Der feministische Herbst

Wer sich für feministische Themen interessiert, wurde auch beim diesjährigen Programm des Göttinger Literaturherbstes wieder fündig. Für die Erkenntnis, dass Feminismus nicht gleich Feminismus ist, braucht es nur den Besuch zweier Veranstaltungen.

Von Amelie May

Bild: Von MabelAmber via Pixabay, Pixabay Licence

Oftmals wird in medialen Debatten über den Feminismus geschrieben und gesprochen, als sei er eine homogene Idee und als ob alle Menschen, die sich als Feminist*in verstehen, sich frohlockend und ohne großen Diskussionsbedarf auf den Plan verständigen, das Patriarchat abzuschaffen. Aber allein schon junge Feminismen sind immer als Plural zu benennen, denn ihre Themen und Denkansätze unterscheiden sich mitunter massiv voneinander. Innerhalb der Veranstaltung mit dem Titel #netzfeminismen werden neben Fragen nach Effektivität und Ausdrucksformen von feministischen Online-Phänomenen auch systemische Aspekte diskutiert, wohingegen Sophie Passmann, die aus ihrem Buch liest und viele Anekdoten erzählt, mehr auf Entertainment mit feministischem Anstrich als auf kritische Analyse von gesellschaftlichen Strukturen setzt.

Wer sind die ›alten weißen Männer‹ denn nun?

Sophie Passmann sitzt alleine auf der Bühne der restlos ausverkauften Lokhalle. Neben ihr auf dem Tisch eine Packung Zigaretten. Nur die fehlende Flasche Riesling verrät, dass sie eigentlich noch kränkelt. Denn was sie in 90 Minuten abliefert, lässt gar nicht darauf schließen, dass sie nicht ganz auf der Höhe ist. Ohne Frage, sie ist eine verdammt talentierte Entertainerin, die ihr Publikum zu unterhalten weiß, die in ihrer ganzen Präsenz ausstrahlt, dass es ihr völlig egal ist, wenn sie und ihr im März 2019 erschienenes Buch Alte weiße Männer auch auf Ablehnung stoßen könnten. Doch diese Wahrscheinlichkeit ist zumindest an diesem Abend recht gering, denn das Publikum, größtenteils jung und akademisch, scheint ihr sehr wohlgesonnen zu sein und begrüßt sie schon bei ihrem Gang auf die Bühne mit tosendem Applaus.

Sophie Passmann (©Literaturherbst, Fotograf: Dietrich Kühne)

Als »feministische Terrorzelle« seien Abende mit ihr schon bezeichnet worden, erzählt sie dem Publikum eingangs; sie sei schon häufig mit Stereotypen konfrontiert worden, mit denen junge Feministinnen leider häufig assoziiert werden – natürlich mit dem obligatorisch ironischen Augenzwinkern. Beliebt seien beispielsweise Gespräche über Hitzeschutz für die Haare oder aber die ach so überraschte Feststellung, dass sie für eine Feministin ja überraschend humorvoll sei. Bis sie auf ihr Buch zu sprechen kommt, dauert es eine Weile, doch das Publikum weiß ja auch, was es erwartet. Sophie Passmann ist schließlich mit knapp 100.000 Follower*innen bei Twitter und zahlreichen Auftritten bei Jan Böhmermann eine der bekanntesten und lautesten Stimmen der jungen Feminismen im deutschsprachigen Raum und auch Alte weiße Männer wurde flächendeckend im Feuilleton besprochen.

Sie liest an diesem Abend aus mehreren der insgesamt 16 Kapitel, in denen sie sich mit verschiedenen Männern traf, um mit ihnen darüber zu reden, was denn nun diesen titelgebenden ›alten weiße Mann‹ ausmache. Sie habe keine Männer interviewen wollen, die diese Zuordnung zu einfach machten, so erklärt sie dem Publikum, da die Grauzonen viel spannender und ertragreicher seien. Nur die Kategorie Macht hätten alle Interviewpartner ausfüllen sollen. Und tatsächlich offenbart sich mit dem Blick ins Inhaltsverzeichnis die Spannweite: Sie sprach mit Kevin Kühnert und Sascha Lobo, aber auch mit Kai Diekmann, Rainer Langhans und Ulf Poschardt. So unterschiedlich die drei letztgenannten Männer auch in ihrer Biographie sein mögen, so unklar bleibt aber leider, was sie Passmanns Auffassung zufolge in punkto Privilegien zu Männern macht, die eben nicht in das einfache Raster fallen.

Schöner arbeiten mit Frauen

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Sophie Passmann
Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch

KiWi : Köln 2019
288 Seiten, 12,00 €   

Zerst liest sie aus dem Text über ihr Gespräch mit Robert Habeck. Das lief ab, wie man es sich vorstellt, wenn man sich den Duktus Habecks in Talkshows und Bundestagsdebatten vor Augen und Ohren führt. In reflektierter und akademischer Sprache liefert er eine valide Definition des ›alten weiße Mannes‹ und weiß sich selbst innerhalb dieses Spektrums zu verorten. Der Dialog zwischen ihm und Passmann ist durchaus interessant und bietet Einblicke in Habecks Gedanken und Visionen, die Fragen Passmanns sind intelligent und pointiert. Doch, so bestätigt auch die Resonanz des Publikums, der Fokus liegt hier woanders als im Erkenntnisgewinn über die Lebenswelt eines ›alten weißen Mannes‹. Sophie Passmann spickt die Nacherzählung ihrer Interviews mit ihren Gedanken und Anekdoten, die den Texten eine komödiantische Ebene hinzufügen und das Gesprochene kommentieren.

Nach diesem Schema laufen alle Kapitel ab, so auch das über ihren Besuch bei Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt-Gruppe. »Die Welt ist die Bild für Menschen mit Bücherregal«, fasst Passmann nicht nur das Medium perfekt zusammen, sondern auch die wenig überraschenden Ergebnisse ihres Gesprächs mit Poschardt. Dieser offenbarte bezüglich seiner Einstellung zu Frauen in Redaktionen:

Vorher waren wir eine zu männliche Redaktion, ich hab’ doch keinen Bock in irgendwelchen Ressortleiterrunden nur in Männervisagen zu gucken. Wie viel schöner und besser und angenehmer ist es geworden in den Konferenzen, seit wir Minimum wirklich eher so fünfzig-fünfzig-mäßige Repräsentationen haben.

Die Frauenquote sei im Endeffekt eher diskriminierend als progressiv, das weiß er mit sexistischen Äußerungen zu untermalen. In solchen Passagen des Buches wäre es wünschenswert, dass Passmann etwas kritischer kommentiert, wie es um die Grundgedanken bei solchen Äußerungen bestellt ist, so bleiben sie im luftleeren Raum schweben.

Unterhaltender Feminismus als Chance?

Dass Sophie Passmann die Aussagen der Interviewten für sich stehen lässt und im Nachhinein eben eher situationskomisch als theoretisierend und kontextualisierend kommentiert, kann natürlich auch als Stärke gewertet werden. Denn abseits von akademischen Diskursen ist es teilweise schwierig, an den immer komplexer werdenden feministischen Debatten teilzunehmen. Es ist ihr auf jeden Fall sehr zu Gute zu halten, dass sie vor allem jüngere Menschen dazu animiert, sich mit feministischen Gedanken zu beschäftigen – und das Publikum des Literaturherbstes gibt ihr in dem Punkt auf jeden Fall Recht und lässt fast darüber hinwegsehen, dass die Begriffsschärfe ihrer Auffassung von ›alten weißen Männern‹ zu wünschen übrig lässt. Trotzdem bleiben ihre Ausführungen an der Oberfläche und wollen keinen Anschluss an systemkritische und intersektionale Fragestellungen knüpfen, sie teasern höchstens solche Gebiete an, ohne sich aber mit ihnen zu beschäftigen. Eine Art Wohlfühl-Feminismus mit sehr wohl wichtigen Impulsen, bei dem jeder Mensch selbst entscheiden kann, ob er*sie tiefer in die Strukturen eindringen mag.

Dass die deutschsprachigen Feminismen vielfältig sind, wird im Zusammenspiel der Passmann-Lesung und einer Diskussion über ›Netzfeminismen‹ deutlich. Wie auch im letzten Jahr öffnet die Galerie Alte Feuerwache dem Jungen Herbst seine Türen, um über feministische Themen zu diskutieren. Dieses Mal geht es um ›#netzfeminismen‹, wobei die ›Netzfeminismen‹ als Leerstelle für diverse feministische Internetaktivismen gelesen werden können. Spätestens seit #aufschrei und #metoo dürfte in den Köpfen angekommen sein, was für eine Wirkungsmacht und Reichweite Hashtags innewohnen und wie ermächtigend sie sein können. Doch natürlich birgt der offene und medienwirksame Diskurs auch immer die Gefahr, marginalisierte Gruppen unsichtbar werden zu lassen oder Menschen – unbewusst und auch bewusst – zu denunzieren.

Über diese Tücken spricht Sibel Schick, freie Journalistin und feministische Aktivistin, mit Kultur- und Medienwissenschaftlerin Annekathrin Kohout, die mit Netzfeminismus. Strategien weiblicher Bildpolitik 2019 ein Buch vorlegte, das sich kritisch mit Chancen und Gefahren von aktuellen Onlinephänomenen auseinandersetzt. Insbesondere befasst sie sich darin mit den Codes von Bildern, die sich als dezidiert feministisch verstehen, aber oftmals mit anderen feministischen Sichtweisen kollidieren und deshalb ins Fadenkreuz unterschiedlicher Auffassungen geraten. Moderiert wird der Abend von Pornowissenschaftlerin Madita Oeming, die am selben Ort schon im letzten Jahr die Veranstaltung mit Margarete Stokowski und Louisa Lorenz moderierte.

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Annekathrin Kohout
Netzfeminismus. Strategien weiblicher Bildpolitik

Wagenbach: Berlin 2019
80 Seiten, 10,00 €

Feminismus als Privileg

Von Beginn an wird deutlich, dass der Begriff der ›Netzfeminismen‹ sehr diffus ist, eben weil er so viele Strömungen zu umfassen versucht, aber eben nur eine Bestandsaufnahme dafür sein kann, dass feministische Diskurse zusehends online und somit außerhalb einer hermetischen Blase stattfinden. Die größere Reichweite ist also auch verbunden mit einer höheren Konfliktdichte als beispielsweise in akademischen Kontexten, die häufig von homogeneren Gruppen dominiert werden. Dieses Thema der Zugänglichkeit wird unter anderem diskutiert, bevor anhand von Beispielen der theoretische Rahmen veranschaulicht wird. Schick, die sich für »barrierearme Wissensvermittlung« einsetzt, prangert die Exklusivität von feministischen Diskursen an. Die Teilhabe vieler Menschen werde nicht ermöglicht, entweder weil sie gar nicht erst von Aktionen mitbekämen oder aber, weil ihnen der räumliche Zugang zu Demonstrationen und ähnlichen aktivistischen Formen aufgrund von mangelnder Inklusivität nicht möglich sei. Die Frage nach der Exklusivität kommt gegen Ende der Veranstaltung nochmals auf, als Oeming fragt, wie weiß ›Netzfeminismen‹ seien, woraufhin Schick schnell antworten kann, dass ca. fünf Prozent der Landschaft nicht weiß seien und dass der Online-Aktivismus somit nur wenig zugänglicher für People of Colour sei als prägende universitäre Feminismen.

Allein dieser Aspekt, der von den drei Podiumsgästen differenziert besprochen wird, gibt genug Stoff zum Nachdenken auf; über eigene Privilegien und eben auch darüber, wie viele Stimmen in Diskursen unsichtbar sind. Besonders erbaulich ist jedoch die produktive und positive Einstellungen gegenüber Fehlern, für die man sich eben sensibilisieren müsse. Sibel Schick habe oft unabsichtlich marginalisierte Gruppen in ihren Tweets verletzt, worauf sie hingewiesen wurde und wofür sie sich anschließend entschuldigt habe. »Man nutzt eben die Sprache, die man gelernt hat«, so Schick. Nicht diskriminierend zu sprechen und zu handeln, sei eben ein Lernprozess. Als weiteres Beispiel führt Madita Oeming das Sprechen über weibliche Lust an, das oft Trans*menschen ausblende.

Vermeintliche Diversität

Dass eigentlich empowernde Texte und Bilder unabsichtlich andere Gruppen ausschlössen oder gar verletzten, da sie auf eine bestimmte Gruppe mit ihren Ansichten abgestimmt sind, dafür gibt Annekathrin Kohout in ihrem Buch viele Beispiele, die nicht nur sehr nachvollziehbar und klug angeführt werden, sondern auch darüber hinaus viel Diskussionsmaterial bieten. Die Autorin betont, dass Onlinephänomene häufig eine enorme Reichweite haben, dass aber die Codes, die sich um einen Diskurs herumspönnen, oft nicht mitgedacht würden und somit zu verschiedenen Lesarten und Konflikten führten, obwohl ursprünglich nur eine Botschaft vermittelt werden sollte.

Da gibt es Giselle Bündchen, die auf Instagram mit ihrem Baby posiert, das sie stillt, während sie von ihren Visagist*innen für ihren Modeljob vorbereitet wird. Viele feierten sie dafür, dass sie ein progressives Bild einer berufstätigen Mutter medienwirksam vertrete, wohingegen andere darauf hinwiesen, dass es ein positives Bild vom Stillen vermittle, wozu manche Frauen* nicht in der Lage sind und was andere eben nicht wollen. Da gibt es feministisch gelabelte Kunst, die Menstruationsblut als Glitzer in einem Slip zeigt und Marketingkampagnen von einer Kosmetikmarke, die durch verschiedene Frauen in Unterwäsche Diversität propagiert, aber trotzdem durch vermeintliche Perfektion der Körper auf ein klassisch normiertes Schönheitsideal rekurriert.

Feministisch denken heißt hinterfragen

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Reihe

Vom 18.-28. Oktober fand der 28. Göttinger Literaturherbst statt. Als Nachklapp veröffentlicht Litlog ab jetzt bis 15. November jeden Werktag einen Bericht zu den diversen Veranstaltungen des Programms.
Hier findet ihr die Berichte im Überblick.  

Anhand dieser und anderer Beispiele diskutieren die Podiumsgäste über die Ambivalenzen von ›Netzfeminismen‹, sodass das Publikum mit vielen Denkanstößen die Veranstaltung verlässt. Bei aller Ernsthaftigkeit kommt allerdings auch der Unterhaltungsfaktor nicht zu kurz, denn Sibel Schick, Annekathrin Kohout und Madita Oeming haben eine kurzweilige und gewitzte Gesprächsdynamik und spielen sich ihre Ansichten und Beiträge wunderbar zu, so dass am Ende auch eine Botschaft übrig bleibt: Wir alle haben noch viel zu lernen und diesen fortschreitenden Prozess können wir beschleunigen, wenn wir alle ins Gespräch miteinander kommen und uns nicht vor Konfrontation mit den eigenen Einstellungen und gelernten Verhaltensweisen verschließen.

Der Vergleich der beiden Veranstaltungen macht sichtbar: Diesen Input gab es bei der Veranstaltung mit Sophie Passmann nicht. Sie näherte sich einem feministischen Thema auf unterhaltende Weise bis zu einem Punkt, an dem Sibel Schick, Annekathrin Kohout und Madita Oeming weiter hintergefragt und analysiert hätten. Dass Feminist*innen an verschiedene Themen mit unterschiedlichen Ansprüchen herantreten, zeigt zunächst einmal nur die Pluralität von Feminismen auf. Problematisch wird es dann, wenn der Besuch einer Veranstaltung in Verbindung mit entsprechender Lektüre schon ausreicht, um sich gewiss zu sein, zu den Guten zu gehören, ohne sich über die eigene eventuelle Privilegiertheit im Klaren zu sein. Denn feministisch Denken heißt auch zu hinterfragen, warum manchen das Hinterfragen verwehrt bleibt.

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