Der goldene Fahrplan

Merkels Hände selig, eine Mischung der Gesichtszüge von Donald Trump und Marilyn Monroe – die während der Spielplan-Präsentation an die Leinwand geworfenen Illustrationen zu den neuen Stücken des DT 2017/18 bilden in z.T. gesellschaftspolitisch belegten Emblemen ab, was für die kommende Spielzeit Leitmotto sein soll: »Kontinuität im traditionellen Haus, gleichzeitig Neuerungen«, so Intendant Erich Sidler. Es hagelt Uraufführungen, eine en suite-Produktion tröstet Sommerflauten-IgnorantInnen, deutschsprachige Erstaufführungen erfreuen das multi-kulturelle ZuschauerInnen-Herz. Soviel sei vorausgeschickt: Bunt wird´s.

Von Dorothee Emsel

Bild (v.l.n.r.): Matthias Heid, Sara Örtel, Sonja Bachmann, Gabriele Michel-Frei, Erich Sidler

Zunächst sei das Novum erwähnt:
Vom 19. August bis 10. September wird die Tiefgarage des DT ausgebaut für die erwähnte en suite-Produktion. Es handelt sich dabei um Orwells 1984, der Roman erfuhr einen umfangreichen Wiederverkauf nach der Trump-Wahl. Die Inszenierung unter der Regie von Antje Thoms soll in der Tiefgarage als klaustrophobischem Spielort die Vermischung von Zuschauerraum und Performance generieren – ein Aufleuchten in der Sommerpause.

Und noch ein Projekt ist ab dem 2. Juni 2018 kontinuierlich angesetzt: Als Rauminstallation ist Spring Awakening im großen Haus angesiedelt, eine rockmusikalische Anlehnung an Wedekinds Frühlings Erwachen von Steven Sater und Duncan Sheik. Niklas Ritter war bereits für die Inszenierung des Shockheaded Peter verantwortlich, nun widmet er sich abermals in Form einer musikalischen Nabelschau dem Thema des Entwachsens aus der parentalen Knechtschaft.

In der neuen Spielzeit bekommen wir zudem Besuch von einem bekannten Gast: Rebekka Kricheldorf schrieb bereits Homo Empathicus und In der Fremde für das Göttinger DT, nun präsentiert sie Fräulein Agnes als Auftragswerk und Uraufführung gleichermaßen. Molières Le Misanthrope diente dem Stück um eine Bloggerin, die die Szene der Kulturschaffenden in ihren Beiträgen schonungslos herabsetzt, als inspiratives Futter.

Dank der Spoken-Word-Künstlerin und Rapperin Kate Tempest darf man auf philosophisch-konfrontativen Kleinkrieg hoffen; mit Wasted rollt uns entgegen, was die Gefühlt-Mitte-Ende-Dreißiger mit am meisten fürchten: Aufwachen und bemerken, dass jeder Exzess seinen Tribut fordert, jeder Versuch, auszubrechen, trotzdem mit dem Gefühl von Lebenslänglich endet und wir alle am nächsten Morgen nicht mehr die HeldInnen der vergangenen Nächte sind. Die deutschsprachige Erstaufführung verdanken wir der Übersetzung von Judith Holofernes, ehemalige Frontfrau der Band Wir sind Helden.

Auch der Norden hält Einzug; mit Schatten eines Jungen vom norwegischen Autoren Arne Lygre präsentiert das DT eine weitere deutsche Erstaufführung. Lygre wurde mit dem Ibsen-Preis und dem Brage-Preis des norwegischen Verlegerverbandes ausgezeichnet und schenkt uns die mit Rückblenden und projektivem Zukunftsblick versehene Geschichte eines elternlosen Jungen, der aus dem Schatten seiner kinderlosen Erziehungsberechtigten tritt.

Dass serielle Konzepte nicht nur etwas für Video-on-Demand-Portale sind, zeigt sich an Thomas Köcks paradies fluten, prämiert mit dem Kleist-Förderpreis. Es ist der erste Teil einer Klima-Trilogie, die in poetisch-fragmentarischem Format die Auswirkungen des Klimawandels ergründen will. Fluten aus Sprache versinnbildlichen die Fluten der überschwappenden Meere.

Um dem umfangreichen Stücke-Fahrplan noch zwei weitere Highlights zu entnehmen, sei u.a. auf Elfriede Jelineks Das Licht im Kasten hingewiesen: Auch hier bleibt sich die Spielplan-Programmatik mit dem Blick auf die Bedürfnisse nach sozialpolitischem Stoff und anthroposophischem Kult treu. Die österreichische Autorin klagt mit der Betrachtung der Massenware Kleidung den Ausbeutungswillen der KonsumentInnen an; das Stück ist Hommage an Stoffe und Entblößung der hässlich-ignoranten Nacktheit darunter gleichermaßen.

Darüber hinaus blickt man gespannt auf das erste Bühnenstück des Autors Clemens J. Setz, der mit seinen Romanen Söhne und Planeten, Die Frequenzen und Die Stunde zwischen Frau und Gitarre etliche Nominierungen und Preise einheimste. Vereinte Nationen widmet sich den Fragen nach korrekten Erziehungsmethoden und der Zulässigkeit von bewusst eingesetzten Überwachungsmaßnahmen. Eine Familie dient dabei als Prototyp für eine Plattform, die sich dem Vertrieb von Erziehungsvideos verschrieben hat. Aber was macht die komplette Digitalisierung eines Familienlebens mit den Restbeständen emotionaler Authentizität?

Um nun nochmalig das Credo der neuen Spielzeit »In Alt spielt Neu« aufzugreifen und gleichzeitig den Sinn der bereits angeführten Spielzeitheft-Illustration zu beleuchten, soll passenderweise auf das von Christoph Klimke verfasste America First in Uraufführung verwiesen werden. Trumps politisches Mantra fließt zusammen mit der Biographie des hollywoodesken Sukkubus Marilyn Monroe. Klimke fragt sich, welchen biographischen Dramen sich die Diva wohl stellen müsste, würde sie noch leben. Und er setzt dies vor den Hintergrund, dass Fake-News nicht nur anlässlich der beginnenden Trump-Administration zu Höchstform aufliefen, sondern bereits den Mythos Marilyn, fleischgewordenes Symbol für ikonische Begierde und mediales Machtgefüge, schon zu Lebzeiten befeuerten. Die abstrakte Gesichts-Mimikry »Trumpilyn« als Bildbeigabe zum Stück grinst uns also nicht grundlos an. Regie führt Erich Sidler.

Das Göttinger DT zeigt darüber hinaus auch außerhäusig Flagge: Das Rechtsdruck-Festival soll in Form eines Wochenend-Events vor der Bundestagswahl stattfinden und stimulierend wirken: Der Untertan, Peak White, Mein Kampf, Zeit bezeugen — Kindheit in der NS-Zeit, Unser Dorf soll schöner werden, Die Nutznießer — ›Arisierung‹ in Göttingen sowie Meine Helden, Deine Träume werden dort aufgeführt, Stücke also, die die Thematik der opportunistischen Wendehälse, der Despotie, des Weltkriegs-Schreckens und der rechtsorientierten Parolen-Politik beinhalten.

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