The Face of Fantasy

Via Pixabay, CC0, Bearbeitung: Hanna Sellheim

Als der US-amerikanische Fantasy-Autor Terry Goodkind im Herbst 2020 starb, schien das in Deutschland kaum jemanden zu interessieren. Dabei hatte der umstrittene Autor längst Weltrang erreicht. Über ein Genre und einen seiner polarisierenden Vertreter.

Von Linus Lanfermann-Baumann

»This morning, Thursday, September 17th, we lost Terry Goodkind. It is a great loss.« So stand es im letzten Herbst auf der Facebook-Seite des US-amerikanischen Fantasy-Autors Terry Goodkind, der im Alter von 72 Jahren aus unbekannten Gründen verstorben war. Weit über diesen Post hinaus wurde von seinem Ableben hierzulande jedoch kaum etwas bekannt. Ein ausgesprochen negativer Nachruf in der Stuttgarter Zeitung, eine minimalistische Information in der österreichischen Tageszeitung Der Standard, das war es dann auch schon in der deutschsprachigen Medienlandschaft, von kleineren Fachportalen abgesehen. Ist das nicht verwunderlich, wenn jemand 25 Millionen Bücher verkauft hat, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden?

So habe ich erst ein halbes Jahr später zufällig von seinem Tod erfahren. Dass er in der »ernsthaften« Literaturkritik als Fantasy-Autor keine größere Rolle spielte, war sicherlich eine Ursache für das mediale Desinteresse. Doch ist dies allein kein hinreichender Grund, schließlich griffen Zeit, Süddeutsche, FAZ und Co den Tod der britischen Genregröße Terry Pratchett, der mit seinen humorvollen Scheibenwelt-Romanen zugegebenermaßen noch einmal erfolgreicher war, 2015 breit auf. Vielmehr geht es wohl auch um Goodkinds problematische politisch-philosophischen Ansichten und seine überhebliche Persönlichkeit, die dem allseits beliebten, gewitzten britischen Nationalhelden Pratchett beinahe diametral gegenübersteht. Als langjähriger Fan sehe ich mich herausgefordert, Goodkind nach seinem Tod noch einmal neu zu bewerten.

High Fantasy vom Feinsten

Reihe

Ob Essen oder Popkultur: Der Begriff »Guilty Pleasure« beschreibt alles, für das wir uns schämen, wenn wir es mögen. Doch warum glauben wir überhaupt, dass mancher Genuss schamvoll ist? In unserer Reihe »Unguilty Pleasures« wollen wir dem Begriff auf den Grund gehen und ihn dabei hinterfragen. Dafür erzählen Litlog-Autor:innen, welche Unterhaltungs-Genres und Trash-Formate sie am liebsten konsumieren – und fordern: Vergnügen ohne Scham! Weitere Beiträge findet ihr hier.

1994 veröffentlichte Goodkind mit Wizard’s First Rule (»Das erste Gesetz der Magie«) seinen ersten Roman. Es sollten über dreißig weitere folgen, die meisten in der Reihe angesiedelt, die er in seinem Debüt eröffnete, »Das Schwert der Wahrheit« nannte und jahrzehntelang ausbaute. Goodkind schrieb klassische High Fantasy mit uralten Motiven, die J. R. R. Tolkien in den 1950ern der menschlichen Sagenwelt entnahm und für das moderne Fantasy-Genre etablierte: Ein romantischer Held ungeklärter Herkunft begibt sich auf eine lange Quest im Kampf gegen das Böse und hat sich auf dem Weg die Frage nach seiner eigenen Identität zu beantworten. Seine Heldenreise führt ihn schwertkämpfend und magiewirkend in ferne Länder und Kulturen, wobei er sich verschiedenen Herausforderungen und Gefahren zu stellen hat. Schließlich meistert er auch den apokalyptischen letzten Konflikt: Das Gute geht siegreich aus dem Kampf gegen das Böse hervor.

Nun ist ein Genre wie das der Fantasy, das zunehmend diverser und breiter aufgestellt ist und lange schon nicht mehr nur aus Tolkienscher High Fantasy besteht, schwerlich auf diese gemeinsamen Grundzüge zu reduzieren. (Auch wenn bei Verlagen immer noch die Tendenz besteht, jeden neuen Schmöker groß als »den besten seit Tolkien« anzupreisen.) Doch zeichnete sich Goodkind gerade dadurch aus, dass er die klassische High-Fantasy-Erzählung meisterte, es ihm gewissermaßen gelang, eine epische Geschichte über Jahrzehnte hinweg überzeugend und lange ohne bedeutenden Qualitätsverlust weiterzuspinnen.

Mit 13 Jahren hat er mich zum ersten Mal in seinen Bann gezogen, dank meiner älteren Schwester, ohne die ich ihn womöglich nie entdeckt hätte. Und erst nachdem die Bücher 16 bis 18 mich nicht mehr überzeugen konnten, habe ich gemerkt, dass meine Zeit mit Goodkind womöglich vorüber ist.

Competent People

Wofür ich mich so begeistern konnte und was letztlich wohl schlichtweg Geschmackssache ist, war zunächst Goodkinds Protagonist Richard Cypher als »competent man« – ein alter Typus, der maßgeblich von Science-Fiction-Legende Robert A. Henlein mitgeprägt wurde. Richard konnte scheinbar alles (zumindest lernen) und erschloss sich viele Dinge immer wieder vernunftbasiert selbst. Vermutlich hatte ich fürs Erste genug von jugendlichen Eragons, die viele Probleme mit fragwürdigen Entscheidungen erst selbst zu erzeugen schienen, anstatt komplexe Herausforderungen überlegt zu lösen. Richard startet als einfacher Waldführer. Doch bald wird klar, dass er der »Sucher« ist, also vom Schicksal dazu auserkoren, seine friedliche Heimat zu verlassen, um sich mit seiner Waffe, dem titelgebenden Schwert der Wahrheit, des Bösen zu erwehren.

Umfangreich: das Oeuvre von Terry Goodkind. Foto: Linus Lanfermann-Baumann

Kahlan Amnell, die Heldin an Richards Seite, steht ihm in Sachen Kompetenz in nichts nach, ergänzt vielmehr die seine um eine besondere magische und politische Macht. Auch Richards Großvater, der erfahrene Zauberer Zeddicus Zu’l Zorander (ist das nicht ein toller Fantasy-Name?) trägt sein Übriges bei. Kluge, mächtige, wunderschöne Menschen im Kampf für das Gute – natürlich läuft das Gefahr, Figuren zu Schablonen zu verflachen. Die Tendenz hin zu mehr Schwäche in runden Held:innen ist sicher eine gute, die viel zur Vielfalt und Kraft im Genre und in der Literatur überhaupt beigetragen hat und beiträgt. Doch einige besonders fähige Held:innen auf Abenteuern existenziellen Ausmaßes zu begleiten, anstatt sich innerlich über zweifelhafte Entscheidungen zu beklagen, macht mir nach wie vor einfach Spaß. (Vielleicht mag ich deshalb Patrick Rothfuss‘ Kvothe und Tolkiens Gandalf so gerne?)

Am Schwert-der-Wahrheit-Zyklus gefiel mir der Fokus auf dem gesprochenen Wort, ob in philosophisch anmutenden Predigten oder im Dialog zwischen den Charakteren. Ich mochte das im wahrsten Sinne des Wortes fantastische Worldbuilding mit epischen jahrtausendealten Kriegen, die kolossale magische Grenzen zwischen ganzen Welten erschaffen hatten und auf die Erzählgegenwart einwirkten. Besonders angetan war ich von dem komplexen Magiesystem und den interessanten Gesellschaften außerhalb von Richards Wäldern. Nicht nur Goodkind, sondern die Fantasy-Lektüre insgesamt bedeuteten mir gerade nicht eskapistische Realitätsferne – was ohnehin nicht zwingend eine negative Funktion sein muss, doch oftmals als abschätziges Vorurteil geäußert wird. Vielmehr regten sie jahrelang meine Vorstellungskraft an und boten mir ein schier unerschöpfliches Identifikationspotenzial. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass viele Menschen nach wie vor über die Fantasy-Literatur zum Lesen finden.

Desillusionierung

Erst Jahre später, als Goodkind in meinem Kopf längst schon einen gottähnlichen Status angenommen hatte, habe ich begonnen, sein Werk kritisch zu reflektieren. Da ist zunächst die philosophisch-politische Haltung von Goodkind selbst, die stark an den Objektivismus von Ayn Rand angelegt ist und die seine Figuren immer wieder auf problematische Art und Weise verkörpern. Der Laissez-faire-Kapitalismus als ideales System, radikaler Individualismus, Egoismus als hoher Wert, der konkret etwa die Ablehnung von Entwicklungshilfe mit einschließt – erst spät wurde mir klar, inwiefern Randsche Ideen, mit denen ich so gar nichts anfangen konnte und wollte, in die Reden von Goodkinds Charakteren durchsickerten, die ich als Jugendlicher so gerne gelesen hatte.

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Terry Goodkind
Das erste Gesetz der Magie

Blanvalet: München 2021
1088 Seiten, 14,00€

Seine Antagonist:innen, so hat der Autor es selbst gesagt, sind »as the real Dracula, as Pol Pot, as Saddam Hussein, as Mao Zedong. They all are dictators who preach that everyone must sacrifice themselves for the greater good.« Goodkind schrieb in seinen Romanen gegen solche Gesellschaften an, die alle Menschen irgendwie gleichmachen wollen und das Kollektiv über das Individuum stellen. Seine bald übermenschlichen Protagonist:innen dagegen besiegen diese diktatorischen Systeme in ihrem idealisierten Individualismus, wodurch sie stark an die Held:innen aus Ayn Rands Romanen erinnern, allen voran Howard Roark aus The Fountainhead (1943). Goodkinds problematische Antwort auf reale kommunistische und religiös motivierte Gewalt, so könnte man sagen, ist der moderne amerikanische Neokonservatismus.

Dazu passt die gewalttätige Natur der Romane, in denen nahezu alle Bösen sadistische Vergewaltiger:innen sind, was Goodkind allzu gerne beschreibt. Der Sexismus-Vorwurf – eher die Vorwürfe – sind alles andere als unplausibel. (Es würde sich sicher lohnen, einmal das gesamte Genre dahingehend auszuleuchten. Wem fällt eine aktiv handelnde weibliche Figur in Herr der Ringe ein?)

»My work has changed the face of fantasy«

Schließlich ist da noch der Narzissmus des Autors, den ich nur schwer ertragen kann, nachdem ich ihn mir all die Jahre ganz anders vorgestellt hatte. Am schmerzhaftesten ist vielleicht, wie er sein eigenes Genre in sachlich falschen oder irreführenden Aussagen wiederholt in den Schmutz zog:

I don’t write fantasy. I write stories that have important human themes. They have elements of romance, history, adventure, mystery and philosophy. Most fantasy is one-dimensional. It’s either about magic or a world-building. I don’t do either.

Ein:e Leser:in fragte ihn einmal bezüglich der Ähnlichkeiten seiner Bücher zu dem älteren Werk von Robert Jordan, von dem Goodkind sich offensichtlich hat inspirieren lassen. Die verächtliche Antwort des Autors: »If you notice a similarity, then you probably aren’t old enough to read my books.« Warum es bei ihm keine Zwerge oder Elben gebe? »My purpose is not weirdo cultural diversity. I repeat: I am writing stories about important human beings.« Sein Status in der Fantasy-Welt? »What I have done with my work has irrevocably changed the face of fantasy. In so doing I’ve raised the standards. […] Agents and editors are screaming for more books like mine.« Einen Bescheidenheitspreis wird Goodkind posthum nicht erhalten – dass seine arrogante Selbstinszenierung so viel Kritik erntet, überrascht dennoch. Denn dass Überheblichkeit auf der anderen Seite nicht vor Nobelpreisen schützt, zumindest wenn man als intellektueller Literat und nicht als Fantasy-Autor wahrgenommen wird, hat der Fall des Genozid-Verharmlosers Peter Handke unlängst bewiesen.

So passt es auch ins Bild, dass Goodkind 2018 den Cover Artist seines neuen Buchs öffentlich auf Facebook lächerlich machte und dessen Cover »laughably bad« nannte. Zugegeben, Goodkinds unter widrigen (Witterungs-)Bedingungen weitreisende Heldin trug darauf ein ärmelloses Oberteil und Stiefel mit Absätzen (kein Scherz). Doch den begabten Künstler, der ausschließlich die strikten, wenn auch idiotischen Vorgaben des Verlags umzusetzen hatte, dafür öffentlich bloßzustellen – auch den Preis für respektvollen Umgang kann er sich wohl abschminken.

Und dennoch möchte ich die Lektüre nicht missen. Goodkinds Literatur bleibt trotz aller Problematik ein Lesegenuss für alle, die den neokonservativen Narzissten hinter dem Werk für eine Weile ausblenden können und in die brillant-epische Story versinken möchten. Das Schwert der Wahrheit ist High Fantasy vom feinsten, auch wenn viele Gegner:innen ihm bei aller berechtigter Kritik auch diese Qualität absprechen möchten. Die Verfilmung als Fernsehserie von Sam Raimi, die den existenziellen narrativen Umfang der Romane zugunsten von in sich geschlossenen Episoden weitgehend aufgibt und den competent man Richard Cypher mit einem incompetent Bubi völlig fehlbesetzt, kann man sich dagegen sparen. (Es sei denn, die Schauwerte des neuseeländischen Drehorts genügen dem:r Zuschauer:in zur Unterhaltung.)

Fantasy heute

In der Gegenwart sieht sich das Fantasy-Genre noch immer vielen Vorurteilen gegenüber, die der zunehmenden Diversifizierung etwa durch Urban Fantasy, Dark Fantasy oder auch den Magischen Realismus (schon mal über Márquez als Fantasy nachgedacht?) nicht gerecht werden. Goodkind selbst hat das immer wieder festgestellt, als er während seiner Tour die Buchläden der Flughäfen aufsuchte: »Every other book on the New York Times List is there, but mine’s not – because it’s fantasy.« Die weitgehende Nichtbesprechung seines Todes, zumindest im deutschsprachigen Raum, hat sicher ähnliche Gründe. Doch mag es auch der Fall sein, dass zumindest einige Medien dem problematischen Autor schlichtweg keine Plattform bieten wollten.

Ähnliche Ressentiments gegenüber dem Genre, die stellvertretend für eine weit verbreitete Fantasy-Skepsis gelten können, schien auch ein Stefan Raab zu hegen, als er 2012 in einer Folge TV total mit der erfolgreichen deutschen Fantasy-Autorin Jenny-Mai Nuyen sprach (»Is ja so Fantasy-Zeug, sach ich jetzt mal, um es neutral zu halten.«) Er spielt den Part des naiven Fragenstellers mit Hang zum Altherrendasein, der Nuyens aktuelles Buch zur Vorbereitung natürlich nicht gelesen hatte. Die zu diesem Zeitpunkt 24-jährige Nuyen gibt ihm darauf schlagfertige und nuancierte Antworten, die einen fernsehunterhaltsamen Kontrast aufbauen. Besonders schön:

Raab: »Fantasy ist ja so ein Genre, das kann man ja so oder so finden, ne?«

Nuyen: »Nein, ich glaub man kann es eigentlich nur gut finden oder man kann es noch nicht kennen.«

Dieser Einladung zum Kennenlernen möchte ich mich anschließen. Wohl auch anlässlich des Todes von Goodkind wird dessen gesamter erster Schwert-der-Wahrheit-Zyklus derzeit in einer ansprechenden deutschsprachigen Taschenbuchausgabe neu aufgelegt: Ein guter Zeitpunkt, um anzufangen.

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