Jonathan Safran Foer tut mit Wir sind das Klima das, was er am besten kann: ein Buch schreiben, in dem man sich wiederfindet. Dabei verwebt er eines der größten Themen unserer Zeit – den Wettlauf gegen den Klimawandel – mit etwas scheinbar ganz Kleinem: dem individuellen Menschsein.
Von Axel Hanmann
Jonathan Safran Foer ist schon lange kein unbeschriebenes Blatt mehr. Mit seinen Romanen Alles ist erleuchtet und Extrem laut und unglaublich nah sowie seinem sehr persönlich geschriebenen Sachbuch Tiere essen erschien er in internationalen Bestsellerlisten. In seinem Sachbuch Wir sind das Klima greift er nicht nur die Frage auf, was richtiges Handeln bedeutet, sondern zeigt eindringlich, wie man dieses praktisch umsetzen kann.
Dabei geht das Buch nicht in klassischer Sachbuchmanier vor. Szenenhaft inszeniert Foer in jedem der fünf großen Kapitel einen überraschend neuen Schwerpunkt mit anderem Erzählstil: Er beginnt mal mit persönlichen, mal mit wissenschaftlichen und mal mit gesellschaftlichen Erzählungen. So schreibt er über das Lieblingsbuch seiner Kindheit, die erste Reise zum Mond, die eigenen Rückschläge und was es für uns bedeutet, unsere Heimat zu verlassen oder zu retten. Zuerst verbindet diese Geschichten nichts außer ein dramatisches Momentum. Erst nach und nach entstehen die ersten Querverbindungen und man ahnt, dass sich dort langsam ein größeres Bild abzeichnet, das noch darauf wartet, entdeckt zu werden.
In diesem Buch geht es dabei ganz klar nicht um die Verantwortung der Politik oder der Wirtschaft. Foer blickt auf das Individuum, auf die Verantwortung und Moral des Einzelnen, ohne den Klimawandel letztendlich durch Individualismus lösen zu wollen. Er fragt vielmehr: Welche kleinen Opfer sind wir als Menschheit überhaupt zu erbringen bereit? Und vor allem, sind wir bereit, Opfer zu bringen, ohne die der Klimawandel bald nicht mehr aufgehalten werden kann?
Eine Klimaschutzgeschichte der Menschlichkeit
Die Leichtigkeit, mit der Foer es schafft, Menschlichkeit in ihren Stärken und Schwächen sichtbar zu machen, ist zauberhaft. Was ist menschlich nach Foer? Ganz sicher nicht Perfektion. Sondern: Schwächen eingestehen und trotzdem die eigenen Möglichkeiten wahrnehmen. Gleichzeitig probieren, die Welt mit offenen Augen zu sehen. Die eigenen Grenzen zu erkennen. Foer stellt deutlich heraus, warum es deshalb, selbst wider besseres Wissen, den Menschen häufig schwerfällt, ihr Verhalten an ihre Kenntnisse über den Klimawandel anzupassen. Warum Konsequenz in letzter Konsequenz so schwierig ist.
Jonathan Safran Foer
Wir sind das Klima
Kiepenheuer & Witsch: Köln 2019
336 Seiten, 22,00€
Gleichzeitig spielt Foer über lange Zeit mit der Ungewissheit der Leser:innen und verrät nicht, wofür er plädiert. Das mag zuweilen simpel erscheinen. Er webt diese Ungewissheit jedoch geschickt in den Erzählfluss ein. Springt von einer scheinbar abwegigen Anekdote zur nächsten und baut damit eine Geschichte, die ohne ersichtlichen roten Faden die Leser:innen mit ihrer Finesse in den Bann zieht: über die Geschichte des ersten Abschiedsbrief und der des Zweiten Weltkriegs zu Dilemmata der Psychologie. Obwohl diese Themensprünge plötzlich scheinen, wirken sie am Ende nicht forciert oder erzwungen, wenn sie sich zusammenfügen. Sondern Foer schafft es, ein detailreiches Bild zu zeichnen, das eben aufgrund dieser wilden Mixtur an Informationen nahtlos ineinandergreift und sich ergänzt.
Das alles zeichnet er allzu menschlich, auch anhand seiner eigenen Geschichte, nach. Er erzählt vom Autor, der drei Jahre über Massentierhaltung recherchiert, einen Weltbestseller schreibt, seine Kinder probiert, vegetarisch zu erziehen und am Ende trotzdem hin und wieder zum Fast-Food-Burger greift. Er stellt sich zuweilen in den Mittelpunkt, ohne sich selbst ein Denkmal zu setzen. Und genau dadurch weiß sein Buch am Ende zu überzeugen. Nicht weil er Fakten aufzählt, die man schon kennt oder mit erhobenen Zeigefinger den Moralapostel spielt. Es bleibt ehrlich. Ungeschminkt. Und hält dem:r Leser:in deshalb deutlich glaubhafter den Spiegel vor: Es scheint immer noch eine unbequeme Wahrheit zu sein, bei sich selbst anzufangen. Weil er dabei das Dialektische, die Widersprüche der menschlichen Psyche und Handlungen nicht nur fabelhaft aufzeigt, sondern in großen Teilen auch auflöst, wird sein Buch am Ende schlüssig.
Handeln anstelle von Hoffen
Foer beginnt sein Buch beim Unglaublichen, den vielen kleinen und großen Geschichten der Menschheit. Und dem Unglauben darüber, dass Probleme nicht in die Hand genommen werden. Er regt sich nicht über das menschliche Fehlverhalten auf. Sondern gibt eine (vermeintliche) Antwort darauf, wie man als Individuum auf diesen kollektiven Suizid, den wir menschengemachten Klimawandel nennen, praktisch antworten kann und stellt ökologische Unsinnigkeiten klar heraus. Diese Antwort ist gut recherchiert, einfach und stichhaltig. Jede:r könnte diese umsetzen. Der Einschnitt in die Lebensqualität ist minimal, nicht mit finanziellen Kosten verbunden und benötigt keinerlei strukturelle Vorlaufzeit, sondern kann direkt umgesetzt werden.
Trotzdem bleibt am Ende die Frage, ob die vorgeschlagene Lösung nicht doch zu einfach ist. Auch wenn Foer immer wieder erwähnt, dass es eben nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist, sagt er ganz deutlich, dass es aber eben ohne diesen Schritt nicht geht. Die Wahrheit ist auch: Bücher über scheinbar unlösbare Probleme sind hart und durch den Lösungsansatz werden sich die Leser:innen nach der Lektüre entlasteter fühlen. Das kann jedoch leicht dazu führen, das Buch aus dieser Haltung der Selbstbeweihräucherung zur Seite zu legen. Zu denken, man habe damit genug getan. Wie Foer jedoch die bisherigen Bemühungen kritisiert hat, beißt sich die Katze dort selbst in den Schwanz:
Es sollte daher erst der Anfang und nicht schon das Ende des Handelns sein.
Alles in allem ist dieses Buch eines der besten Beispiele für literarische Entgegnungen zur Klimakrise. Foer schreibt jedes Kapitel lässig und packend zugleich und schafft eine Symbiose aus Humor, Wissenschaft und Lebensphilosophie. Für Menschen, die ein trockenes Sachbuch ohne allzu viel persönliche Einflüsse des Autors oder der Autorin suchen, ist dieses Buch nicht zu empfehlen. Foer schreibt mit seiner ganzen Seele. Er macht aus etwas Unspektakulären eine Story. Und hämmert dabei den Leser:innen den Nagel der Erkenntnis so sachte ein, dass sie es kaum bemerken. Aber wenn diese Einsicht den:die Leser:in am Ende noch ein wenig sticht, bildet gerade dies ein solides Fundament für langfristiges Handeln.