Ein deutscher Problemheld

Was Deutsche Heldensagen sind, fragt sich die Leserin der gleichnamigen Neuauflage von Gretel und Wolfgang Hechts »Nacherzählungen«. Doch nicht nur fraglich, sondern auch problematisch ist, was sich einer hier bietet. 2018 erschienen Gretel und Wolfgang Hechts bereits 1969 erstmals publizierten Deutschen Heldensagen in der Insel-Bücherei neu. Illustriert sind die »Nacherzählungen« von Burkhard Neie.

Von Anna-Lena Heckel

Bild: von Maria Pop via Pexels, Pexels Lizenz

Dass Ausgaben berühmter Texte nicht immer mit wissenschaftlichem Kommentar versehen sind, ist üblich. Zu jedem Text lässt sich so einiges sagen, auch wissenschaftlich. Die Literaturwissenschaft etwa hat besonderes Interesse an der schriftlichen Tradierung. Das entspricht der Vorstellung, die gemeinhin mit einem Text verbunden wird. Es ist die Idee, dass Kafka seinen Process in einem Manuskript verfasst hat, das er mehrfach überarbeitet haben wird; dass er vielleicht noch ein weiteres, aktualisiertes Manuskript verfasst hat, und der Text dann irgendwann Einzug ins Getippte, Gesetzte, Gedruckte, Geklebte oder Gebundene fand: zum Buch wurde.

Vielleicht ist es so komplex und es gibt vom Entstehungsprozess über die Figurenkonstellation bis zur Sprache so viel zu kommentieren, dass man einem Artefakt, hier einem Text, durch besondere Anstrengungen gerecht zu werden versucht. Der Anspruch, nur noch kommentierte Werkausgaben herauszugeben allerdings, ist edel, aber unrealistisch. Schließlich sollen Bücher nicht nur hergestellt, sondern auch erworben und bestenfalls gelesen werden. Derweil muss sich die Literaturwissenschaftlerin eingestehen: Nicht jede*r will einen Kommentar, liest einen Kommentar.

Es liegt nahe, mit diesen Vorannahmen ebenfalls auf den Band Deutsche Heldensagen zu blicken. Doch es besteht ein Unterschied zum obigen Kafka-Beispiel, der nicht nur im Text liegt. Es geht darum, was im Band der Hechts »nacherzählt« wird. So ist der Prozess der Manuskriptherstellung und der Edierung nicht unähnlich. Die Frage aber nach dem Stoff ist eine andere. Während Kafka unumstritten die Autorfunktion für Der Process erfüllt, ist es beim vorliegenden Band komplizierter. Denn die Deutschen Heldensagen beziehen sich auf eine Tradition, in der die Stoffe weitergegeben und modifiziert wurden. Der Titel suggeriert, es handle sich um eine originär »deutsche«.

Die Ausgabe ist unterteilt in vier große Kapitel zu Dietrich von Bern, Wieland dem Schmied, Walter und Hildegunde sowie Hilde und Kudrun. Die Autor*innen schreiben über diese Sagenhelden der Heldensage, indem sie offenbar die Textzeugnisse aus einigen hundert Jahren kombinieren, die sich zu den jeweiligen Figurennamen finden ließen. Sie machen sie zu großen und zusammenhängenden Erzählungen, geben allerdings keine expliziten Hinweise, aus welchen Quellen sie diese zusammensetzen.

Germanische Sprachen und »deutsche Kultur«?

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Nacherzählt von Gretel und Wolfgang Hecht, illustriert von Burkhard Neie
Deutsche Heldensagen

Insel-Bücherei: Berlin 2018
200 Seiten, 16 €

Fraglich ist, wodurch sich diese »Deutschen Heldensagen« auszeichnen: Was soll »deutsch« sein an den Stoffen, die einige hundert Jahre vor dem Begriff des Deutschen spielen und in Sprachen, die noch nicht »deutsch« heißen, überliefert sind? Der Titel suggeriert das, was die Mediävistik dieser Tage zu korrigieren sucht. Er transportiert die Vorstellung der Kontinuität von »germanisch« zu »deutsch«. Denn bekannt ist, dass die Stoffe, die Widerhall in den später als »Heldendichtung« bekannten Texten finden, in einigen germanischen Sprachen überliefert sind. Indes bleibt »germanisch« hier auf die sprachliche Ebene bezogen. Denn es kann zwar davon die Rede sein, dass sich die heutige deutsche Sprache aus germanischen Sprachen entwickelt hat. Doch das lässt keine Rückschlüsse auf Kultur- oder Ethnogenese zu.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in der Forschung zu den besagten Stoffen die Bezeichnung »deutsche Heldensage« seit bald hundert Jahren passé ist. Nachdem Wilhelm Grimm 1829 die mehrfach nachgedruckte Deutsche Heldensage geschrieben hatte, bedienten sich besonders die Germanisten der Jahre 1933-1945 dieses Titels. Nicht nur hinsichtlich der fachhistorischen Genauigkeit erscheint der Titel problematisch. Auch der Blick auf die derzeitige gesellschaftliche Lage (auch) in der BRD gebietet Vorsicht. Wer von Helden spricht, sie »deutsch« nennt und dies nicht kommentiert, befeuert völkische Identifikation, die Teil des Rechtsrucks ist.

Die gute alte Authentizität

Die Sprache in den Texten von Hecht und Hecht ist die, die gern zur (neuhochdeutschen) Mittelalterdarstellung genutzt wird: »Von Stund an soll mein Sinnen und Trachten nur noch darauf gerichtet sein, den König zu verderben.« Sie mutet an, als wolle sie Authentizität erwecken, indem sie sich als Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen inszeniert.

Burkhard Neies Illustrationen tragen zu einer Inszenierung von (Früh-)Mittelalter bei, die vor Männlichkeit und Kriegslüsternheit strotzt. Dabei ist interessant, dass Neie auch immer wieder mit filigranen Elementen arbeitet. So findet ein steter Wechsel zwischen großen, dunklen Flächen einerseits und feinen Zeichnungen aus rot und braun andererseits statt. Dass auch die Initialen illustriert, tut sein Übriges dazu, dass die Deutschen Heldensagen redlich um eine authentische Inszenierung bemüht zu sein scheinen. Jenes Bestreben kann indes nicht verhindern, dass das Aufrechterhalten der Vorstellung, Germanen seien die Vorfahren Staatsangehöriger der BRD ein Problem ist.

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