nennt sie vor allem irische Dramatiker*innen. Sie weiß die Begrenztheit einer Bühne und eines guten Settings zu schätzen, sagt sie diesbezüglich.
Entlarvende Ironie
Somit reiht sich auch diese Geschichte in die Konzeption der anderen ein, indem sie über ihre Protagonistinnen und ihren unmittelbaren Erzählstil verbunden sind. Dabei gelingt es Flattery, nicht nur Figuren zu zeichnen, die einen berühren und mit denen sich vermutlich viele Frauen identifizieren können. Sie schafft es gleichzeitig, eine Gratwanderung zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit zu vollziehen, bei der Belustigung und Wut oder Trauer sehr nah beieinander liegen. So gesteht sich eine Protagonistin ein, dass sie nach ihrem abgebrochenen Studium Beziehungen führte, nur um zu »beweisen, dass sie auch ohne Abschluss noch komplex und spannend war«, wobei jede Beziehung auf die gleiche Art und Weise in die Brüche ging: »mit weitschweifenden Gesprächen und öden, vernünftigen Argumenten, als wären beide Beteiligte Politiker, die für ihr jeweiliges Glück warben.«
Nicole Flattery
Zeig ihnen, wie man Spaß hat
Hanser Berlin: Berlin 2020
256 Seiten, 20,00€
Noch eine weitere Konstante zieht sich durch Flatterys Kurzgeschichten: Ein Stil, der mit unüblichen Metaphern und Vergleichen, genauso wie durch kreative Wort- und Phrasenkreationen, beeindruckt. So »[hatte] die Regentonne […] etwas an sich, was den Wunsch Wiedergeburt« in einer Protagonistin weckt, oder die Uni bedeutet für eine andere der Frauen das Gefühl, »eine langwierige, komplizierte Wette zu verlieren, die sich noch viele Jahre hinziehen wird, und am Ende stehe ich da und habe eine Unmenge Geld verloren.« Paris ist eine Stadt »wo Unglück hip ist, wo nur gelächelt wird, wenn gar nicht anders geht«, und Dates bedeuten für die Lehrerin der letzten Story dasselbe wie Zahnarzttermine: ein »diffuse[s] Gefühl der Verpflichtung, [und das] Wissen, dass ein Mann sie begutachten und dann feststellen würde, dass irgendetwas entsetzlich im Argen lag.«
Flatterys Debüt macht so mit seinen insgesamt acht Kurzgeschichten Hoffnung auf mehr Veröffentlichungen der Autorin. Denn gekonnter ironischer Witz und Erzählungen, die die vielfältigen und absurden patriarchalen Strukturen entlarven, die es letztendlich bis in den Kopf einer jeder Frau* schaffen – davon kann es definitiv nicht genug geben!