Der Sturm ist eine Tragikomödie, die zugleich bewegen und belustigen möchte. Shakespeares Figuren leben von ihrem Tiefgang und ihrer Ambivalenz. Die Inszenierung im ThOP versucht, den moralischen Konflikt des Protagonisten glaubwürdig zu transportieren, ohne sich dabei selbst zu ernst zu nehmen.
Von Myron Christidis
Bilder: Dirk Opitz
Es gewittert wieder im ThOP! Seit dem 10. Mai wird im Göttinger Theater im OP William Shakespeares Der Sturm aufgeführt. Die Tragikomödie aus der Feder des englischen Dramatikers wird auf das Jahr 1611 datiert und gilt als dessen letztes vollständiges Werk. Nun soll es auch das Publikum im Göttinger Uni-Theater begeistern. Wem das bekannt vorkommt, der oder die hat nicht etwa ein Déjà-vu: Der Sturm war bereits im Februar einmal angelaufen, wegen einer Pechsträhne und vielen krankheitsbedingten Ausfällen mussten aber so viele Vorstellungen ausfallen, dass es nun Ersatztermine gibt. Etwa drei Monate, einige Neubesetzungen und intensive Proben später ist es daher wieder so weit: Der Sturm zieht auf und ein ins ThOP!
Es ist ein atmosphärischer Abend im gemütlichen Göttinger Theater. Als die charakteristische Schulglocke, die den Beginn der Vorstellung einläutet, zum dritten Mal ertönt, betritt Regisseur Klaus-Ingo Pißowotzki die Bühne. Er begrüßt das Publikum und weist auf die ungewöhnliche Lage des Ensembles hin: Aufgrund der vielen Ausfälle gibt es einige Darsteller:innen, die erst kürzlich dazugestoßen sind und nur wenig Zeit zum Proben hatten. Er bittet um Verständnis für etwaige Textversprecher oder Ungenauigkeiten. Doch, das sei bereits vorweggenommen, seine Sorge soll an diesem Abend unbegründet sein. Schließlich hält er die Zuschauer:innen in der ersten Reihe an, die Banden freizuräumen – den Grund dafür würden sie in Kürze erfahren.
Info
Weitere Vorstellungen von Der Sturm gibt es am 16., 22. und 23. Mai.
Kaum hat der Regisseur die Bühne verlassen, braut sich im ThOP ein Sturm zusammen. Das Stück beginnt mit dem namensgebenden Unwetter. Offenbar ist ein Schiff mitsamt Besatzung in das Auge des Sturms geraten. Der Kapitän brüllt Befehle über das Dröhnen von Wind und Wellen, doch die Crew stolpert bloß hilflos von einer Seite zur anderen.
Immer wieder stoßen sie gegen die Banden, auf denen glücklicherweise keine Flaschen mehr stehen, die in diesem Sturm sicherlich über Bord gegangen wären. Die überzeugende Inszenierung wird unterstützt durch Licht und Geräuschkulisse und sorgt dafür, dass man zuweilen selbst ein wenig seekrank werden könnte.
Böser Magier mal anders
Als der Sturm vorüber ist, wechselt die Szene – Prospero (Martin Liebetruth) und sein Geistergehilfe Ariel (Lilian Haack) treten auf und das Publikum erfährt von einem zauberhaften Komplott: Der Geist Ariel hat auf Geheiß seines Herrn den Sturm beschworen, um anschließend die Schiffsbesatzung am Strand einer geheimnisvollen Insel zu verstreuen. Die gesamte Besatzung hat also den Schiffbruch überlebt, doch der magische Herr der Insel ist mit ihnen noch nicht fertig. Es ist nicht irgendein Schiff, das er Ariel zu kapern auftrug, sondern eines der königlichen Flotte Neapels. Auf ihm reisen sowohl der König Alonso (Jürgen Bittrich) mit Sohn Ferdinand (Matthias Hofmann) und Bruder Sebastian (Torsten Kopp) als auch Antonio (Lennart Kanitz), der Herzog von Mailand. Sie alle irren auf der Insel umher, denn Prospero hat mit ihnen ein Rechnung offen. Es plagen ihn die Geister der Vergangenheit und er sinnt auf Rache für einen lang vergangenen Verrat.
Zu Beginn der Handlung erscheint Prospero als Antagonist, bringt er doch ein Schiff zum Kentern, dessen scheinbar unschuldige Crew sich dem Tode geweiht glaubt. Auch bezeugt das Publikum seinen harschen Umgang mit dem Geist Ariel und dem Sklaven Caliban (Thomas Rühling), den er beschimpft und foltert. Doch mit der Zeit werden die Gründe für sein Handeln deutlich und man ahnt, dass er es ist, dem Unrecht getan wurde. Nach und nach wandelt sich das Bild des alten Mannes, er wird vom rachsüchtigen Magier zum liebenden Vater auf der Suche nach Gerechtigkeit, nicht Vergeltung. Liebetruth gelingt es hervorragend, diesen Wandel mit seinem Auftreten, mit Stimme und Tonfall zu tragen – er macht Prospero zum Sympathieträger.
Geistreiche Inszenierung mit Tiefgang
Eine weitere ambivalente Figur ist Prosperos Diener Caliban. Als kleiner Junge wurde er von seiner Mutter, einer bösen Hexe, auf dieser Insel zurückgelassen, doch Prospero erbarmte sich seiner und nahm ihn in sein Haus auf. Jahre später warf er dem Jungen jedoch vor, seine Tochter Miranda (Julia Klumpe) zu begehren und machte ihn als Strafe zu seinem Sklaven. Anders als der weise und kultivierte Prospero ist Caliban roh und ungebildet, selbst das Sprechen fällt ihm schwer. Er ist in allem der Gegensatz seines Meisters. Bereits in seiner ersten Szene tritt Caliban als rebellischer und ungestümer Dummkopf auf, der Prospero nur widerwillig folgt. Allerdings zeigt er auch eine andere Seite – in vielen Situationen wirkt er schlicht ungeschickt oder gutgläubig, manchmal gar arglos. Caliban lädt das Publikum trotz seiner unangenehmen Art dazu ein, mit ihm zu fühlen.
So kommt ihm auch einer der bewegendsten Monologe des Stückes zu, in dem er den Fremden auf seine einfältige Art von den Wundern der Insel erzählt. Hierbei wird deutlich, dass er ein fühlendes Wesen ist und das Mitgefühl des Publikums verdient. Grundsätzlich fällt Caliban auf durch seine besondere Sprechweise. Während die anderen Figuren sich weitestgehend an Shakespeares Verse halten, bildet er die Ausnahme – seine rohe und unkultivierte Ausdrucksart unterstreicht seine grobe Natur. Des Öfteren bricht er aus der üblichen Versform aus und bewegt sich außerhalb der dem Stück zu Grunde liegenden Norm, nutzt vulgäre, teils moderne Ausdrücke, die nicht zum Rest zu passen scheinen. Dies wirkt zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, sorgt jedoch zunehmend für Abwechslung. Wer mit Shakespeares Sprache nicht viel anzufangen weiß, wird in Caliban einen Freund finden.
Doch die Inszenierung von Shakespeares Sturm weiß auch wortlos zu kommunizieren. Eine große Hilfe sind dabei die vielen Geister der Insel, die das Publikum in beinahe jeder Szene begleiten, dabei jedoch kaum das Wort ergreifen. Sie sorgen für eine angenehme, wunderliche Atmosphäre. Die Darsteller:innen verstehen es dabei, durch kaum bemerkbare Handlungen oder Geräusche die Stimmung zu tragen und das Publikum zu erheitern, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Nur selten könnte man sich durch die Anwesenheit der Geister gestört fühlen – dann, wenn sie womöglich ungewollt etwas zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In einigen wenigen Szenen werden sie jedoch bewusst durch die Inszenierung in den Mittelpunkt gerückt. Wann immer dies geschieht, wirkt der Auftritt der Geister besonders effektvoll, da er im Kontrast zu ihrer eigentlichen Hintergrundrolle steht.
Vergeltung oder Versöhnung?
Im Fokus des Stücks stehen schließlich Prospero und sein Gewissen. Es ist ein äußerst interessanter Konflikt, der sich in dem alten Mann zuträgt. Er wurde verraten, aus seinem eigenen Land verstoßen und sinnt auf Rache. Doch immer wieder kommen ihm Zweifel, er empfindet keine Freude an der Grausamkeit. Was wird passieren, wenn Prospero mit den Dämonen seiner Vergangenheit konfrontiert wird – wird er Vergeltung üben oder nach Versöhnung streben? Wer sich diese Frage selbst beantworten möchte, kann sich dazu noch bis zum 23. Mai ins ThOP und somit mitten in das Auge des Sturms begeben.