Wegen der Pandemie war der Spielbetrieb schlagartig umzustellen. Wie gingen die Theater damit um und welche Probleme traten auf? Ein Blick hinter die Kulissen mit Nico Dietrich vom JT, Antje Thoms vom DT und Barbara Korte vom ThOP.
Von Anna-Lena Brunecker
Titelbild: Via Pixabay, Pixabay Lizenz
So beschreibt Barbara Korte, die Geschäftsführerin des ThOP, die Sicht ihres Teams auf die pandemiebedingten Einschränkungen. Noch drei Proben hätten gefehlt: die Haupt- und die General- sowie die Beleuchtungsprobe. Die Kostüme, so Korte, hängen fertig in den Garderoben, und das Bühnenbild sei auch fast bereit für die Premiere.
Die Auswirkungen der Pandemie sind in allen Bereichen der Gesellschaft zu spüren. Besonders kompliziert ist dabei die Situation der Theater. Diese Kunstform lebt von dem menschlichen Kontakt zwischen Publikum und Schauspieler*innen. Ihnen direkt ins Gesicht blicken zu können, zu wissen, dass jeder Abend anders gespielt wird, Applaus oder Buh-Rufe, das braucht jede*r der Beteiligten. Wie also kann man den menschlichen Kontakt mit dem Abstandsgebot in Einklang bringen, ohne jemanden zu gefährden? Es steht noch mehr auf dem Spiel: Wie soll das Theater finanziell überleben?
Vertreter*innen des DT, des JT und des ThOP erzählen, wie sie mit der Corona-Krise umgegangen sind.
Verlassene Säle, leere Kassen
»Die Corona-Krise trifft Kulturschaffende hart. Wer das JT oder andere Kultureinrichtungen unterstützen möchte, kann mit der Aktion #meinekartemeinebühne helfen: Verzichten Sie auf die Rückerstattung Ihrer Tickets«, wirbt das JT auf seiner Website.
Ab dem 21.Juni untersagten die Behörden der Stadt Göttingen jeglichen Spielbetrieb. Die Tickets der nicht stattfindenden Vorstellungen konnten von den Zuschauer*innen zurückgegeben und gegen Gutscheine eingetauscht werden. So ist allerdings absehbar, dass viele Karten mit Gutscheinen gekauft werden, wenn das Theater wieder Vorstellungen spielt. So könnte es dazu kommen, dass die Theater bis dahin die laufenden Kosten nicht decken können. Um das Problem der Finanzierung nicht in die Zukunft zu verschieben, adressierten die Spielstätten die Zuschauer*innen direkt mit der Bitte, ihre gekauften Tickets verfallen statt sich Gutscheine ausstellen zu lassen.
Beim JT ist die Lage besonders brenzlig: »Wir haben das Problem, dass wir 40% unserer Einnahmen selbst generieren müssen, während es bei anderen Theatern nur 10 oder 12% sind. Und bei uns bedeutet das, dass davon auch die Löhne bezahlt werden. Als Junges Theater 40% selbst machen – da brauchen wir einfach Hilfe«, erklärt der Intendant Nico Dietrich. Er fühle sich zwar von der öffentlichen Hand gut unterstützt: »die helfen uns nach bestem Wissen und Gewissen, und wir sind jetzt auch in Kurzarbeit«. Ebenso wie das DT. Die Arbeitszeit wurde stark reduziert, und viele Mitarbeiter*innen, die zu der gefährdeten Gruppe gehörten, blieben ganz zu Hause. Der Rest des Einkommens wurde aufgestockt. Am 23. März traten <a href=”https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Corona-Schutzschild/2020-03-13-Milliarden-Schutzschild-fuer-Deutschland.html”>Hilfen der Bundesregierung</a> in Kraft, die das Kurzarbeitergeld und mehr finanzieren. Das Problem ist laut Dietrich auch die Auslastung:
Nicht nur die Einnahmen durch die Karten selbst seien wichtig. Auch dass die Zuschauer*innenzahlen konstant bleiben, zähle: »Wir sind jetzt ungefähr bei 1200 Zuschauern in der letzten Zeit, das ist schon sehr viel. Die Konzerte vor Seniorenheimen, dann kommen noch die Autokonzerte dazu, wo dann immer 200-300 Leute in den 80 Autos drin sind. Das ist schon super, selbst mit Corona.« Dietrich findet des Weiteren besonders wichtig, dass gespielt wird, was die Menschen sehen wollen, und sich das Theater so vor allem durch sein Publikum finanziert und nicht hauptsächlich durch staatliche Zuschüsse.
Im DT sind die Einnahmen durch Kartenverkäufe für 20% des Budgets verantwortlich. »Aber diese 20% sind meistens das Geld, was übrig ist für die Kunst, weil die anderen Sachen alles Fixkosten sind. Es müssen Gebäude bezahlt werden, es gibt festangestelltes Personal, die alle zurecht unkündbar sind. Das heißt, wenn diese Einnahmen fehlen, fehlt im Grunde das Budget für die Kunst« – Antje Thoms, Regisseurin am DT, fügt hinzu, dass das Budget für die Kunst bei anderen Häusern oft noch geringer sei. Bei den meisten Theatern seien dies nur 10%, die für Bühnenbildner*innen, Kostüme, Gastkünstler*innen und Regisseur*innen ausgegeben würden. »Das ist eh nur ein geringer Bruchteil, und wenn der wegfällt, weil die Einnahmen nicht erreicht werden, dann bleiben die Theater zu und in Kurzarbeit«, so fasst Thoms die finanzielle Situation zusammen. Thoms wünscht sich eine stärkere Finanzierung durch die öffentliche Hand: Seit drei Jahren wird am DT unter anderem mit Rette dein Theater für eine bessere Förderungspolitik protestiert; »nachdem im Sommer 2018 zunächst von mehr Geld für Theater und Orchester die Rede war, fand sich nach einer Klausurtagung nichts davon im Haushaltsentwurf der Landesregierung wieder. Statt der – von den kommunalen Theatern als Bedarf angemeldeten – 9 Millionen Euro, die inzwischen bereits auf 6 Millionen runtergehandelt worden waren, standen dort 0 Euro«, schrieben sie in einer Petition an den niedersächsischen Landtag 2019. Jetzt sei es vor allem wichtig, sich gemeinsam zu formieren und an bestehenden Petitionen weiterzuarbeiten.
Während der Kurzarbeit richteten JT und DT Werkstätten ein, wo Masken für Ämter und die Mitarbeiter*innen der Theater genäht wurden: »Erst einmal geht es darum, ganz schnell zu helfen«, so Thoms. In der Maskenproduktion hätten die Schauspieler*innen und andere Mitarbeitende freiwillig unter anderem Stoffe gerissen und gebügelt, um die Schneiderei zu unterstützen. »Es hat eine Weile gedauert, bis man angesagt hat, jetzt lasst uns doch mal wieder über Kunst nachdenken«, so Thoms.
Auch nicht festangestellte Mitarbeiter*innen werden zwar durch das Konjunktur-Paket der Bundesregierung berücksichtigt, aber die Maßnahmen wie steuerliche Hilfen und Zuschüsse sind häufig nicht genug. An beiden Theatern arbeiten viele Freiberufler*innen, besonders Regisseur*innen und Musiker*innen. Durch abgesagte Vorstellungen drohen sie ihre Engagements und ihre Einkommen zu verlieren. Deshalb startete das JT eine Aktion, um Geld für ihre Solo-Selbstständigen zu sammeln. Um die ausfallenden Einnahmen auszugleichen und ein politisches Zeichen zu setzen, wurden Karten einer Geistervorstellung verkauft, deren Erlös direkt an die Künstler*innen ging. So konnten laut Dietrich 60% der geplanten Einnahmen der Künstler erstattet werden.
Besser getroffen hat es da das ThOP: »Ich glaube unser Hauptvorteil liegt darin, dass wir keine Personalkosten haben.« Am ThOP arbeiten neben Barbara Korte noch studentische Hilfskräfte, und es müssen die Lehrbeauftragten entlohnt werden. »Aber alles, was Theater ausmacht, ist ehrenamtlich, und da fallen gerade keine Kosten an.« Das ThOP sei eine Einrichtung der Uni, weshalb die wenigen anfallenden Personalkosten für die Lehrbeauftragten von der Universität getragen würden. Eigentlich gebe man nur Geld für das Erarbeiten von Theaterproduktionen aus, was nun nicht möglich ist. »Wir müssen nur mal schauen, wie das wird, wenn im Wintersemester immer noch nicht gespielt werden kann und wir aber trotzdem unseren Lehrbetrieb aufrecht erhalten wollen.« Die Situation ist also nicht direkt existenzbedrohend, allerdings könnte sie sich in späteren Semestern verschärfen, wenn die Krise länger anhalten sollte. Nicht, dass die Universität die Finanzierung des ThOP weiter kürzt…
Am Anfang des Semesters standen die Lehrbeauftragten des ThOP, wie bei vielen anderen Lehrenden und Studierenden der Universität, vor großen Unsicherheiten: »Kann ich meinen Kurs digital unterrichten? Was ist, wenn sich keine Student*innen anmelden unter diesen Umständen und mein Kurs nicht stattfindet?« Viele dieser Ängste konnten zerstreut werden. Die meisten Kurse, außer ein Impro-Kurs und ein Maskenkurs, wurden auf Online-Lehre umgestellt und kurzerhand an die gegebene Situation angepasst: Das Seminar des Dramaturgen, Theaterjournalisten und Lehrbeauftragten Alexander Kohlmann, in welchem die Studierenden ein Theaterfestival besucht und die Inszenierungen besprochen hätten, hieß nun <em>Geschlossenes Theater – Onlineformate in Zeiten der Krise</em>. »Was ich den Lehrbeauftragten hoch anrechne, die da sehr schnell reagiert haben«, lobt Korte. Darüber hinaus seien Kurse wie <em>Szenisches Schreiben</em> und <em>Gruppen und Projekte leiten</em> sehr stark nachgefragt gewesen. Aber gab es vielleicht Probleme für Studierende? »Da wir ja fast alles anbieten können, gibt es da, glaube ich, keine Probleme. Ich habe aber natürlich Rückmeldungen bekommen wie: ›Ich wollte in dem Stück mitspielen, das sollte mein letztes Stück im ThOP sein, das wird jetzt wohl nichts.‹ Aber da geht es um einen Abschluss für eine Lebensphase.«
Das ThOP lebt jedoch von den Stückerarbeitungen und den daraus hervorgehenden Produktionen. Korte berichtet:
Die Kurse des ThOP seien keine Pflichtveranstaltungen, wie zum Beispiel ein Laborpraktikum oder Untersuchungskurse in der Medizin, und somit nicht essentiell. Deshalb habe die Universität keine Erlaubnis erteilt.
Kreativität trotz Kurzarbeit
Durch Corona sind die Theater gezwungen, Neues auszuprobieren. Korte konkretisiert: »Es ist ja ganz unterschiedlich, was die Theater machen. Eine Sache, die ich persönlich sehr genieße, ist, dass viele Theater aus ihrem Archiv Aufführungsmitschnitte ins Netz stellen. Dazu gibt es noch neue Formate, mit denen man versucht, so eine Art ›Live-Gefühl‹ herzustellen. Zum Beispiel gab es beim Theatertreffen einen Live-Chat zu den Inszenierungen, in dem zumindest das Publikum miteinander interagiert und hinterher dann noch ein Gespräch stattfindet.«
Ähnlich wird wahrscheinlich das ThOP Ende August/Anfang September das Stück <em>Zaungastgeber</em> von Sue Witchworks digital uraufführen. Das Stück, das 2019/20 den Nachwuchs-Dramatiker*innen-Wettbewerb gewonnen hatte, spielt mit den Verschränkungen der analogen und digitalen Welt und passt so sehr gut in die jetzige Situation. Zum Glück sei die Hälfte der Szenen ohnehin als projizierte Videos geplant gewesen. Das sei aber »mehr ein dramaturgischer Vorteil als ein organisatorischer«, da letztlich alles, auch die andere Hälfte, eigens mit Handys, Webcams und anderen Kameras gefilmt und geschnitten werden müsse. »Theater im virtuellen Raum ist sehr schwierig. Das war eine riesen Herausforderung und ist es immer noch«, gibt Korte zu bedenken. Weil der Arbeitsaufwand für das ehrenamtliche Team zu hoch geworden sei, hätten die Arbeiten an <em>Zaungastgeber</em> sich verzögert. Ähnliche Probleme haben viele Theater: Wie Thoms erzählt, werde durch die Corona-Krise mehr Wert auf die digitale Infrastruktur gelegt. Viele Theater seien zum Beispiel mit zu schlechtem W-Lan ausgestattet.
Die Berufstheater in Göttingen suchen auch nach Möglichkeiten, kontaktarm Theater zu spielen, Dialog weiterhin herzustellen, zur Diskussion anzuregen. Das Internet überbrückt den Abstand, aber es kann einen grundlegenden Teil des Theaters nicht ersetzen: »Kein Knutschen, kein Sex, kein Schlagen, kein Treten, kein lautes Schreien…«. Es müsse mit anderen künstlerischen Mitteln experimentiert werden, findet Dietrich, »ansonsten hat man kein emotionales Erlebnis. Diese Krise löst natürlich neue Denkprozesse aus«, so betont er. Dem stimmt auch Thoms zu: »Wenn man sich den ganzen Onlinebereich anguckt, da ist es so, dass sich mittlerweile wirkliche tolle Formate entwickeln.« Wie das ThOP setzt das JT auf die Überschneidung von Theater und Film: Für das Hart am Wind Kinder- und Jugendtheaterfestival 2020 wurde der Anfang des Stücks Fridays.Future aufgezeichnet. Das gesamte Stück Deutschland. Ein Wintermärchen wurde ebenfalls von KnockWood Films GmbH als Film produziert, und beide Aufnahmen sind kostenlos (jedoch wird um Spenden gebeten) auf der Website des JT und YouTube zu sehen. Das DT bietet auf seiner Webseite auch kurze Hörbücher und Lieder aller Schauspieler*innen an.
Ähnlich funktionierten die Projekte des JT in den Autokinos am Jahnstadion, bei Kaufpark und am Schützenplatz. Das Spiel des Ensembles wurde auf die Kinoleinwand projiziert, der Ton über die Autoradios übertragen. Das JT sammelte bereits zuvor Erfahrungen mit Open Air-Theater, beispielsweise im vergangenen Jahr bei einem Gastspiel der Musikshow <em>Personal Jesus</em> im Freibad am Brauweg und <em>Wild Thing</em> auf der Waldbühne in Brehmke. »Wir sind schon sehr flexibel und kreativ, und jetzt gibt es auch relativ schnell Schnittmengen. Also konnten wir Stücke so relativ schnell umsetzen.« Dennoch seien die technischen Anforderungen an eine »Corona-Vorstellung« besonders hoch. »Spektakulär, wir haben da mit Feuereffekten, Drohnen, Livekameras und Lichteffekten eine gigantische Bühnenshow gemacht, weil wir da richtig loslegen konnten. Das hat schon sehr Spaß gemacht«, erzählt Dietrich von der Wild Thing-Aufführung vor Autos auf dem Gelände vom Kaufpark. Dazu kommen noch die kleineren, aber auch arbeitsaufwändigeren Projekte wie das Balladentelefon des JT oder der Literarische Hausbesuch des DT.
Näher am klassisch analogen Theater direkt vor dem Publikum waren die <em>Alles Gute</em>-Fensterkonzerte, bei denen Auszüge aus Wild Thing gespielt wurden. Die Show besuchte schon elf Altenheime und Krankenhäuser. Von ihren Fenstern und Balkonen aus können die Patient*innen und das Pflegepersonal mit sicherem Abstand die Musik genießen; ihnen wird die Quarantäne so erträglicher gemacht. »Welche Dinge werden denn eigentlich wirklich gebraucht von den Menschen? Warum brauchen sie Kunst und Kultur? Und für wen ist es wichtig? Und welche Form von Genuss, von Theater ist denn nötig?«, fragt Dietrich rhetorisch. Die Resonanz sei sehr positiv, Bettpfannenapplaus inklusive. Die Krise habe, so Thoms, dazu geführt, »dass man viel offener über verschiedene Systeme nachdenkt. Wie man mit Zuschauern kommunizieren kann, all das wurde jetzt quasi erzwungen«; aus solchen Gedanken ist das Drive-Through-Stück Die Method</em> entstanden. Das DT führte es bis Ende Juni auf.
Wie entstand die Idee zu dem Stück? »Ohne Corona wären wir natürlich sonst niemals auf Autos gekommen. Dabei hat diese Form, Theater zu sehen, eine extrem eigene Qualität. Ich hab am Anfang der Proben auf einem Stuhl gesessen, und es ist etwas ganz anderes, wenn ich in diesem isolierten Kasten sitze.« Dass es ein beklemmende Erlebnis werden sollte, habe Thoms vergleichsweise schnell konzipiert. Der Regieprozess sei nicht so kleinteilig gewesen wie bei anderen Stücken. Es war aber deutlich spürbar, dass die Limitierungen nicht zu einem Mangel führten. Eine klaustrophobische Enge der Autos, die isolierten Schauspieler*innen und ähnliches kamen der gesamten Inszenierung zugute. So sieht es auch Leonie Krutzinna, die <a href=”http://www.litlog.de/krank-und-frei/”>für Litlog</a> über ihr Erleben des Stücks schrieb.
»Es war tatsächlich sehr kurzfristig, sodass jeder Schauspieler eine Probe auf der Probebühne hatte«, skizziert Thoms den Arbeitsprozess bis zur Aufführung. Die Schauspieler*innen, die Regieassistentin und sie hätten – natürlich mit Abstand – vorrangig den Text ohne die Kulissen geprobt. Zusätzlich hätten die Schauspieler*innen noch eine Einzel-Probe in der Tiefgarage in ihrem Bühnenset gehabt, bevor das Stück in den Endproben zusammengeführt worden sei. »Also hatten die Schauspieler auch extrem viel Eigenverantwortung bei dieser Arbeit. Es ist viel Arbeit, das war dann sehr komprimierte Probenzeit mit 12-Stunden-Tagen, aber das ist schon toll, dass sich jeder auf seine Art dem Text nähert und was dazu entwickelt«, so Thoms über die Arbeit mit Juli Zehs Drama. Wegen früherer Stücke in der Tiefgarage – In Alice Welt und 1984 – war der technische Grundstein für Die Methode schon gelegt. Erschwert wurde die Situation durch die Abstandsauflagen und die Maskenproduktion, aufgrund derer die theatereigenen Werkstätten keine komplexen Kulissen für das Bühnenbild bauen konnten. »Das heißt, wir versuchen auf Sachen zurückzugreifen, die es gibt, wobei uns die Kirmes einfiel oder die Seilbahn oder das Auto – alles geliehen von Betrieben, die im Moment geschlossen sind und die wir so benutzen dürfen.«
Ist das auch eine Form von Solidarisierung? »Ja schon. Es ist traurig, so ein Rummelhäuschen, und man denkt: ›Ja, wo ist jetzt der Rummel dazu?‹, aber die Solidarität ist auf jeden Fall mitgedacht, weil es ja nicht nur die Kultur ist, die leidet, sondern viele Bereiche, die gerade gar nicht vorkommen.«
Wie wertvoll ist uns das Theater?
»Ich glaube, dass am Anfang der Krise das Theater nicht so präsent war, da ging es eher um »Kann ich überhaupt rausgehen? Kann ich meine Familie treffen? Freunde? Kann ich zur Arbeit gehen, weil meine Familie betreut ist oder nicht?«, vermutet Korte. Nach dem Schock über eine tatsächliche Pandemie traten für viele Leute persönliche Sorgen um ihre Gesundheit und die ihrer Liebsten, die Versorgung mit Lebensmitteln und Klopapier in den Vordergrund. Dennoch fällt auf, dass in der öffentlichen Diskussion für die wirtschaftliche Situation des Fußballs und der Gastronomie viel schneller Verständnis aufkam als bei dem chronisch unterfinanzierten Kulturbetrieb.
So bringt Korte die Ernüchterung, die momentan viele in der Branche umtreiben dürfte, auf den Punkt. Noch 2018 gab es bei der Nominierung der Deutschen Theaterlandschaft für das Immaterielle weltweite Kulturerbe Lobeshymnen: »Die Nominierung zeigt, dass Theater und Orchester wichtige Räume der freien Meinungsäußerung, der öffentlichen Debatte und kritischen Reflexion sind. Sie macht auch deutlich, welch hohe Bedeutung die zahlreichen internationalen Kooperationen und Koproduktionen von Theatern und Orchestern haben: Sie fördern interkulturelle Begegnungen und Kommunikation auch jenseits des politischen Diskurses und damit das Verständnis füreinander. Genau diesen Dialog und diese gesellschaftlich wichtigen Freiräume wollen wir mit Hilfe internationaler Kulturpolitik weiter ausbauen und stärken«, so Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Die Deutsche Theaterlandschaft wurde 2019 leider nicht in die UNESCO-Liste aufgenommen. Schade, denn als Immaterielles Weltkulturerbe wäre das Engagement der Politik für die Kultur wahrscheinlich größer.
»So eine Pandemie deckt auf, an welchen Ecken und Enden es eigentlich fehlt, und es werden die Strukturen aufzeigt. Wie wir eigentlich leben und arbeiten. Und ich hoffe auch, dass da am Ende auch genug politischer Druck entsteht, auch in der Bevölkerung um zu sagen, das muss jetzt einfach mal geändert werden«, sagt Dietrich. Ähnlich sieht dies auch Thoms. Was nehmen wir also aus der Krise mit?
Seit Juni dürfen die niedersächsischen Theater unter Auflagen wieder in Innenräumen spielen. Beim DT werden ab Juli wieder Stücke im großen Haus und auf den anderen Bühnen angeboten, während im JT im August wieder live, besonders im Hof, gespielt wird. Das ThOP hat bisher noch keine Erlaubnis der Universität bekommen, wieder in Innenräumen zu spielen oder zu proben. »Natürlich ist uns klar, dass wir Stücke mit vielen Schauspielern erst einmal nicht im ThOP aufführen können, denn unsere Bühne ist einfach nicht so groß« – Korte fügt hinzu, dass sie allerdings auf der Suche nach geeigneten Monologstücken seien.
»Ich glaube es ist wichtig«, so Dietrich, »was zu tun und auszuprobieren. Und ich denke schon, dass die Theater da gedanklich mutiger geworden sind, bestimmte Dinge zu tun. Das wird sich keiner so schnell nehmen lassen.«