Die Macht des Erinnerns

Das Burgenland mutet idyllisch an, doch im Dorf »Dunkelblum« wird nicht gerne gesprochen. Hier ist etwas geschehen, wovon keine:r gerne etwas wissen möchte. Eva Menasse arbeitet das Massaker von Rechwitz in ihrem aktuellen Roman auf und stellt Fragen zum Thema Erinnern.

Von Lennart Speck

Bild: Dietrich Kühne

Im Alten Rathaus stehen am 5. November zwei Plakate auf der Bühne, einmal das des Literaturherbstes und jenes des Norddeutschen Rundfunks, weil NDR-Redakteur Joachim Dicks der Autorin an diesem Abend als Moderator zur Seite gestellt ist. Die allseits bekannte Österreicherin und Schriftstellerin Eva Menasse ist in Göttingen und liest aus ihrem aktuellen und mittlerweile dritten Roman Dunkelblum vor. Dieser Roman stellt die Geschichte einer Stadt in den Mittelpunkt, die ein Verbrechen aus den Zeiten des Zweiten Weltkriegs verschweigen möchte.

Der Schauplatz des Romans wiederum ist die österreichische und im Burgenland liegende Stadt Rechnitz. Dort und in der Umgebung hat es durch die Nationalsozialisten ein Massaker an bis zu 120 Zwangsarbeiter:innen in den letzten Wochen des zweiten Weltkriegs gegeben, weil diese Befestigungsgräben bauen sollten. In Rechnitz selbst wurden jedoch keine Leichen gefunden. Das Schweigen konnte unter anderem deshalb überhaupt erst salonfähig werden, doch ist es kein sprachloses Schweigen, eher ein Verschweigen, das durch das Reden über etwas anderes entsteht.

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Eva Menasse
Dunkelblum

KiWi: Köln 2021
528 Seiten, 25,00€

Die Romanhandlung beginnt damit, dass in Dunkelblum auf einem Grundstück ein Skelett gefunden wird, nachdem ein Außenstehender auftaucht. Dies evoziert in der Stadt eine Kaskade längst verdrängter Erinnerungen an die Ermordung der Zwangsarbeiter:innen. Die Autorin wollte die Auswirkungen einer radikalen Verschwiegenheit über ein Verbrechens beleuchten und musste dafür herausfinden, was dazu geführt hat, dass überhaupt etwas verschwiegen werden konnte. Dafür hat Eva Menasse Dunkelblum entworfen, mit der Schablone der Stadt Rechnitz, um darzustellen, wie es in einer Stadt zu solchen Verdrängungen kommen kann.

Die Instanzen des Schweigens

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Literaturherbst 2021

Vom 23. Oktober bis 7. November fand der 30. Göttinger Literaturherbst statt. Als Nachklapp veröffentlicht Litlog in der Woche ab dem 8. November jeden Tag einen Bericht zu den diversen Veranstaltungen des Programms. Hier findet ihr unsere Berichterstattung im Überblick.

Die Leitfrage des Abends ist, wie der Roman aufgebaut ist und wie die Struktur in die erzählten Themen eingeflochten sind. Eine Herangehensweise, die Aufmerksamkeit, Interesse, aber auch Kontextualisierungsfähigkeiten erfordert. In der Stadt »Dunkelblum« gibt es Instanzen, die kontrollieren, in welcher Weise sich über die vergangene Zeit geäußert wird. Dazu passend »haben die Mauern Ohren«, wie es direkt zu Anfang des Buches heißt.

Diese Instanzen sind unter anderem der Reisebüroleiter und Mitglied im Stadtrat, der durch Beteiligungen im Bürgerverein lieber die »gute alte Zeit« hochhält, statt sich mit drängenden Problemen der Aktualität beschäftigen zu müssen. Dies passiert, indem mit Ausstellungen durch den Heimatverein an ein Früher erinnert wird, was weit vor dem Zweiten Weltkrieg liegt. Ein unliebsamer Teil der Vergangenheit wird durch eine Beschäftigung mit anderen Themen verdrängt. So kontrolliert die Gesellschaft mit herausgebildeten Machtstrukturen durch den Einsatz von Gewalt und Erzählungen einen bestimmten Blick auf die Vergangenheit.

Diese Strukturen der Gewalt erkennt Joachim Dicks auch an der Figur des »Horker«. Er sei jemand, der in der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit immer wieder auftauche und mit repressiven Mitteln der Gewalt agiere. Der Horker zeigt, dass sich im Kern nichts verändert hat. So mag sich eine:r die Machtänderungen Ende der 1940er Jahre und 1989 wie eine Theaterbühne vorstellen, in der sich nicht die Figuren und der Hintergrund verändern, sie aber beide neue Gewänder bekommen.

Der dazu passende erste Ausschnitt, den Menasse vorliest, bildet den Aufbau des Buches ab. Diese Stelle präsentiert die verschiedenen handelnden Akteur:innen, die Zahnräder für die Stadt »Dunkelblum« sind die wie für eine Maschine, die mit Perfektion funktioniert, wenn es darum geht, dafür zu sorgen, dass Geheimnisse unentdeckt bleiben. In Dunkelblum ist mit dem Schur eine Figur Teil des erzählten Gewebes Menasses, die ein Distinktionsmerkmal davongetragen hat, weil sie in der Vergangenheit etwas miterlebt hat, was vergessen werden sollte. So wird dargestellt, was passiert, wenn nicht mehr mitgemacht wird: Zur Zeit des Nationalsozialismus ein Täter, wollte er später alles aufdecken. Doch als Strafe, darüber sprechen zu wollen, wurde ihm sein Gesicht zerschnitten. Für alle sichtbar wird: Schweigen ist Gold. So wird gesellschaftlicher Druck durch den Wechsel von Blicken in die Vergangenheit und der warnenden Verwendung des Präsens dargestellt. Aus verschiedenen Perspektiven wird die Konsequenz abgebildet, was geschieht, wenn einer aus dem Konsens der Stadt auszuscheren droht.

 Spätes erinnern, längeres Schweigen

Im zweiten Teil des Gesprächs wird über die verschiedenen Auffassungen von Erinnerungskultur diskutiert, die in verschiedenen Ländern zirkulieren. Wo Dicks in Österreich eine verspätete Erinnerungskultur sieht, spricht Menasse davon, »dass dies eine sehr deutsche Sicht ist«. In allen umliegenden Ländern wäre es später zur Aufarbeitung gekommen als in Deutschland, was unter anderem daran liege, dass der Druck, sich mit den eigenen Taten zu beschäftigen, erst nach und nach aufbaute. Als Ausdruck der Beschäftigung damit, etwas nicht zu vergessen, sei ein Grundpfeiler des Werkes Menasses, resümiert Dicks. Die Autorin selbst glaubt, dass ihr Debüt »Vienna« ein Opferroman gewesen und dass »Dunkelblum« hingegen ein Täterroman sei.

Davon zeugt auch eine weitere vorgelesene Textstelle, die nun die Perspektive der Täter als Retter darstellt und deutlich in der Gesamtkonzeption des Romans hervorhebt, wie das Verhalten der Stadt in der Vergangenheit war. Die Dunkelblumer:innen warten auf Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR. So zeigt Menasses Roman, dass der Diskurs über das Verhalten während der Taten der Nationalsozialisten nicht abgebrochen ist und wieder zeigt sich, dass es nicht reicht, wenn über die Vergangenheit Gras wächst. Am Ende des Abends zeigt sich auch, dass das Schreiben über das Schweigen lauter ist als jede schreihalsige Bundestagsdebatte. Es geht am Ende um das »Wie« der Medien, die Wirkung von Gesprochenem im Fernsehen, wenn es über dieGrenzen der eigenen Stadt hinausstrahlt. Folgendes zeigt sich einmal wieder: Jedes Wort, ob verschluckt oder über die Lippen gebracht, hat Wirkung.

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