allerdings Chancen mit sich. Welche Einwirkung sie schon in naher Zukunft auf Printmedien haben können, zeigt auch Arkanite-Productions auf, ein junger Zusammenschluss von einem Autor und einem Visual Artist.
Von Viktoria Ong
Bild: by Blackerking via Wikipedia, CC BY-SA 3.0-Lizenz
Laut der Studie »Buchkäufer – quo vadis?« des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels aus dem Juni 2018 (eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist hier einzusehen) sind die Zahlen der Buchkäufer*innen zwischen 2013 und 2017 in allen Altersklassen rückläufig. Hierbei handelt es sich um ein Problem für den deutschen Buchmarkt, dessen Ursachen die Studie mit der lateinischen Frage »Quo vadis?«, zu Deutsch: »Wohin gehst du?«, mit einer quantitativen Darstellung zu ergründen versucht: Was funktionell ehemals das Buch war, ist heute die Serie, über die ein reger sozialer Austausch in Form von »Diskurs, Empfehlungen, Hypes« bestünde.
Der Herr der Ringe light?
Unter den Ausstellern auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse befand sich in Halle 2, zwischen Ratgebern dazu, wie man als Autor zur ›Marke‹ werde, und jungen Fantasy-Verlagen, ein Mitglied des DIVR (Deutschen Instituts für Virtual Reality): Arkanite Productions. Der Hauptinitiator dieses jungen Start-Ups, Timon Lorenz Thöne, erklärte im Interview, er wolle sich der Problematik der schwindenden Verkaufszahlen mithilfe eines Zwischenmediums mit dem Namen »Virtual Pop-Up-Book« annehmen. So ein Buch, wenn man es denn als solches bezeichnen möchte, funktioniere zusammen mit der neuesten Technologie, solle durch diese »ergänzt« werden, indem für den Leser potentiell interessante (Zusatz-)Informationen in die Augmented Reality ausgelagert und durch eingescannte QR-Codes zugänglich würden. Auch mit Virtual Reality werde experimentiert. Daraus resultiere die Vision, mit einer VR-Brille »wie ein Geist [zu sein], der durch die Welt fliegt […], sich bewegt.«
Würde diese Vision umgesetzt, so hieße das für die erzählte Welt, dass diese nicht mehr lediglich durch Worte vermittelt, sondern als unmittelbare Umwelt erlebbar würde. Das legt die Frage nahe, ob es sich bei dieser ›Illustration‹, wenn man sie zum Beispiel auf Den Herrn der Ringe anwendet, um eine Verkürzung der Landschaftsbeschreibungen handelt: ›Der Herr der Ringe light‹ sozusagen. Doch, so der Einwand des Unternehmers, dieses neue Medium böte damit die Möglichkeit, »redundante Beschreibungen auf das Notwendige [zu] verkürzen.« Aber wer entscheidet, welche Beschreibungen »redundant« sind? Und was genau ist »das Notwendige«? Das genannte Start-Up gibt an, dass man sich im Vorfeld für oder gegen technische Möglichkeiten entscheiden könne, und dass sich diese Optionen nicht auf jedes Werk beziehen ließen.
Klassisches Rotblond oder eher Mahagoni?
Die Frage, die auch nach dieser Antwort bleibt, ist, was mit der Fantasie geschieht, denn diese erscheint dann überflüssig. Es ist eine substanzielle Eigenschaft von Literatur, dass es jedem*r geneigten Leser*in möglich bleibt, sich den genauen Rot-Ton der Zwergenhaare Tolkiens selbst auszumalen. Genau dies ist der Unterschied zwischen einem klassischen literarischen Text und digitalen Medien: die dem Menschen eigene Fantasie. Tatsächlich lässt sich an dieser Stelle der Literaturwissenschaftler Günther Stocker zitieren, der bereits im Jahr 2012 feststellte:
In diesem Zitat ist das Schlüsselwort die »Multimedialität«: Die Vision des »Virtual Pop-Up-Books« könnte vor diesem Hintergrund schlicht eine zeitgemäße Reaktion auf eine ohnehin existente und unaufhaltbare Entwicklung im Medienkonsum sein. Man könnte behaupten, dass es gar dazu diene, das Medium Buch um Zusatzfunktionen zu ergänzen.
Wird aus ›Herr der Ringe light‹ vielleicht doch ›Herr der Ringe plus‹?
Auf jeden Fall beschränkt sich das »Virtual Pop-Up-Book« nicht ausschließlich auf eine Verkürzung des »Redundante[n]«. Vielmehr lasse sich, so beteuert Thöne, dieses neue Medium nach Absprachen mit dem jeweiligen Verlag vielfältig einsetzen: So könnten die Illustrationen von Mittelerde in eine 3D-Version umgewandelt werden. Das um Augmented Reality ergänzte Buch lässt sich also je nach Standpunkt als Verkürzung, oder als Erweiterung, wahrnehmen. Die Zielgruppe des »Virtual Pop-Up-Books« sind also nicht nur Menschen, die mit einer Tendenz der Vereinfachung mitgehen, sondern auch Neugierige oder Liebhaber zum Beispiel von Mittelerde.
Trotzdem behauptet Thöne, immer mehr Menschen wollten Flexibilität und »Einfachheit«, wenig Materie auf kurzem Raum. Diese durch Thöne beobachtete Entwicklung der Leser*innen-Bedürfnisse hin zu einer Verkürzung »auf das Notwendige« in der Literatur ist nach Abgleich mit der Statistik nicht haltbar: Laut der »Quo vadis?«-Studie »entwickeln [Menschen] eine tiefe Sehnsucht nach Entschleunigung, Selbstbestimmung, ›echtem‹ Genuss und Erfüllung.« Somit bleibt offen, ob Arkanite Productions den Bedürfnissen in unserer Gesellschaft gerecht wird, oder sich eher der in der »Quo vadis?«-Studie genannten eigentlichen Problematik der »immer kürzer getaktete[n] Welt« fügt.