Giulia Becker erzählt in ihrem Debütroman Das Lebens ist eins der Härtesten von Randgestalten, die in und an einer gnadenlosen ökonomisierten Welt scheitern. Sprachlich ist das nicht besonders aufregend, aber es bleibt dennoch eine unterhaltsame Satire.
Von Hanna Sellheim
Bild: by Tropical Islands Resort via wikimedia commons, CC BY-SA 3.0, cropped.
Bis vor kurzem war Giulia Becker, Autorin für Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale, vor allem im Internet bekannt. Auf Twitter und Instagram postet sie besonders zu feministischen Themen, stets witzig und pointiert. Nun schreibt sie auch außerhalb der digitalen Medien: Ihr Erstling Das Leben ist eins der Härtesten erzählt die Geschichte von vier deutschen Kleinstadt-Bewohner*innen, die den Ausbruch aus ihrem trostlosen Leben wagen. Prompt erhielt sie dafür den Debütpreis der lit.Cologne.
Der Roman ist der Versuch einer bissigen Sozialkritik. Er propagiert bei diesem Unterfangen ein wenig zu aufdringlich die eigene Witzigkeit, überzieht gnadenlos seine Satire der deutschen Spießigkeit. Das ist über weite Strecken tatsächlich unterhaltsam zu lesen, mitunter geraten die absurden Situationen jedoch plakativ und albern bis ins Unglaubwürdige:
Auch an den ernsthafteren, hier stets kitschigeren, Stellen schwingt immer der ironische Hinweis mit, dass im Duktus der Figuren selbst geschrieben wird: »Kerstin – der Name klingt für ihn wie süßer Nektar im Mundwinkel der Sehnsucht, ein leidenschaftlicher Kuss im Sommerregen.« Diese proklamierte Distanz soll vielleicht auch verschleiern, dass Becker selbst keine große Sprachkünstlerin ist. Ihre Prosa ist schnörkellos und gut lesbar, allerdings auch nicht sonderlich innovativ. Ungewöhnliche Metaphorik, sprachliche Eleganz oder gute Dialoge sucht man vergeblich, das scheint aber auch nicht der Anspruch des Romans zu sein. Geradezu bescheiden wendet Becker sich ab von literarischen Traditionen; das vorangestellte Motto ist ein zitierter Tweet, als intertextuelle Referenzen dienen die Schlager-Texte von Kerstin Ott oder Doro Pesch.
Erzählen am Rand der Gesellschaft
Was Becker interessiert, ist der Rand der Gesellschaft, sowohl sozial als auch räumlich. Ihre Figuren sind eben jene Menschen, denen sonst nur selten eigene Narrative zugestanden werden: Mitarbeiter*innen der Bahnhofsmission, Obdachlose, mittelalte Frauen. Sie bewegen sich in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt, auf Parkplatz-Flohmärkten, in Regionalzügen. Becker offenbart dabei einen scharfen Blick für die Attribute der deutschen unteren Mittelschicht, für ihre Sorgen und Hoffnungen. Das könnte leicht überheblich werden, hätte sie nicht ein genuines Interesse an den Charakteren, die sie entwirft. Sie betrachtet Silke, Renate und Willy-Martin wohlwollend, nimmt ihre Probleme ernst. Und diese Probleme, von denen sie ungeschönt erzählt, sind größtenteils finanzieller Natur.
Giulia Becker
Das Leben ist eins der Härtesten
Rowohlt: Reinbek 2019
224 Seiten, 20,00 €
Becker führt vor, wie in einem gesellschaftlichen Klima, das durchwirkt ist von ökonomischen Interessen, Einsamkeit unweigerlich das Resultat ist. Sie klagt eine Ökonomie an, die Menschen vereinzelt und jene an den Rand drängt, die im alltäglichen Wettbewerb nicht mithalten können oder wollen. Tiere, ob Renates Hund oder Willy-Martins Tauben, werden hier mehr geliebt als Menschen, ständiger Konsum ersetzt den sozialen Austausch: Statt Trost bei ihrer Freundin Silke zu suchen, flüchtet sich Renate in eine Onlineshopping-Orgie, für einen ausschweifenden Einkauf auf dem »Polenmarkt« vergisst sie kurzerhand alle Rücksicht auf ihre Weggefährt*innen und ein zügelloser Bruchware-Kaufrausch beendet abrupt einen Spendenlauf für den Obdachlosen Zippo. Silke, die sich stets aufopfernde Protagonistin, aus deren Perspektive der Roman größtenteils erzählt ist, wird zu einem Gegengewicht in dieser Logik. Doch ihre Nächstenliebe muss in der kapitalistischen Ordnung scheitern und wird gnadenlos ausgenutzt: »Manchmal fühlt es sich an, als wäre sie ein Schwamm. Mit groben, offenen Poren saugt sie die Probleme in ihrer Umgebung ein, sie kann sich nicht entziehen, sie fühlt alles mit.« Das gibt an vielen Stellen Anlass für Überlegungen zu Kategorien wie Geschlecht oder Klasse, ohne dass die Autorin sie aufdrängt.
Gnadenloser Realismus
Alle Figuren haben Fehler begangen, benehmen sich daneben und sind latent unsympathisch. Trotzdem, das wird deutlich, tragen sie keine individuelle Schuld, ihre Unfähigkeit zum Miteinander ist systembedingt. Ihre Sprache ist geprägt vom Diskurs des ökonomischen Wettbewerbs, vom Geschrei der Werbung – Marken-Namen durchziehen den Text. Kapitalismus und Unterhaltung sind untrennbar miteinander verwoben und vergiften zwischenmenschliche Interaktion, wie Beckers Zitate von Reality-TV-Formaten wie »Rosins Restaurant« vor Augen führen, die mit einem Streit von Willy-Martin und seiner Internet-Bekanntschaft Kerstin verwoben werden.
Die Sujet-Wahl verleiht dem Roman ein Gefühl der Klaustrophobie. Die Enge, die Stickigkeit, das Eingesperrt-Sein sind Themen, die immer wieder auftauchen und ein kafkaeskes Gefühl der Unausweichlichkeit erzeugen: Beamtenhafte Angestellte der Konsum-Institutionen verweisen auf Verhaltensregeln und der kapitalistische Apparat durchdringt die erzählte Welt bis in ihre hintersten Winkel. Becker ist dabei gnadenlos realistisch. Nichts an der von ihr entworfenen Welt ist ästhetisch, alles ist eklig und hässlich. Sie etabliert eine Erzählweise, die keine Angst vor Körperlichkeit hat. Es wird geschwitzt und sich übergeben, zu viel gegessen und sich betrunken. In dieser Umgebung kann es keinen anderen Sehnsuchtsort geben als die Hochburg von Konsum und Künstlichkeit, das Erlebnisbad »Tropical Islands« in Brandenburg, zu dem die Protagonist*innen fliehen.
Das Fazit des Romans bleibt schließlich ernüchternd, das paradiesische Versprechen des »Tropical Islands« – dieser überdachten Halle, die die Illusion einer Insellandschaft unter freiem Himmel erzeugt – erweist sich als ein weiterer Ort, an dem Entgrenzung unmöglich ist. Beckers Kritik ist überzeugend, sie zeigt präzise die systemischen Barrieren auf, die den individuellen Ausbruch scheitern lassen. Stehen bleibt die »Alternativlosigkeit« – allerdings nicht ohne das vage Versprechen, dass ein richtiges Leben im falschen vielleicht doch möglich ist, wenn man bedingungslose Solidarität als Akt der Rebellion ernst nimmt. Lesenswert ist die groteske Reise, die dorthin führt, allemal – auch wenn Das Leben ist eins der Härtesten also sprachliche Virtuosität missen lässt, bleibt der Roman doch interessant als humoristische Sozialstudie, deren wahrer Kern trotz all ihrer Übertriebenheit schmerzt.