Der Herbst des Erzählens

Paul Maar ist durch und durch Geschichtenerzähler und längst nicht nur für seine Geschichte des Sams bekannt, sondern auch durch andere Kinderbücher wie Der kleine Troll Tojok. Letzteres stellte er beim Göttinger Literaturherbst vor – und machte seiner Rolle als Erzählkünstler alle Ehre.

Von Katharina Gläßer

Titelbild: Via Pixabay, CC0, Bearbeitung: Hanna Sellheim / Zwischenbild: Katharina Gläßer

Schon als Paul Maar die Bühne des Deutschen Theaters betritt, ist dem Publikum klar, dass es eine lebhafte Veranstaltung wird. Dafür sorgen nicht nur Maars Geschichten, sondern auch seine herzliche Persönlichkeit. Der Kinderbuchautor strahlt eine großartige Sympathie und Souveränität aus und spricht sein Zielpublikum in einem vertrauten Ton an, der direkt Nähe schafft. Anstatt mit dem Lesen aus seinem Buch zu beginnen, visualisiert Paul Maar zunächst seine Hauptcharaktere: Auf einer Flipchart zeichnet er sie live für das Publikum. Auch das ist nicht untypisch für ihn, da er meist die Zeichnungen in seinen Büchern selbst gestaltet – so auch bei Tojok. Als Märchenerzähler hat er dabei die volle Aufmerksamkeit seines Publikums, dem er auf Augenhöhe begegnet. Das macht die Veranstaltung so erfrischend.

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Paul Maar
Der kleine Troll Tojok 

Oetinger: Hamburg 2019
64 Seiten, 8.00€

Beim Zeichnen der beiden Figuren Tojok und Mommo führt Maar ein Selbstgespräch im Plauderton und erzählt über den Entstehungsprozess der Geschichte. Dazu ist kein Moderator nötig, da Maar ein talentierter Erzähler ist. Bevor die Frage aus dem Publikum kommt, wie er ausgerechnet auf den Namen Tojok kam, beantwortet er diese selbst mit: »Durch Google«. Das beschert ihm nicht nur einige Lacher, sondern vor allem die Zuneigung des ohnehin schon eingenommenen Publikums. Denn genau das ist es, was ihn als großen Autor ausmacht.

Wenn er von dem Erfinden seiner eigenen Geschichten berichtet, wirkt es so, als könnte jeder in die Kunst des Geschichtenschreibens eingeweiht werden und mit ein bisschen Übung die Zuhörerinnen verzaubern. Am wichtigsten dabei ist die eigene Fantasie und der Wille einzutauchen in eine neue Welt, die zeitlich nicht genau verortbar ist, doch trotzdem an die eigene erinnert. Genauso und mit vielen Reimen, die Maar mittlerweile schon in seine Alltagssprache übernommen hat, entstanden auch die Geschichten um das Sams, die ihn berühmt machten. Auch dem Autor wurde seine Kreativität nicht in die Wiege gelegt, da er aus einer Handwerkerfamilie stammt. Doch schon sein Großvater erzählte gerne Geschichten und ermutigte ihn früh, sich eigene auszudenken. Zum Erfinden von neuen Welten kam er, weil er fand, dass es nicht genug gute Kinderbücher gäbe – der Grundstein seiner Karriere war damit gelegt.

»Und damit ich hier nicht so einsam auf der Bühne sitze, habe ich mir gedacht: nehme ich einfach zwei Freunde mit.«

Diese beiden Freunde sind Konrad Haas und Wolfgang Stute mit denen das Troll-Trio komplett ist und die ihn auch auf seiner Lesereise mit dem neuen Sams-Band Das Sams und der blaue Drache, der im Sommer erschien, begleiten. Die beiden Musiker sorgen für die rhythmische Untermalung der Lesung, die Maars atmosphärisches Schreiben zusätzlich unterstreicht. Sofort fühlt man sich versetzt in den Zauberwald der Trolle und fantastischen Wesen und ist gespannt auf die Abenteuer, die folgen.

So sind auch Maars Tojok-Bücher aufgebaut. Die für das Vorlesealter bestimmten Bände sollen das dialogische Lesen zwischen Vorleser*in und Zuhörer*in unterstützen: Immer wieder sind Aktionsfelder in die Bücher integriert, die zur Interaktion ermutigen. Zum Beispiel wird dabei aufgefordert, die Umgebung zu beschreiben oder es gibt kreative Aufgaben, die zu Wortspielen und Buchstabenlernübungen anregen. Damit verbinden die Bücher über die Abenteuer des Trolls erste Leseübungen mit einer spielerischen Art, die jede*n Erstleser*innen begeistern. Auch die Vorleser*innen haben dabei ihren Spaß, wenn es darum geht, Wörter im Text durch fremde zu ersetzen und die Zuhörer*innen raten zu lassen, was nun anders ist. Die Troll-Bücher erinnern an die eigene Kindheit und die ersten Leseerfahrungen, die die Geschichten zu einem nostalgischen Erlebnis für die ältere Generation und zu einem aufregenden, abenteuerhaften für die Jüngeren machen.

Fantastische Einfachheit der Kinderliteratur

Paul Maar zeigt nicht nur, dass er ein Meister des Erzählens und ein sehr guter Vorleser ist, wenn er die ersten beiden Bände der Tojok-Reihe liest, sondern auch, dass es keine großen Worte braucht, um Atmosphäre und Spannung aufzubauen. Dank der Musik fühlen sich die Zuhörer*innen mitgenommen auf eine musikalische Reise durch den Abenteuerwald, auf der Paul Maar mühelos seine Stimme verstellt, um in die verschiedenen Rollen seiner Charaktere zu schlüpfen. Vor allem der Titelsong Tojok Tojok kleiner Troll – Du bist so toll bleibt auch nach der Veranstaltung jedem im Ohr. Bei seiner Lesung geht es Paul Maar weniger darum, über den Schreibprozess und seine bisherige Karriere zu sprechen, sondern vielmehr, zu begeistern – im Mittelpunkt stehen dabei seine jungen Leser*innen und nicht er selbst als erfolgreicher Autor. Dadurch legt Maar auch großen Wert auf die Verständlichkeit seiner Aussagen, erklärt alles kinderfreundlich und unterstreicht damit nochmal das Ziel seiner Texte und Auftritte: Er möchte die Leben seiner kleinen Fans aufmuntern und damit ihre Kindheit ein bisschen besser machen – vor allem besser als es seine eigene war. Die Geschichten sollen Inseln für die Leser*innen sein, auf die sie sich zurückziehen können, wenn der Alltag mal wieder mit aller Schwere über sie hereinbricht. Was Maars Geschichten dabei so besonders macht, ist, dass sie lebensnah sind und an die eigene Kindheit erinnern. Sofort identifiziert man sich mit den Hauptfiguren und gerät in ihren abenteuerlichen Strudel aus Erlebnissen.

Reihe

Vom 17. Oktober bis 1. November 2020 fand der 29. Göttinger Literaturherbst statt. Litlog veröffentlicht ab jetzt jeden Werktag einen Bericht zu den diversen Veranstaltungen des Programms.
Hier findet ihr die Berichte im Überblick. Bis zum 30. November könnt ihr die Lesungen außerdem in der Mediathek des Literaturherbsts ansehen.

So werden seine Hauptfiguren wie das Sams oder der kleine Troll Tojok zu Sprachrohren, durch die der Autor versteckt spricht und vor allem zeigt, dass mit Fantasie alles möglich ist. Werte wie Freundschaft, Entdeckergeist und Offenheit für fremde und neuartige Erfahrungen sind die Themen, die in seinen Büchern immer wieder von Bedeutung sind. Auffallend ist bei Tojok der oftmals abwesende Vater, der aufgrund seiner Arbeit als Edelsteinsucher nicht zuhause ist und an Maars eigene Familienkonstellation erinnert. An Tojoks Geburtstag jedoch sind Mutter und Vater vereint und singen ihrem Sohn ein schönes Geburtstagslied. Dieser Zusammenschluss hat in Maars Leben nie stattgefunden, was er bis heute bereut. Daher sind seine Geschichten umso wichtiger, in denen er einen Teil seiner Vergangenheit verarbeitet und Raum für die fröhliche Zukunft seiner Leser*innen schafft. Auch wenn er das Leben damit vielleicht ein bisschen harmonisiert – in der Welt der fantastischen Wesen ist eben doch alles möglich. Abgerundet wird die Vorstellung mit dem Verweis auf das neue Sams-Buch Das Sams und der blaue Drache und der musikalischen Einlage des neuen Titelsongs, den das Trio spontan performt und damit die Neugier des Publikums auf die neuen Abenteuer des Sams schürt. Ganz nach dem Motto des Göttinger Literaturherbstes: »Gute Literatur muss nicht schwierig sein« macht diese Lesung das Publikum nicht nur zu Liebhaber*innen von Sams, Lippel und Tojok, sondern auch von der Person, die ihnen den Zugang zu dieser Welt ermöglicht: dem Geschichtenerzähler Paul Maar.

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