In ihrem Debütroman zeigt Halliday die Vielfalt von Asymmetrien. Dabei geht sie nicht nur auf ihre Affäre mit Roth ein, sondern zeigt auch die gesellschaftlichen Asymmetrien in der Welt auf. Sie verharrt hierbei nicht nur auf der inhaltlichen Ebene: das Spiel geht auf formaler Ebene weiter.
Von Anika Tasche
Bild: Stängelquerschnitt von Stefan.lefnaerr via wikimedia commons CC BY-SA 4.0
Das Konzept von Lisa Hallidays Debütroman scheint altbewährt: alter Mann schnappt sich junge Frau, beginnt eine Affäre, fühlt sich dadurch wieder in seine Jugend zurückversetzt und gut ist. Schon Philip Roth schrieb in seinem Roman Das sterbende Tier (2001) über eine Beziehung zwischen Literaturprofessor und Studentin und genau diese Dynamik macht auch Asymmetrie aus. Die 25-jährige Lektorin Alice Dodge wird vom deutlich älteren Ezra Blazer (er könnte ihr Großvater sein) mit einer der üblichen Maschen angemacht. Er hat Glück und die beiden beginnen eine Affäre. Auch in Hallidays Roman handelt es sich um einen Literaturliebhaber, genauer gesagt, um einen der berühmtesten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und 21. Jahrhunderts, in dessen Reihe von Preisen nur noch der Literaturnobelpreis fehlt. Hier wird es interessant, denn diese Tatsache erinnert wahrhaftig an den kürzlich verstorbenen Autor Philip Roth und da Halliday keinen Hehl daraus machte, dass sie in ihren Zwanzigern eine Romanze mit ihm hatte, verwundert es kaum, dass die Kritiker*innen sehnsüchtig auf das Romandebüt warteten. Den Mutmaßungen, dass es sich um einen Schlüsselroman über Philip Roth handele, wurde die Autorin gerecht. Doch die Handlung verbleibt nicht bei der autofiktionalen Romanze zwischen Alice und Ezra alias Halliday und Roth, denn der Roman gliedert sich in drei Teile.
Trugschluss
Zu Beginn steht Ezras Frage »Sind Sie dabei?«, die im englischen Original »Are you game?« lautet. Was sowohl mit »Lust zu spielen?« als auch – wie von der Übersetzerin des Romans, Stephanie Jacobs, getan – mit »Sind Sie dabei?« übersetzt werden kann, wie schon Felix Stephan bemerkt und dabei eine dritte Lesart übersieht. »Game« könnte nämlich auch – zugegebenermaßen sehr spitzfindig – mit »Jagdwild« übersetzt werden, womit eher versteckt auf die asymmetrische Jagdmetaphorik für das Flirten angespielt wäre. Egal, wie genau der Satz ins Deutsche übersetzt wird, Alice bejaht ihn zustimmend, womit sie sich dazu bereit erklärt, immer wenn der ›Unbekannte Teilnehmer‹ sie anruft, zu ihm zu eilen und mit dem Schriftsteller zu schlafen. Die titelgebende Asymmetrie besteht dabei zwischen Alter und Status der beiden, wodurch auch das Machtverhältnis vorerst als asymmetrisch verteilt erscheint. Für Ezra nimmt Alice die verschiedensten Rollen ein: Sie pflegt ihn, wenn sein Rückenleiden mal wieder allzu stark ist, hört ihm zu, wenn ihm etwas auf dem Herzen liegt (oder auch sein Herz verrücktspielt) und geht bei Bedarf auch für ihn einkaufen. Es wirkt wie eine direkte Gegenleistung, wenn er ihr Geld gibt für eine neue Klimaanlage, für Luxusmäntel und um ihren Studienkredit abzubezahlen. Doch auch hier trügt erneut der Schein. Alice geht das Spiel wissentlich ein und sieht es als durchaus gewinnbringend für sich an.
Und schließlich verschiebt sich auch das Mächteverhältnis und Alice springt nicht mehr permanent, wenn ihr Telefon klingelt, sondern ignoriert es das ein oder andere Mal. Endgültig aufgehoben wird das Machtverhältnis, wenn sie beginnt, mit ihm über ihre Romanprojekte zu sprechen.
Ihr Interesse liegt in den großen Ereignissen. Also doch kein autobiografischer Roman? Alice stellt sich die Frage, »ob ein ehemaliges Chormädchen aus Massachusetts wohl in der Lage wäre, sich in die Gedankenwelt eines männlichen Muslims hineinzuversetzen«. Dies kann als massive Provokation an Philip Roth gesehen werden, der selbst davon ausging, dass es eben nicht möglich sei, sich in die Rolle des anderen Geschlechts hineinzuversetzen. Halliday beweist mit dem zweiten Teil ihres Romans jedoch das Gegenteil.
Von kleinen und großen Asymmetrien
Asymmetrisch zum ersten Teil verhält sich die Erzählstimme, die von der dritten Person Singular zum Ich-Erzähler wechselt. Im Zentrum steht nun der junge Wirtschaftswissenschaftler Amar Ala Jafaari, der mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat als Alice. Er besitzt sowohl einen amerikanischen als auch einen irakischen Pass. Dies hilft ihm jedoch auch nicht, als er auf der Reise aus der USA in die Türkei in Heathrow festgehalten wird. Er muss sich einer absurden Befragung unterziehen, deren Ergebnis ist, dass er nicht wie geplant ein paar Tage in London verbringen darf, bevor er weiterreist.
Durchwoben ist Amars Geschichte von Erinnerungen an seine Kindheit und seine Aufenthalte im Irak. Besonders beschäftigt ihn sein Bruder Sami, der sich dazu entschloss, nach Bagdad zurückzukehren und dort als Arzt zu arbeiten. Es besteht ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den beiden Brüdern, die beide die gleichen Grundvoraussetzungen hatten und unterschiedliche Wege einschlugen. Hinzu kommen die grundlegenden Asymmetrien zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Situationen. Deutlich wird dies, als Amars Onkel plötzlich vor seiner Haustür entführt wird. Die politische Lage bestimmt den Alltag in Bagdad.
Mit diesem Handlungsstrang gelingt es Lisa Halliday nicht nur, zu beweisen, dass sich ein aus Massachusetts stammendes Mädchen in männliche Muslime hineinversetzten kann, sondern auch, den Rassismus, dem vielen Menschen täglich begegnen, aufzuzeigen. Während Alices und Ezras Affäre den passenden Titel Verrücktheit trägt – denn bei ihnen ist so manches verrückt, hat Amars Teil den Titel Wahnsinn – und nichts anderes ist es, was ihm am Flughafen in Heathrow passiert. Um diesen Wahnsinn aufzuzeigen bedarf es nicht mal eines Tages im Leben des Protagonisten, weniger als 24 Stunden begleitet der*die Rezipient*in Amar am Flughafen und doch erfährt er*sie durch die vielen Erinnerungen, was den jungen Mann in seinem Leben geprägt hat.
Am Ende gibt es doch noch den Nobelpreis
Lisa Halliday, aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Asymmetrie
Hanser: München 2018
320 Seiten 23,00€
Alices und Ezras Romanze hingegen erstreckt sich über zwei Jahre. Kenntlich gemacht wird dies ironischerweise an der Verleihung des Literaturnobelpreises an Coetzee und Jelinek. Doch was Philip Roth lebenslang verwehrt blieb, erlebt Ezra Blazer am Ende von Asymmetrie. 2011 sitzt er beim BBC in der bekannten Sendung Desert Island Discs als Nobelpreisträger für Literatur und blickt auf sein Leben zurück. In einem Interview mit der FAZ gibt Halliday zu, dass es ihr unfassbaren Spaß gemacht habe, den dritten Teil des Romans zu schreiben. Das ist mehr als naheliegend, denn bedeutungslose Lebensereignisse werden hier zu großen Themen aufbereitet, beispielsweise wie Ezra die klassische Musik lieben gelernt hat. Dies mag wohl nur bei Berühmtheiten passieren, denn wer interessiert sich schon für den musikalischen Werdegang eines ›Normalbürgers‹?
Als Metakommentar zu Asymmetrie kann dabei die Feststellung gesehen werden, dass es »genauso falsch [wäre], sie [die Protagonisten] autobiographisch zu nennen oder sich in der stumpfsinnigen Übung zu verstricken ›Wahrheit‹ von ›Fiktion‹ trennen zu wollen«. Es gibt viele Übereinstimmung zwischen Ezra Blazer und Philip Roth, wie beispielsweise die Tatsachen, dass beide Baseball lieben und chronische Rückenschmerzen haben. Eine Inspiration war ihre Affäre mit dem Schriftsteller also allemal, aber schenkt man Lisa Halliday Glauben, so entspricht längst nicht alles in dem Roman den reinen Fakten. Fakt bleibt jedoch, dass beide Autoren gerne flirten, denn der Zyklus schließt sich am Ende, wenn Ezra live im Radio mit der Moderatorin schäkert und sie schließlich fragt: »Sind Sie dabei?«
Asymmetrien auf allen Ebenen
Mit ihrem Debütroman schafft es Lisa Halliday den Erwartungen der Kritiker gerecht zu werden und sie dennoch an der Nase herumzuführen, denn Asymmetrie ist mehr als nur ein Schlüsselroman über Philip Roth. Vielmehr macht das Werk auf die omnipräsenten Asymmetrien in der Gesellschaft aufmerksam. Und diese können ganz unterschiedlich ausfallen, sowohl das Privatleben als auch die Weltpolitik betreffen. Dabei gelingt es Halliday nicht nur auf inhaltlicher Ebene auf diese Asymmetrien aufzuzeigen, sondern auch auf formaler Ebene mit den Asymmetrien der literarischen Ästhetik zu spielen, wenn sie die Erzählstimme wechselt oder auch erzählte Zeit der Handlungsstränge stark variiert.