Im nüchternen Zustand ist Herr Puntila ein unbarmherziger Ausbeuter, betrunken ein gönnerhafter Menschenfreund. Doch an dem Herr-Knecht-Verhältnis wird auch durch seinen Griff zur Aquavit-Flasche nicht ernsthaft gerüttelt. Das DT inszeniert Brechts Drama mit einer gehörigen Portion Fatalismus.
Von Christian Dinger und Vera K. Kostial
Titelbild: © Isabel Winarsch
Darauf: Chor, Gabriel von Berlepsch, Volker Muthmann
Die Bühne liegt im schummrigen Halbdunkel, ein Bühnenbild ist praktisch nicht vorhanden, Herr Puntila torkelt in Richtung Publikum, aufgebläht und bräsig kommt ihm nur das Wort »Aquavit« über die Lippen, das er einem eruptiven Schluckauf gleich immer wieder in den Zuschauerraum zischt. Begleitet wird Puntila von seinem Knecht Matti, der mit hängender Zunge auf allen Vieren neben ihm hertrabt. Der seinem Herrn treu ergebene Diener befolgt Anweisungen prompt und klaglos wie ein gut erzogener Hund – oder doch nicht? Ganz so einfach ist es nicht in Bert Brechts Drama. Wer ist hier der Hund, wer das Herrchen, wer führt wen an der Leine umher und wer vermag klare und sinnvolle Anweisungen zu geben?
1940/41 im finnischen Exil verfasst und 1948 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt, verhandelt Herr Puntila und sein Knecht Matti die Problematik der Herr-Knecht-Beziehung, die schon von Hegel in der Phänomenologie des Geistes beschrieben wurde. Der Knecht, so Hegel in dem Brecht bekannten Text, ist durch die Tätigkeiten, die er für seinen Herrn erbringt, diesem überlegen und wird letztendlich ein selbstständigeres Bewusstsein erlangen als der Herr.
Dass der Knecht seinem Herrn körperlich und vor allem intellektuell einiges voraus hat, ist bei Puntila und Matti unübersehbar. Während Puntila sich dem Aquavit-Exzess hingibt, ist Matti der pragmatische Macher, der mit seiner Arbeitskraft die Dinge am Laufen hält und der Wankelmütigkeit seines Herrn eine stoische Beständigkeit entgegensetzt. Vor allem aber entlarvt er satirisch Puntilas Anflüge von Milde gegenüber seinen Angestellten als alkoholinduziertes Phantasma. Betont Puntila im betrunkenen Zustand stets seine »Menschlichkeit«, wird nüchtern betrachtet schnell klar, dass die Angestellten auf Gut Puntila wenig zu lachen haben – ganz im Gegensatz zu ihrem Herrn, der sich nur zu gern aus allem einen großen Spaß macht: So verspricht er in einer Nacht gleich einer ganzen Reihe von Frauen aus dem Dorf die Hochzeit, nur um sie am folgenden Tag von seinem Gut zu jagen. Schauspielerisch ist diese Szene eindrucksvoll inszeniert: Ein Chor nach antikem Vorbild kommt zum Einsatz, der die arbeitende Bevölkerung des Guts verkörpert und je nach Szene unterschiedliche Funktionen erfüllt. Diese Idee eines Proletarier-Chors hätte ohne Zweifel auch von Brecht selber stammen können. In der besagten Szene übernimmt er die Rolle der »Bräute des Herrn Puntila«. Volker Muthmann als Knecht Matti leistet hier den blitzschnellen Wechsel vom hündischen Knecht zum Strippenzieher und leitet den Aufstand der Bräute.
Heiraten ist auch das zentrale Thema für Puntilas Tochter Eva, die einen Attaché zu ehelichen genötigt wird, wäre da nicht ihre Schwäche für Matti, der, zupackend und viril, so ganz das Gegenteil des schrillen und sich lautstark selbst inszenierenden Diplomaten ist. Das uralte Tragödien-Dilemma, das in der Wahl zwischen einem ehrlichen, guten, aber nicht-standesgemäßen Bräutigam und einem aufgeblasenen Schaumschläger aus gutem Hause besteht, wird hier zu einer Frage von Nüchternheit und Trunkenheit. Im nüchternen Zustand betreibt Puntila gnadenlos die Vermählung seiner Tochter aus rein ökonomischen Gründen. Während der Verlobungsfeier ist er aber vom Verhalten des Attachés dermaßen genervt, dass er sich betrinken muss und plötzlich wieder seine »Menschlichkeit« entdeckt. Hochkant schmeißt er den Bräutigam in spe hinaus und ist bereit, seine Tochter mit Matti zu verheiraten.
Was nun folgt ist aber keinesfalls ein romantisches Aufatmen und eine ständeübergreifende Hochzeit. Matti lehnt ab, denn anders als der von sich selbst und seiner eigenen Güte gerührte Puntila hat er stets die soziale Realität im Blick. Und er weiß, dass diese nicht durch einen trunksüchtigen Anfall von Mitmenschlichkeit geändert wird. In einer rabiaten Szene unterzieht Matti seine potentielle Braut einem Test, um zu prüfen ob sie dem Leben in einem proletarischen Haushalt gewachsen ist. Eine Szene, die allen Kitsch dem sozialen Realismus weichen lässt.
Am Ende findet keine Hochzeit statt. Stattdessen besteigt Puntila Aquavit-beseelt gemeinsam mit Matti einen imaginären Berg, um seinem Knecht stolz die Weiten seines Guts zu präsentieren. »Das Herz geht mir auf, wenn ich Ihre Wälder seh‘«, so spricht Matti brav seinem Herrn nach dem Mund. Und damit endet das Stück, wie es angefangen hat: Matti kniet hechelnd neben seinem Herrn, der stolz die Brust reckt – das Herr-Knecht-Verhältnis ist wiederhergestellt und man fragt sich, ob es je ernsthaft infrage gestellt wurde.
Soweit die Göttinger Inszenierung. Aber in Brechts Text geht es noch weiter: »‘s wird Zeit, daß deine Knechte dir den Rücken kehren. / Den guten Herrn, den finden sie geschwind / Wenn sie erst ihre eignen Herren sind.« – so Mattis Monolog, den er spricht, als er am nächsten Morgen, noch bevor Puntila aus dem Rausch erwacht, das Gut verlässt. Keine Revolte, keine Umkehrung der Hierarchie, aber auch keine Verfestigung der Verhältnisse, sondern ein stilles Abwenden des Knechts von seinem Herrn. Man kann dieses Ende als »Weg des geringsten Widerstands« im Sinne der taoistischen Philosophie verstehen, deren Einfluss auf Brechts Werk in der jüngsten literaturhistorischen Forschung thematisiert wurde. In jedem Fall präsentiert Brechts Text, wie ungewiss Mattis Weg auch sein mag, die Idee einer Alternative zum System von Herrschaft und Knechtschaft.
Die Inszenierung des Deutschen Theaters lässt diese Idee aus und verwandelt Brechts Stück damit in eine noch fundamentalere Gesellschaftskritik: Hatte der Marxist Brecht noch einen positiven Gegenentwurf zum kapitalistischen, hierarchischen System im Sinn, scheint es heute weitestgehend alternativlos. Was bleibt, ist ein pessimistischer Blick auf sich immer weiter verfestigende Machtstrukturen: Während Matti sich zu Beginn des Stücks noch als Strippenzieher im Hintergrund präsentiert und Puntilas Visionen satirisch aufdeckt (nicht zuletzt durch den ›Test‹ mit Eva), nutzt er am Ende nicht einmal mehr sprachlichen Widerstand, sondern redet seinem Herrn gänzlich nach dem Mund. Vollständige Resignation in die Verhältnisse ist eingetreten. Die mit Brechts Text vertrauten ZuschauerInnen mag dieses Ende zunächst befremden – schlussendlich jedoch überzeugt der gnadenlose Realismus der Inszenierung, getragen von starken schauspielerischen Leistungen.