Was einen guten Krimi ausmacht

Lucie Flebbes Kriminalromane leben von starken Protagonistinnen, Mut zum sprachlichen Experiment und Serialität. Nach der neunbändigen Reihe um die gerade mal zwanzigjährige Privatdetektivin Lila Ziegler erschien am 18. Mai Lucie Flebbes Kriminalroman Jenseits von schwarz. Als zweiter Band nach Jenseits von Wut setzt er die Bochum-Trilogie um die alleinerziehende Kommissarin Eddie Beelitz fort. Der letzte Band wird im Oktober erscheinen. Anlässlich der Neuerscheinung gibt die Autorin in einem E-Mail-Interview Auskunft zu ihrem Schreiben, zu Rollenklischees zwischen Abhängigkeit und Emanzipation und dazu, was einen guten Krimi ausmacht.

Von Svenja Brand

Bild: Mit freundl. Genehmigung © Lucie Flebbe

Svenja Brand: Frau Flebbe, warum schreiben Sie Krimis?

Lucie Flebbe: Ich schreibe unterhaltsame Krimis, die als Ich-Erzählungen von spannenden Charakteren leben, und greife dabei gern unterschiedliche Themen auf – aktuell in der Jenseits-Trilogie zum Beispiel Langzeitarbeitslosigkeit, Alkoholentwöhnung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Aggressionsprobleme.
Im Kriminalroman kann ich Verschiedenes unterbringen und auch für eine unterhaltsame kleine Lovestory am Rande bleibt immer genug Raum. Das Genre erweist sich als sehr flexibel. Außerdem erzähle ich die Geschichten meiner Hauptfiguren gern über mehrere Bücher weiter, was als Krimireihe perfekt funktioniert. 

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Lucie Flebbe
Jenseits von Schwarz

Grafit Verlag: Köln 2019
311 Seiten, 12,00€

2008 erschien der erste Band Ihrer Krimireihe mit der gerade mal zwanzigjährigen, toughen Detektivin Lila Ziegler als Protagonistin, acht weitere Bände folgten. Der zweite Band Ihrer aktuellen Krimireihe um die alleinerziehende Kommissarin Eddie Beelitz ist gerade erschienen, im Herbst 2019 wird auch diese Trilogie abgeschlossen sein. Daneben schreiben Sie Krimi-Kurzgeschichten und haben erst kürzlich im Eigenverlag ein Kinderbuch herausgegeben – was bedeutet Schreiben für Sie und wie schaffen Sie es, so viel zu schreiben?

Wenn ich eine Idee habe, muss sie aufs Papier. Das ist nicht immer einfach, denn ich habe auch noch ein ›echtes‹ Leben, bin berufstätig und Patchwork-Mami von einigen Kindern. Doch auch wenn im Alltag ›Rush hour‹ herrscht, versuche ich für ausreichend ›Schreibzeit‹ zu sorgen, sonst hätte ich das Gefühl, zwischen Familie und Beruf selbst auf der Strecke bleiben.

Mit Lila Zieglers letztem Fall Totalausfall (2017) greifen Sie viele Motive des ersten Bandes Der 13. Brief wieder auf, im Klappentext heißt es: »Der Kreis schließt sich…«: Lilas Familientrauma, die Beziehung zu ihren Eltern, das Jurastudium. Haben Sie ›neun Bände Lila‹ von Anfang an im Kopf gehabt? Und wie schwer ist es, eine Reihe abzuschließen?

Tatsächlich hatte ich das Ende der Reihe von Anfang an im Kopf, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, wie viele Bände es tatsächlich werden würden. Allerdings war ich keineswegs sicher, ob es mir tatsächlich gelingen würde, alle Fäden zusammenzuführen – es war ja die erste Krimireihe, die ich geschrieben habe. Im Nachhinein hat es viel Spaß gemacht und ich glaube, dass es der Geschichte mehr Tempo verleiht und auch die Leser*innen spüren, dass die Handlung auf ein »großes Finale« zusteuert und nicht einfach ins Leere läuft. In der Jenseits-Trilogie versuche ich, diese Effekte noch zu verdichten.

In Ihren Romanen spielen charakterstarke Frauen die Hauptrollen. Braucht die deutsche Krimiszene mehr weibliche Protagonistinnen?

Ich persönlich kann nie genug Geschichten über interessante Frauen lesen. Meine eigenen Bücher leben von Protagonist*innen, die spannend genug sind, um eine Reihe über mehrere Bände zu tragen. Der Rebellin Lila, die mit ihrer posttraumatischen Belastungsstörung ringt, ist das über neun Bücher gelungen, und auch mit der sensiblen Eddie, deren Selbstwert in ihrer Ehe so gelitten hat, dass sie am Wiedereinstieg in ihren Job zu scheitern droht, ist mir beim Schreiben nicht langweilig geworden.
In der Jenseits-Trilogie gibt es neben Eddie allerdings auch eine männliche Erzählstimme: Ich-Erzähler Joseph ›Zombie‹ Rheinhart kämpft mit seinen Aggressionen. Und seine Geschichte zu erzählen hat mir ebenfalls viel Spaß gemacht. Ausschließlich auf die weibliche Perspektive festlegen, möchte ich mich also nicht.

Autorin

Lucie Flebbe wurde 1977 in Hameln geboren. Sie arbeitet als Physiotherapeutin und lebt mit Familie in Bad Pyrmont. 2008 wurde sie für ihr Romandebüt Der 13. Brief (Grafit Verlag) mit dem Friedrich-Glauser-Preis als beste Newcomerin ausgezeichnet. Der letzte Band ihrer aktuellen Krimireihe erscheint im Oktober 2019.

Ihre Protagonistinnen haben genauso »Ecken und Kanten«, wie Sie es in einem Interview bei Radio Bochum 2018 über die Stadt Bochum gesagt haben. Wie kommen Sie auf diese »Ecken und Kanten«?

»Ecken und Kanten« verleihen Charakter. Erst das macht Figuren wie Städte interessant, finde ich. Deshalb ist Bochum ein wunderbarer Schauplatz, die Stadt verleiht meinen Krimis beinahe automatisch einen gewissen Charme. Figuren zu erfinden, denen das ebenfalls gelingt, ist nicht einfach. Das kostet mich sehr viel Arbeit, denn gerade bei meinen Ich-Erzählungen ist es entscheidend, dass die Figur, die die Leser*innen durch die gesamte Reihe begleitet, nicht langweilig ist.

Auch in der Jenseits-Triologie geht es um familiäre und berufliche Rollenverteilungen zwischen Männern und Frauen, die Selbstpositionierung der Protagonistin, um Abhängigkeit und Emanzipation. Inwiefern haben Ihre Romane die Funktion, vermeintlich geschlechterspezifische Rollenverteilungen zu problematisieren, gesellschaftliche Klischees zu enttarnen und scheinbare Männerdomänen in Frage zu stellen?

Interessant, dass Sie fragen. Obwohl meine Protagonistin Lila sich im ersten Band der Reihe Der 13. Brief bereits auf Seite zwei recht offensichtlich als Feministin outet, ist mir die Frage noch nicht gestellt worden. Für mich als Frau, berufstätige Mutter und Personalvertreterin gehören familienpolitische Themen und Gleichstellung zum Alltag.
Durch ihre Vorgeschichte besitzt Lila einen scharfen, wenn auch nicht vorurteilsfreien Blick für Männerdomänen und Rollenklischees. Eddie hingegen versucht, aus der ›Hausfrauenfalle‹ herauszukommen und auch ›Zombie‹ als Mann hat seine ganz eigene Geschichte… nun ja, lasst Euch überraschen.
Meine Figuren scheitern gern mal grandios und hoffentlich unterhaltsam an diesen Themen. Wenn sie dadurch zum Nachdenken über vermeintlich geschlechterspezifische Rollenverteilungen, gesellschaftliche Klischees oder scheinbare Männerdomänen anregen, habe ich ganz sicher nichts dagegen.

Was braucht ein Krimi, damit es ein guter Krimi ist?

Krimis sind unglaublich vielseitig, sie können thrillerartig spannend, blutrünstig, lustig, romantisch, gesellschaftskritisch oder auch mit Mystery-Elementen versehen sein. Wenn es gut geschrieben ist, kann ich eigentlich alles lesen. Am meisten Spaß machen mir persönlich Bücher mit gut gezeichneten Figuren. Auf den blutigsten aller Serienmorde hingegen kann ich auch mal verzichten.

Bochum, Hameln, das Weserbergland, Nettetal am Niederrhein – wie wichtig sind die Orte für die Handlungen Ihrer Romane? Und wonach suchen Sie sie aus?

Der Handlungsort beeinflusst nicht nur die Atmosphäre der Geschichte, sondern auch die Figuren. Das muss alles zusammenpassen.
Meine beiden Krimireihen spielen in Bochum. Die Stadt liefert natürlich eine tolle Kulisse mit jeder Menge rauem Charme und manchmal sogar spektakulären Schauplätzen, wie zum Beispiel dem im Abriss befindlichen Opelwerk. Genauso wichtig sind aber die Menschen, die dort leben. Die offene, recht direkte Art vieler Menschen im Ruhrgebiet passt einfach zu meinen Geschichten. Wo sollten Figuren wie Molle, Danner oder Mütze sonst leben?

Lehrer, analphabetische Reinigungskräfte im Krankenhaus, Kindergärtnerinnen, Obdachlose, ambulante Pflegedienstkräfte, Nachbarn in Schrebergärten… die Palette Ihrer Figuren ist vielfältig. Und immer neu treffen Sie glaubhaft Dialekte und Soziolekte Ihrer Charaktere und erzeugen einen eigenen Sound, ich denke nur an die Dialoge zwischen den Obdachlosen in Fliege machen. Wie gelingen Ihre Figurenstudien?

Danke schön, ich freue mich sehr, wenn meine Figuren echt wirken.
»Figurstudien« ist allerdings ein sehr akademischer Begriff. Ich schreibe einfach über Menschen, die versuchen, ihren Alltag zu meistern, die meisten meiner Figuren könnten auch meine Nachbarn sein.
Als Physiotherapeutin versuche ich, meine Patient*innen wieder fit für den Job zu machen. Dabei bekomme ich Einblicke in verschiedene Arbeitswelten und erfahre im Gespräch auch häufig von persönlichen Problemen, wie der Pflegebedürftigkeit der Mutter oder der Sorge um ein Kind mit Handicap. Viele dieser Themen berühren mich, dann recherchiere ich weiter, gehe zum Beispiel mit einem ambulanten Pflegedienst oder dem Integrationsbeauftragten einer Werkstatt für Menschen mit Handicap ›auf Tour‹.
In meinen Büchern geht es also nicht um die Intrigen der Reichen und Schönen, sondern um das ›echte Leben‹. Vielleicht trägt das dazu bei, dass die Figuren trotz des Unterhaltungscharakters der Geschichten authentisch wirken.

… und wie war das bei der Figur ›Zombie‹?

Ich wollte über Aggressionen schreiben. ›Zombie‹ kam dabei heraus.

Im Gegensatz zu Ihren Erwachsenenromanen ist die Fantasywelt in Die Legende von der letzten Hexe bevölkert von Fabelwesen. Auf Ihrer Homepage kündigen Sie eine Pferdegeschichtentrilogie an. Gibt es Kinderstoffe? Wie schreibt man gut für Kinder?

Meine Kinderbücher sind entstanden, weil meine Kinder noch keine Krimis lesen dürfen. Die Texte sind leicht verständlich und natürlich trotzdem spannend, und sorgen so für erste Erfolgserlebnisse bei Leseanfänger*innen. Bei meinen Kindern konnten sie die Neugier auf Bücher wecken – und mittlerweile haben Kaja, Diggel und Mu, die Figuren aus Die Legende von der letzten Hexe schon eine ganze Menge kleiner Fans. Nach »Kinderstoffen« suche ich allerdings nicht. Sowohl bei meinen Krimis, als auch bei meinen Kinderbüchern schreibe ich über Themen, die mich interessieren und hoffe, dass es anderen ähnlich geht.

Schreiben Sie lieber für Erwachsene oder für Kinder?

Ich schreibe für alle, die meine Geschichten mögen. Und wenn jemand nichts damit anfangen kann, geht das natürlich auch in Ordnung.

Was wünschen Sie sich von Ihren Leser*innen?

Ich hoffe, dass meine Geschichten ihnen Spaß machen. Ich schreibe ja, damit meine Bücher auch jemand liest und im besten Fall ein paar Stunden den Alltag vergessen und in eine andere Welt eintauchen kann.

Sie posten auf Ihrer Homepage, bei Facebook oder Instagram regelmäßig neueste Arbeitsergebnisse, Hintergrundmaterial zu Recherchen und Wissenswertes rund ums Schreiben. Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zu Ihrer Leser*innenschaft?

Das Internet bietet tolle Möglichkeiten, direkt mit meinen Leser*innen in Kontakt zu sein. Einige begleiten mich schon, seit Lila Zieglers erster Fall Der 13. Brief erschienen ist. Und ab und zu ergibt sich zum Beispiel bei Lesungen sogar die Gelegenheit für ein persönliches Treffen – wenn man sich schon so lange virtuell kennt, ist das natürlich etwas ganz Besonderes.
Viele Leser*innen unterstützen meine Arbeit, indem sie sich die Mühe machen, eine Rezension zu schreiben. Das finde ich großartig, gerade wenn man nicht unbedingt Mainstream schreibt, ist das für die Sichtbarkeit der Bücher sehr wichtig.
Auf meiner Homepage können Interessierte Zusatzinfos wie Buchtrailer, Bilder von den Recherchen und Schauplätzen u.v.m. entdecken und erfahren unkompliziert von Neuerscheinungen und Veranstaltungen.

Wen oder was lesen Sie selbst besonders gern?

Ich lese eigentlich alles, von den Klassikern aus dem Deutschunterricht über Herr der Ringe bis hin zur Schnulze mit rosa Herzchen auf dem Cover. Biografien, Krimis natürlich immer gern, und natürlich jede Menge Sachbücher über Themen wie ›Waffenrecht‹, ›Knast‹ oder die Geschichte der Zechen im Ruhrgebiet.

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