Scheinbar zufällig begegnen sich zwei Kindheitsfreunde als Fensterreiniger in einem fremden Land. Zwei Geflüchtete, die nicht nur mit den Wirrungen eines neu aufzubauenden Lebens kämpfen, sondern Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit sind. Das neue DT-Stück unter Regie von Jakob Weiss.
Von Birthe Schmitt
Bild: Isabel Winarsch, unter freundlicher Genehmigung des DT Göttingen. Auf dem Titelbild zu sehen: Marius Ahrendt und Gregor Schleunig
Rauschen dröhnt aus einem Radio, das am minimalistischen Bühnenbild (Jakob Weiss) im DT-2 hängt. Da steht ein Stahlgerüst, das an die Wolkenkratzer der Mega-Metropolen dieser Welt erinnert und zugleich an die Stahlstangen eines Käfigs, in welchem die zwei Protagonisten mit ihrer beklemmenden Geschichte gefangen sind. Das unangenehme, fiepende Geräusch ruckelt sich zu einem Schlager zurecht, Neonröhren grellen auf und es schwingt schon die leise Vorahnung mit, dass dieser Abend keine leichte Unterhaltung bietet.
Eine weibliche Erzählstimme (Leona Grundig) aus dem Radio gibt vor jedem Akt Regieanweisungen. Es wird klar: In der Schwebe spielt in luftigen Höhen, an der Fassade eines Wolkenkratzers baumeln zwei Männer, um dort die Fenster zu reinigen. Isaac (Gregor Schleuning) und Benni (Marius Ahrendt) kennen sich aus Kindheitstagen. Was zu Beginn wie eine zufällige Begegnung erscheint, entpuppt sich als wohl kalkuliert um eine schreckliche Vergangenheit aufzudecken. Eine schweigende, seit der grausamen Tat nicht sprechende Frau wird auf der Bühne nicht sichtbar. Stattdessen konfrontiert ihr heroischer Bruder den Täter, welcher sich selbst zum Opfer der Umstände stilisiert.
Aktuelles Setting im demokratischen Land
Diese Geschichte ist eingebettet in die aktuelle Debatte um Geflüchtete. Die zwei Fensterputzer sind selbst aus einem Bürgerkriegsland geflüchtet und dürfen nur von außen, nur durch die Fensterscheiben auf die Erfolgreichen des demokratischen Landes, in das sie geflohen sind, gucken. Bildlich wird das genial interpretiert, da die beiden Protagonisten den Käfig, der gleichzeitig die Fensterfassade darstellt, nicht ein Mal verlassen. Sie sind wortwörtlich »in der Schwebe«. Ebenso hängen sie nämlich zwischen Aufenthaltsstatus und Illegalität, Arbeitsrecht und dem Verlangen nach einer Beschäftigung. Sie wirken wie Gefangene in einem System, was sie fast unbeschwert in ihren Dialog einfließen lassen. Denn für Benni und Isaac dreht sich alles um die »Nacht im Nebel«, um ihre eigene Vergangenheit.
Kann man vor der eigenen Vergangenheit fliehen? Isaac versucht es zumindest und das Stück entwickelt passend dazu überkonstruierte Nebenerzählungen, die immer wieder von der eigentlichen Geschichte abzulenken versuchen. Dabei werden bodenlose Fässer von brandaktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatten geöffnet, in deren überfordernden Inhalten das Stück zu ertrinken scheint. Eine Geschichte von sexualisierter Gewalt an Frauen zu erzählen, in der die einzige weibliche Stimme Regieanweisungen aus dem Off gibt, ist an sich eine vielversprechende Idee. Insbesondere wenn sie verknüpft ist, mit der Frage potenziell verschiedener Sexualitätskulturen. Es bleibt allerdings nur zu spekulieren, dass auf diese Weise im Anschluss an #metoo gerade das Fehlen der Überlebendenstimmen angeprangert werden soll. In der Fülle der Einfälle bleibt dieser wie einige andere leider auf der Strecke und stellt vielmehr eine Schwäche des Stücks dar. So wären Plot und Setting der spannende Ausgangspunkt für eine Mini-Serie, in der von Folge zu Folge verschiedene Facetten beleuchtet werden könnten. Der Versuch, sowohl die schwierige Lage von Geflüchteten als auch furchtbare Kriegsverbrechen und den moralischen Umgang damit abzuhandeln, ist ein hehres Ziel, das im Format eines knapp anderthalbstündigen Theaterstücks kaum umzusetzen ist.
Ein schwieriger Abend
In der Schwebe ist ein durch viele hervorragende Elemente überladenes Stück mit einer durchaus cleveren Inszenierung und zwei Darstellern, welche ihr Bestes geben. Aber gerade zu Beginn haben die Schauspieler kaum eine Chance, mit den halbherzig witzigen Dialogen zu überzeugen. Das Drama in fünf Akten nimmt nur langsam Fahrt auf und die vereinzelten Publikumslacher bleiben in der Luft hängen wie Isaac und Benni in ihren Seilen. Nichtsdestotrotz trifft das Stück einen aktuellen Nerv. Das ist beispielsweise erkennbar an der diesjährigen Vergabe des Friedensnobelpreises an die jesidische Aktivistin Nadia Murad und den kongolesischen Arzt Denis Mukwege. Sie setzt sich als Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen für die Belange von Opfern ein, die durch den IS sexuelle Gewalt erlitten; er behandelte während des Bürgerkriegs in der Demokratischen Republik Kongo tausende Vergewaltigungsopfer. Die israelische Autorin Maya Arad Yasur hat ein politisches Stück geschrieben, das keinen unbeschwerten, unterhaltsamen Abend im DT verspricht. Vielmehr erlebt man eine bedrückende Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Ein Stück, das gut zu den aktuellen Plakaten der Demonstrant*innen von #rettedeintheater passt: »Theater regt zum Denken an« Oder: »Theater bildet«