Spot an für die Dystopie

Felix Hafner bringt im Münchner Volkstheater Aldous Huxleys Klassiker Schöne neue Welt durchkonzipiert auf die Bühne. In seiner Inszenierung gelingt es ihm, die Schattenseiten des Kollektivs zu beleuchten. Zum Teil führt dies jedoch auch zu unglaubwürdigen Übertreibungen.

Von Anika Tasche

Bild: By Julien Reveillon via unsplash, unsplash licence

Keine Kriege mehr, keine gefährlichen Krankheiten oder Menschen, die unter Armut leiden. Solch eine Welt beschreibt Aldous Huxley in seinem 1932 verfassten Science-Fiction-Klassiker Schöne neue Welt. Doch wie alles im Leben hat auch dieses traumhafte Leben seinen Preis und der heißt die Freiheit.

Reihe

Direkt aus Göttingen verschlug es unsere ehemalige Redakteurin für ein Volontariat in einem renommierten Literaturverlag nach München. Zwei ihrer großen Leidenschaften, Litlog und Theater, bleibt sie in unserer Reihe »Bis der Vorhang fällt« als Münchener Theaterkorrespondentin dennoch treu.

In der ›schönen neuen Welt‹, die der junge Regisseur Felix Hafner am Münchner Volkstheater darstellt, treten sieben Menschen auf – Individuen wäre hier zu weit gegriffen, denn in dieser Gemeinschaft geht nichts über das Kollektiv. Die Fortpflanzung geschieht im Reagenzglas und quasi mit der Geburt wird jede Person einer Kaste zugeordnet, in der sie sich entwickeln darf, die ihr Leben vorbestimmt. Aber auch wenn die Fortpflanzung auf künstlichem Wege passiert, so ist Sexualität doch ein großes Thema: Jeder schläft hier nämlich mit jedem – es wird wirklich alles geteilt! Dabei geht jedoch die Selbstbestimmung abhanden. Gruppenaktivitäten bestimmen das Leben. Dagegen sträubt sich der junge Wissenschaftler Bernhard Marx (Timocin Ziegle). Denn nur zu gerne ist er alleine, was einer von vielen Gründen sein mag, dass er sich zusammen mit Lenina Crowne (Julia Richter) auf den Weg ins Reservat macht. Dort leben die ›Wilden‹, die noch eine Mutter haben und mitunter von Krankheiten befallen sind. Die beiden beschließen den jungen ›Wilden‹ John Savage (Silas Breiding) und seine Mutter mit in die ›schöne neue Welt‹ zu nehmen. Und damit nimmt das Unheil seinen Lauf.

Der unverblendeteWilde

Denn dass John etwas Rebellisches in sich trägt, wurde bereits zu Beginn des Theaterabends deutlich. Er eröffnete die Inszenierung, indem er den Vorhang herunterriss. (Frei nach dem Reihenmotto: Bis der Vorhang fällt.) Und was hinter dem Vorhang sichtbar wurde, war ein großer Kreis aus Lichtstrahlern, der an der Hinterwand der Bühne hing: Big Brother is watching you! Und tatsächlich sollte es im Laufe des Abends offensichtlich werden, dass das Licht die Bewohner der ›schönen neuen Welt‹ (ver)blendet. Davon abgesehen war die Bühne leer, was die Sterilität dieser neuen Welt nur zu gut unterstrich.

Nachdem John das Geheimnis hinter dem Vorhang gelüftet hatte und mitsamt diesem auf die Nebenbühne davongezogen war, begann das Kollektiv seinen durchgeplanten Alltag darzubieten, indem das gesamte Ensemble (ausgeschlossen Silas Breiding) sich nach einer Choreografie von Vasna Aguilar zu bewegen begann, die unaufgeregt wirkte, dabei aber die Dynamik der Gruppe eingänglich widerspiegelte. Immer wieder baut Hafner solche Passagen in seine Inszenierung ein.

Als John jedoch in die neue Welt kommt, gerät das System ins Wanken. Es stellt sich die Frage, ob es wirklich besser ist, sich gänzlich zu unterwerfen, anstatt sein selbstbestimmtes Leben zu führen. So hat John eine Schwäche für Shakespeare, aus dessen wichtigsten Dramen er immer wieder Szenen darbietet. Demgegenüber steht der Autor der ›Fühldrehbücher‹ Helmholtz Watson (Mehmet Sözer), deren Vorführungen im Kino alle Sinne der Bewohner*innen trifft und damit ganzkörperliche Events sind. Watson darf sich in seinen Arbeiten eben doch nicht frei entfalten. Widersetzt sich Watson den Anweisungen, landet er auf einer einsamen Insel. Und wer will das schon, wenn man doch das Kollektiv gewohnt ist? Immer wieder baut Hafner solche Spannungen in seiner Produktion auf. Oftmals geraten diese etwas zu plakativ, wodurch die Inszenierung an Glaubwürdigkeit verliert.

Ein tragendes Konzept

Diese Schwächen macht die Inszenierung mit den durchkonzipierten Choreografien und der zur neuen Welt stimmig komponierten Musik (Clemens Wenger), einer Mischung aus psychedelischer Pop- und Discomusik, wieder weg. Ebenso muss es eine Freude gewesen sein, die Kostüme zu entwerfen (Janina Brinkmann), die sich irgendwo zwischen 70er Jahre und hautengen Lackhosen befinden. Das Grundkonzept der Inszenierung ist in sich stimmig. Zerrissen bin ich in der Bewertung, wie gut Felix Hafner die Adaptation des Klassikers gelingt. Zwar übertreibt er es nicht mit digitalen Entwicklungen oder Ähnlichem und streicht auch konsequent die Handlung um den Autobauer Henry Ford, doch fehlt das letzte Fünkchen, um wirklich alles zu glauben, was dort auf der Bühne geschieht. Wie viel solche Romanadaptionen also wert sind, bleibt weiterhin ungeklärt.

Wie gerne ich nun schreiben würde »bis der Vorhang fällt«, aber das ist hier ja nun schon passiert. (Danke, John Savage!) Aber bis diese Staffel zu Ende ist, gebe ich mir noch Zeit. Wer weiß, vielleicht findet sich ja noch eine Inszenierung, die anders mit der literarischen Vorlage umgeht, bevor der Vorhang wirklich fällt.

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