Der sommerliche Beginn eines Auslandsjahrs an der University of Arkansas im Südosten der USA. Das land of the free bei 35 Grad im Schatten und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. Über einen rite de passage zwischen Klischee und Realität im sommerlichen Amerika.
Von Hanna Sellheim
Bild: Hanna Sellheim
Als ich aufwache, ist alles anders. Das Licht im Zimmer ist sanfter als zu Hause, über mir dröhnt die Klimaanlage und die Luft ist auf eine künstliche Weise kalt, was natürlich trügerisch ist, denn sobald ich die Tür zu unserem Two-Bedroom-One-Bathroom-Apartment öffne, wird mir eine schwüle Hitze entgegenschlagen. Aus dem Fenster meines Zimmers blicke ich auf die Straße, gegenüber: ein kleines Haus mit Veranda, davor ein Pick-up-Truck. Auf dem Weg ins Bad taste ich mich vorbei an ungewohnten Dingen: runde Türknäufe, Lichtschalter mit kleinen Plastik-Stielen, Einbauschränke mit Falttüren. Die Dusche spuckt das Wasser wie in Psycho schräg nach vorne aus. Es ist ein gewöhnlicher Sommertag in Fayetteville, Arkansas, und es ist der erste Tag meines Auslandssemesters.
Die nächsten Tage verbringe ich mit wahrlich amerikanischen Erfahrungen: Ich lerne den Unterschied zwischen dem kleinen Walmart (sehr groß) und dem großen Walmart (unvorstellbar riesig und es gibt pinke Maschinengewehre zu kaufen). Ich verlaufe mich mehrfach auf dem Campus zwischen all den Halls und Walks und Lawns. Wir finden die Mensa, das heißt den Food Court, das heißt mehrere Fast-Food-Tresen nebeneinander. In der sengenden Mittagshitze laufen wir (die Einzigen, die zu Fuß unterwegs sind) zum Sport-Center der Uni. Dort stoßen wir auf drei Stadien, aufsteigend der Größe nach: Baseball, Basketball, Football. Von den Wänden flattern Banner mit roten Wildschweinen. Wir sind nun offiziell auch Razorbacks.
Am Wochenende lernen wir die Dickson Street kennen, den Ausgeh-Moloch der Stadt. Unser »Cross Cultural Mentor« – ein waschechter Fayetteviller – gibt uns ein ominöses blaugrünes Getränk in einem kleinen Eimer aus (Special for International Students!). Es ist so süß, dass sich bei jedem Schluck mein ganzer Mund zusammenzieht. Am nächsten Morgen erwache ich mit stechenden Kopfschmerzen.
Eine Familie aus der Stadt lädt uns zum Dinner bei sich zu Hause ein, in ein holzlastiges Haus auf einem riesigen Grundstück. Von der Veranda blicken wir auf unzählige Baumwipfel, in denen Zikaden und unvertraute Vögel lärmen. Zum Nachtisch gibt es selbstgebackene Chocolate Chip Cookies; wir dürfen nicht gehen, ohne ein Plastiktütchen mit Keksen für den Weg einzustecken. Den Sonntag verbringen wir in der Mall, mit Pizza und Diet Coke und Shopping. Beim Barbecue am Abend, das, so lässt es eine*n jedenfalls die Programmübersicht glauben, von Jesus Christus höchstpersönlich gesponsort wird, werde ich zum Tailgating beim nächsten Football-Spiel (Go Hogs!) eingeladen.
Ich verabschiede mich von der Idee, in der Sommerhitze auch nur eine meiner täglichen Strecken über die hügeligen Straßen auf dem Fahrrad zu erledigen. In den Seitenstraßen von Downtown Fayetteville entdecke ich mit bunten Graffiti verzierte Second-Hand-Läden, kleine Galerien und große Theater. Über dem See hängt ein Mond, der größer ist als zu Hause und im Licht der untergehenden Sonne rosa leuchtet. In Kimpel Hall, dem Gebäude des Department for World Literature, Languages and Cultures, bekomme ich beim Anblick der mit Büchern vollgerümpelten Büros ein heimeliges SDP-Gefühl. Doch statt auf die nächste Krankenhauswand blicke ich aus dem Fenster meilenweit über die bewaldeten Ozark Mountains. Ich denke »meilenweit«, denn ich habe mich vom metrischen System losgesagt.
Reihe
Sommerferien sind nichts fürs Feuilleton. Falls unsere Autor*innen dieser Tage in Arkansas verweilen sollten, dann nur zum Zweck der Recherche für unsere Sommerkolumne . – Oder vielleicht auch für weitere spannende Litlog-Projekte!? Stay tuned, wie man in Fayetteville zu sagen pflegt.
Sieben Tage sind seit meiner Ankunft vergangen. Meine unpraktischen europäischen Klamotten habe ich eingetauscht gegen ein Standard-Outfit aus Jeans-Shorts, Sneakers und T-Shirt. Meine Haare trage ich stets in einem Pferdeschwanz, da sie sonst gegen die feuchtwarme Hitze keine Chance haben (siehe auch: Monica Geller in Friends, Staffel 9, Folge 23). Ich bekomme keine Kopfschmerzen mehr, wenn ich von der 35 Grad warmen Außenwelt kommend einen auf 18 Grad runtergekühlten Raum betrete. Sobald ich jemand Neues treffe, sage ich »Nice meeting you« und frage alle, wie es ihnen geht, ohne eine Antwort zu erwarten. Ich bin nicht mehr überrascht, wenn Menschen in Geschäften und Uni-Büros ohne Grund nett zu mir sind und werde wütend, wenn am Zebrastreifen nicht sofort jemand für mich anhält. Ich bilde das R weit hinten im Mund und adressiere zwei und mehr Menschen mit »y’all«. Von einem der Bäume segelt ein goldenes Blatt vor meine Füße.