Bedeutend unbedeutende Sommerliebe

»Je mehr er über sie wissen will, desto mehr interessiert sie sich für ihn.« Allein aus diesem Grund verliebt sich Bente in Amelie Befeldts Erzählung Crush in ihren Arzt. Sie beschließt, einen Sommer lang von ihrem Liebesdrama besessen zu sein, um sich von schlimmeren Problemen wie Klimakatastrophe und Pandemie abzulenken und wieder etwas zu spüren.

Von Janina Schumann

Bild: Via Pixabay, CC0

Als Bente, die Protagonistin in Amelie Befeldts Erzählung Crush, sich nach einem kleineren Eingriff mit ihrem Arzt unterhält, gefällt es ihr, dass er sich für ihr Leben interessiert und sie nach ihrer Arbeit fragt. Auch wenn sie ihn nicht attraktiv findet und er zudem verheiratet ist, fängt Bente an, sich bewusst in eine Verliebtheit hineinzusteigern. Bei ihrer Arbeit als Filmemacherin kann sie sich für nichts mehr begeistern – durch ihren Crush erhofft sie sich, wieder etwas fühlen zu können und neue Motivation zu erlangen. Die mitschwingende Kritik an unserer egoistischen Gleichgültigkeit und Problemverdrängung ist subtil, dennoch gelingt es Befeldt, sie durch ihre Protagonistin überzeugend abzubilden und diese dagegen ankämpfen zu lassen.

Sie hat ihn gerade vergessen, da entzündet sich die Wunde.

Es bleibt nicht bei einem Besuch, sie muss mehrmals zu ihrem Arzt kommen und sich behandeln lassen. Darauf freut Bente sich zwar einerseits, hat aber andererseits Angst vor ihren eigenen Gefühlen. Sie kommt sich selbst fremd vor, erkennt ihr Gesicht im Spiegel nicht wieder und ist überrascht, wie sehr sie in die Gedankenwelt ihres selbst erschaffenen Liebesdramas abdriftet. Egal, wohin sie unterwegs ist und was sie tut, ihre Gedanken schweifen immer ab und landen bei ihm, für ein neues Filmprojekt zum Thema Klimawandel findet sie keine Ideen.

Der Klimakrise steht Bente mittlerweile gleichgültig gegenüber. Als sie aus der Praxis kommt, bemerkt sie eine FFF-Demo, die Pflanzen im Park sind verdorrt und auch die Hitzewelle nimmt sie wahr. In ihrem Leben sind dies jedoch lediglich Randbemerkungen. Überhaupt beobachtet Bente sich lieber selbst von außen dabei, wie sie sich über eine E-Mail den Kopf zerbricht, die sie ihrem Arzt geschrieben hat und auf dessen Antwort sie wartet. Manchmal versucht sie, sich für das Thema zu interessieren, um an ihrem Projekt weiterzuarbeiten, doch gelingen will ihr das nicht.

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Amelie Befeldt
Crush

re:sonar verlag: Hannover 2022
48 Seiten, 10,00€

Egoismus oder Verzweiflung?

Bente ist sich ihrer eigenen Gleichgültigkeit der Welt gegenüber sehr wohl bewusst. Als sie im Zug sitzt und dieser wegen eines Leichenfunds auf der Strecke anhalten muss, wirft sie das kurz aus ihrer Gedankenwelt, bevor ihr klar wird, dass sie auch dies bald vergessen wird. Sie erstellt sich deswegen eine Erinnerung auf ihrem Handy, um später wieder daran zu denken. Einer Freundin gegenüber gibt sie zu, dass sie das Thema Klimakrise nicht mehr aufrichtig interessiert und stößt damit auf Unverständnis. Sie streiten und ihre Freundin rät Bente, sich mit anderen Themen als sich selbst zu beschäftigen. Auch der Streit scheint die Protagonistin kalt zu lassen. Befeldt zeichnet eine Figur, die im Inneren eigentlich weiß, was in der Welt sie entrüsten und aufrütteln sollten, die es jedoch nicht schafft, etwas zu fühlen.

Da ist sie also, die Scham.

Lesenden wird klar, dass Bentes Gleichgültigkeit und ihre merkwürdige Verliebtheit nicht einfach aus Egoismus entstehen, sondern dass sie sich bewusst in ein Gefühlsdrama begibt, um wieder etwas fühlen zu können und so neue Kraft für ernste Themen zu gewinnen. Als ihr Arzt unverhofft auf ihre E-Mail antwortet und Bente damit in ein Hoch versetzt, funktioniert dies für einen winzigen Augenblick sogar: »Motiviert abonniert sie eine Tageszeitung. Sie würde sich wieder für Dinge interessieren. Lesen. Wissen.« Doch schnell legt sich ihre Begeisterung wieder und an ihre Stelle tritt Scham. Mit dem Aufruf an ihren Arzt, sie doch einmal privat über ihr Handy zu kontaktieren, hat Bente in ihrem Kopf eine rote Linie überschritten. Das Ende der Erzählung wirkt abrupt und lässt nicht sicher darauf schließen, ob die Protagonistin sich schließlich dessen bewusst wird, was sie wirklich will und was nicht. Zu sehr genießt sie die Aufmerksamkeit und das Interesse des Arztes an ihr.

Der Kampf gegen die eigene Gleichgültigkeit

Crush portraitiert eine junge Frau, die der Zukunft mit ihren Problemen aussichtslos gegenübersteht und dadurch jegliche Motivation, sich mit drängenden Themen auseinanderzusetzen, verliert. Lesende fühlen sich auf unangenehme Weise angesprochen, wenn es um eigene Verantwortung und Bequemlichkeit geht. Zum Beispiel, wenn Bente versucht sich davon abzuhalten, das Facebook-Profil ihres Arztes zu suchen, um mehr über ihn herauszufinden: »Kurz überlegt sie, sich einen Fake-Account zu erstellen – seit Cambridge Analytica nutzt sie nur noch Instagram, über die Widersprüchlichkeit dessen scrollt sie schamlos hinweg.« Oder wenn sie Ausreden dafür findet, dass es ihr selbst nie passt, bei Demonstrationen mitzumachen, obwohl sie eigentlich dahintersteht. Es fällt nicht schwer, sich in einigen dieser Szenen in Befeldts Protagonistin wiederzuerkennen.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind in der kurzen Erzählung allgegenwärtig, ohne sie zu direkt und zu gewollt anzusprechen. Bente fühlt sich offensichtlich einsam und genießt das Gespräch mit ihrem Arzt, da er sich tatsächlich für ihre Arbeit und ihre selbst produzierten Filme interessiert. Einfach weil sie Lust auf einen weiteren Streit mit ihrer Arbeitsfreundin hat, zweifelt sie die Wirkung der Impfung an und setzt auch, im Gegensatz zu vorherigen Terminen, ihre Maske beim Arztgespräch ab. Weder die Freundin noch ihr Arzt kommentieren diese neue Einstellung Bentes. Falls Kritik an dieser Stelle der Erzählung mitschwingen soll, ist sie nicht deutlich genug, um sie als solche zu erkennen.

Bevor sie reagieren kann, lässt er los und sie an sich zweifelnd zurück.

Befeldt überzeugt mit dem Ausschnitt aus dem Leben einer jungen, entmutigten Frau und dem gekonnten, fließenden Stil ihrer Sprache. In knappen 48 Seiten zeigt sie, wie wir uns vor den großen Problemen unserer Zeit drücken und stattdessen in selbst kreierten Alltagsproblemen versinken. Die Erzählung zeigt jedoch auch, wieso dies der Fall ist: Junge Menschen fühlen sich beim Gedanken an die Zukunft hilflos und wissen nicht, wie und wo sie anfangen können, etwas zu bewirken. Klimakatastrophe und Pandemie werden somit zu einem Hintergrundrauschen und kleine Probleme, die eigentlich gar nicht existent sind, rücken im Bewusstsein nach vorne und lenken uns ab. Die Geschichte der Protagonistin macht aber klar: Auch Ablenkung funktioniert nicht für immer und bringt bestimmt nicht die gewünschten Veränderungen.

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