Die 15 besten Zentrums-Lesungen

Auch wenn in diesem Jahr das früher stets beklagte mediale Sommerloch ausgeblieben ist, riss doch eine kulturelle Sommerpause Löcher in die Freizeitplanung. Spätestens diese Woche werden die Löcher gestopft, denn die neue Spielzeit hat begonnen und heute Abend geht es auch im Literarischen Zentrum wieder los. Das nehmen wir zum Anlass, um Euch das Herbstprogramm kurz vorzustellen. Zückt also die Kalender und schreibt mit!

Von Adrian Bruhns

Bild: Literarisches Zentrum

Das Literarische Zentrum startet am 16. September in sein Wintersemester, zurzeit unter stellvertretender Leitung von Madita Oeming und Jennifer Sprodowsky. Die ständige Leitung befindet sich mit zahlreichen Kindern versehen in der Elternzeit. Dabei bleibt das Zentrum seiner gewohnten Programmgestaltung jedoch treu und bietet in seinem Hauptprogramm für die Wintersaison einen Mix aus Hochkarätern und neuen Gesichtern, aus Unterhaltsamem und Politischem.

1. Den Auftakt heute Abend macht die nun schon seit einigen Jahren laufende, stets gut besuchte Reihe »neu_übersetzt« mit dem Shakespeare Übersetzer Frank Günther, der kurz vor der Vollendung seiner monumentalen Gesamtübertragung steht. Noch in diesem Jahr sollen die letzten beiden Teile seiner 39-bändigen Übersetzung erscheinen. Einblicke in das Übersetzerhandwerk erfreuen sich immer großer Beliebtheit. Theorie und Praxis sind hier untrennbar verbunden, etwa wenn sich die für Shakespeare besonders relevante Frage stellt: Wie verfahren mit Wörtern, die er sich ausgedacht hat?

2. Am Freitag darauf (23.9.) ist das Literaturfest Niedersachsen Gast im Zentrum – in diesem Jahr unter dem Motto »Leidenschaft«. Ganz im Kontrast zur intellektuellen Stimulanz der Übersetzungstheorie geht es hier also ans Herz: Unter musikalischer Begleitung lesen Schauspieler und Synchronsprecherinnen aus Ulrich Woelks Collage romantischer Szenen der Literaturgeschichte. Dabei erweitert sich die Liste der Spielorte des Zentrums um das Amavi am Güterbahnhof, wo erstmal gelesen wird. Die Veranstaltung ist als einzige der Saison jetzt bereits ausverkauft. Mhm.

3. Am 27. September steht schon früh in der Spielzeit der wohl prominenteste Gast dieser Saison auf dem Programm. Teju Cole absolviert neben Hamburg, Berlin und – huch – Tübingen eine seiner nur vier Lesungen in Deutschland in Göttingen. Hier hätte ich eher ein frühes »Ausverkauft!« oder eine Verlegung ins Alte Rathaus erwartet. Teju Cole ist der erste von vielen internationalen Gästen in dieser Saison. Cole wuchs in Nigeria auf, ist aber Amerikaner und sicherlich der berühmteste Gast dieser Saison, jedenfalls wenn man ein internationales Publikum befragen würde. Er liest auf Englisch aus seinem neuen Essay-Band »Vertraute Dinge, fremde Dinge«. Aus unerfindlichen Gründen liest außerdem der Göttinger Schauspieler Karsten Zinser auch aus der deutschen Übersetzung.

4. Gleich zwei Tage später geht es weiter mit Tilman Rammstedts vielbesprochenem Experiment, einen Fortsetzungsroman innerhalb von zwei Monaten in täglich frisch geschriebenen Portionen zu veröffentlichen. Das Experiment ist von seiner Website nun ins Hardcover umgezogen, doch die Veranstaltung in Kooperation mit dem auch für Litlog verantwortlichen Graduiertenkolleg »Literatur und Literaturvermittlung im Zeitalter der Digitalisierung« holt das Internet zurück in die Lesung, die nämlich live online gestreamt und kommentiert wird. Die Lesung ist außerdem Teil der vom 29.9. bis 1.10. stattfindenden Tagung »#Lesen. Transformationen traditioneller Rezeptionskonzepte im digitalen Zeitalter«.

5. Auch am 17. Oktober wird es wieder halb-international. Diesjähriger Gast der Frankfurter Buchmesse sind Flandern und die Niederlande. In diesem Zusammenhang ist für die einzige Zentrumsveranstaltung im Literaturherbst-Monat Oktober die niederländische Bühnenautorin Lot Vekemans mit ihrem Romandebüt »Ein Brautkleid aus Warschau« zu Gast im Zentrum. Sie trifft dabei auf ihre deutsche Kollegin Karen Köhler, die ebenfalls aus ihrem Romandebüt »Wir haben Raketen geangelt« lesen wird. Warum genau beide Autorinnen zugleich kommen, ist mir nicht ganz klar. Mal schauen, was sie selbst dazu sagen.

6. Im November erhöht sich die Taktung der Termine wieder. Los geht es am 4. November mit Carolin Emckes Rückkehr nach Göttingen. Nach ihrer legendären Poetikvorlesung im Januar spricht sie heute über ihren im Oktober erscheinenden Lang-Essay »Gegen den Hass«. Als Gesprächspartner zur Seite steht dabei auf ihren eigenen Wunsch Lyrik-Superstar Durs Grünbein. Mit dieser Lesung startet eine Reihe von gesellschaftspolitischen Veranstaltung in diesem Jahr, die sich im weitesten Sinn mit dem Themenkomplex Flucht und Migration befassen.

7./8. Auf Emckes Plädoyer für eine offene Gesellschaft folgt am 8. November die zweite amerikanische Schriftstellerin in diesem Jahr: Deborah Feldman mit dem autobiographischen Bericht über ihren Ausbruch aus einer geschlossenen Gesellschaft. In »Unorthodox« erzählt sie von ihrer Kindheit in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde. Auch hier wird leider aus der deutschen Übersetzung gelesen. Mit dieser Veranstaltung setzt das Zentrum seine Kooperation mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit fort. Themenverwandt geht es am 16. November weiter mit Jörg Armbrusters »Willkommen im gelobten Land? Deutschstämmige Juden in Israel«.

9. Am 22. November begrüßen wir Eugen Ruge im Alten Rathaus. Er wird aus seinem Roman »Follower« lesen, eine Zukunftsvision aus dem Jahr 2055 in – wie der Untertitel des Buches ankündigt – vierzehn Sätzen. Man stelle sich also auf Kommata ein. Die Hauptfigur Nio ist ein Nachkomme der aus »In Zeiten des abnehmenden Lichts« (Buchpreis 2011) bekannten Familie Schulz, deren Geschichte in einem Exkurs von 14 Milliarden Jahren im Vorbeigehen miterzählt wird.

10./11. Das internationale Programm geht am 24. November weiter mit dem französischen, in Spanien lebenden Schriftsteller Mathias Énard. Der studierte Arabist setzt sich in seinem Roman »Kompass« mit dem Orientbild im Westen auseinander. Und am 1. Dezember besucht der 2011 mit dem Literaturpreis der EU ausgezeichnete bulgarische Schriftsteller Kalin Terijski das Zentrum. (Den Preis, mit dem außer in ihrem Heimatland noch unbekannte Schriftsteller in der Union populär gemacht werden sollen, bekommen allerdings ganz im Sinne des europäischen Geistes jedes Jahr ein gutes Dutzend Autoren.) Textstellen aus seinem Roman »Wahnsinn« werden von seiner schweizer Übersetzerin Viktoria Popova gelesen.

12. In »Untenrum frei« zeigt Margarete Stokowski die hartnäckigen Machtstrukturen auf, mit denen Menschen in bestimmte Geschlechtsrollenmuster gedrängt werden. Als Feministin prangert Stokowski diesen Sexismus an, als Anarchistin geht es ihr jedoch letztlich um die Überwindung aller Machtstrukturen. Im Gespräch trifft sie am 6. Dezember auf die Amerikanistin und Medienwissenschaftlerin Madita Oeming, die sich wissenschaftlich mit intertextuellen Bezügen auf amerikanische Literaturklassiker in Pornos beschäftigt und zurzeit das Literarische Zentrum leitet.

13. Nach der Weihnachspause geht es am 12. Januar mit der langjährigen Reihe »Liederabend« weiter. Gerhardt Kaiser – Kurator der Liederabende – spricht mit dem früheren göttinger Amerikanistikprofessor Frank Kelleter über dessen kurze David Bowie Interpretation in Reclams 100-Seiten Reihe.


14. Die seit 1999 etablierte Lichtenberg-Poetikvorlesung wird in dieser Saison vom schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss gehalten, dessen neuer Roman »Hagard« für den Herbst angekündigt ist. Wie immer in zwei Teilen findet sie am 18. und 19. Januar in der Aula statt und wird in Kooperation mit dem Seminar für Deutsche Philologie ausgerichtet.

15. Als letzter Termin der Saison steht am 27. Januar die politische Lyrik auf dem Plan. Drei junge berliner LyrikerInnen sprechen mit dem ehemaligen Göttinger Germanisten und Litlog-Gründer Peer Trilcke über die politische Dimension des Gedichts.

Das sind die fünfzehn Veranstaltungen im Hauptprogramm, aber bei weitem nicht alles, was das Zentrum diese Saison anbietet. Noch zehn weitere Veranstaltungen finden im Rahmen des Formats Literatur macht Schule statt; davon auch drei zur Primetime im Zentrum selbst.

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