Elefantengeschichte

Dass Elefanten seit Jahrhunderten aufgrund menschlicher Grausamkeiten sterben, ist keine neue Information. Doch was es für unterschiedliche Verkettungen mit menschlichem Leid gibt, ist in Rüdiger Schapers Elefanten inhaltlich spannend aufgearbeitet und hervorragend bebildert.

Von Lisa Marie Müller

Bild: Via Pixabay, CC0

Der Feuilletonist Rüdiger Schaper beginnt seinen Beitrag zur Naturkunden-Reihe von Matthes & Seitz mit einem Outing, das sein Schreiben erklärt. Er gehört zu den Leuten, die einen Elefantentick (im besten Sinne) haben. Die Beschäftigung mit ihnen hat eine entspannende Wirkung auf ihn: »Das Beruhigende liegt in der Art, wie sie mit ihrer Größe umgehen.« Im ersten Kapitel »Die Elefantenvolkszählung« zählt er alle Elefanten in seiner Wohnung, die schon vorm Schreiben des Buches da waren (bessere Vorlagen für Geschenke gibt es wohl kaum). Er kommt auch so schon auf eine ganze Menge: Elefanten als Münzen, Seife, Hocker, Schmuck, Porzellan oder auch als dekorative Ginflasche. Seinen Tick sieht er als eine Art Sucht, durch die er überall Elefanten sieht. Diese veränderte Wahrnehmung kann sich nach der Lektüre unter Umständen auf Leser:innen übertragen. ?

Schapers Zugang zum Thema läuft über ehrliche Faszination, die er an entscheidenden Stellen hinterfragt, zum Beispiel als er früher Elefanten im Zirkus sah: »Sie zeigten ihre Kunststücke, schienen dabei zu lächeln und wurden mit Applaus belohnt. Offensichtlich habe ich ahnungslos das Vergnügen, das sie mir bereiteten, mit ihrem Wohlsein gleichgesetzt.« Das tierische Wohlergehen steht bei ihm heute deutlich mehr im Vordergrund.

Elefanten wie Menschen?

Das Buch ermöglicht ein Kennenlernen der Kultur- und Naturgeschichte von Elefanten. Aber den roten Faden bilden die Parallelen zwischen Elefanten und Menschen:

Elefantengeschichte ist Menschheitsgeschichte. Ihr Leben hängt an unserem, und manchmal ist es auch umgekehrt. Elefantengeschichten sind Menschengeschichten. Schon weil wir und nicht die Elefanten sie erzählen. Wir verstehen nicht, was sie sich in ihrer Sprache oder ihren Sprachen mitteilen, wir wissen nur, dass es eine ständige und komplexe Elefantenverständigung über Infraschallwellen gibt, weit unterhalb der menschlichen Hörschwelle, bei 16 bis 20 Hertz. Kate Payne, eine auf Elefanten und Wale spezialisierte Biologin, hat dafür den wunderbaren Ausdruck ›Silent Thunder‹ geprägt: stiller Donner.

Dass Elefantengeschichte keine rosige Geschichte ist (Stichwort Zirkus- und Elfenbeingeschäft), war zu erwarten. Einzelne Schicksale jedoch, wie das von Jumbo, werden heute vor allem mit popkulturellen Darstellungen, Kindergeschichten oder einer Maßeinheit assoziiert. Wie die Story von Jumbo tatsächlich aussah, wird in popkulturellen Bezugnahmen meist nicht sichtbar, hier aber erzählt. Der Schausteller Phineas Taylor Barnum kaufte ihn 1882 dem Londoner Zoo für damals unglaubliche 10.000 Dollar ab, brachte ihn in die USA und verdiente ein Vermögen an ihm. Mit einer Art Wandertournee wurde der Elefant präsentiert, bis er durch einen Unfall mit einer Lokomotive ums Leben kam. Mit dem Tod nahm das Geldverdienen an Jumbo jedoch keinesfalls ein Ende. Er wurde ausgestopft und zusammen mit der »angeblich trauernden Elefantenwitwe« Alice, die keinerlei liebevolle Beziehung mit Jumbo verband, weiter ausgestellt. Viele Lügen und der Fokus auf Gewinn lassen einen bitteren Nachgeschmack in Bezug auf die „Kindergeschichte“ aufkommen.

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Rüdiger Schaper, Judith Schalansky (Hg.)
Elefanten

Matthes & Seitz Berlin: 2020
151 Seiten, 20,00€

Die Qualgeschichten und Ausstellungen von Elefanten sind schrecklich. Menschen wurden ähnliche Dinge angetan, sie wurden als Sklaven gehalten und lebend oder tot ausgestellt. Das ist sehr wichtig zu erwähnen, weil es laut Schaper zum Teil tatsächlich miteinander einherging: Beim Elfenbeinhandel in Afrika wurden Träger angeheuert, die die wertvolle Ware zu den europäischen Schiffen schleppten. Doch im 19. Jahrhundert fingen die Handelsgesellschaften an, die Träger nicht mehr zu bezahlen und sie zu Sklaven zu machen. Auf der Insel Sansibar etablierte sich neben dem Elfenbeinhandel so auch Sklavenhandel: »Menschen wie Elefanten waren zum nachwachsenden Rohstoff geworden, eine Handelsware, eingesammelt in blutiger Ernte. Sklaverei und Elfenbeingeschäft gehen Hand in Hand.«

Das zu erzählen gleicht einem Drahtseilakt, weil es zu keiner Gleichsetzung des historischen Sklavenhandels mit Zirkusgeschäft und Tiermissbrauch kommen sollte (sonst würde man nicht-weiße Menschen wieder mit Tieren gleichsetzen). Schaper ist vorsichtig in seinen Formulierungen, hätte sich aber klarer von Gleichsetzungen abgrenzen können. Im letzten Kapitel macht er deutlich, dass er sich diese historischen Gegebenheiten durch Elefanten zu erklären versucht: »Enthalten diese Kindheitsbegleiter nicht schon die ›ganze‹ Geschichte, Rassismus, Kolonialismus, die drohende Auslöschung der Tiere?«

Die Qualgeschichten und Ausstellungen von Elefanten sind schrecklich. Menschen wurden ähnliche Dinge angetan, sie wurden als Sklaven gehalten und lebend oder tot ausgestellt. Das ist sehr wichtig zu erwähnen, weil es laut Schaper zum Teil tatsächlich miteinander einherging: Beim Elfenbeinhandel in Afrika wurden Träger angeheuert, die die wertvolle Ware zu den europäischen Schiffen schleppten. Doch im 19. Jahrhundert fingen die Handelsgesellschaften an, die Träger nicht mehr zu bezahlen und sie zu Sklaven zu machen. Auf der Insel Sansibar etablierte sich neben dem Elfenbeinhandel so auch Sklavenhandel: »Menschen wie Elefanten waren zum nachwachsenden Rohstoff geworden, eine Handelsware, eingesammelt in blutiger Ernte. Sklaverei und Elfenbeingeschäft gehen Hand in Hand.« Das zu erzählen gleicht einem Drahtseilakt, weil es zu keiner Gleichsetzung des historischen Sklavenhandels mit Zirkusgeschäft und Tiermissbrauch kommen sollte (sonst würde man nicht-weiße Menschen wieder mit Tieren gleichsetzen). Schaper ist vorsichtig in seinen Formulierungen, hätte sich aber klarer von Gleichsetzungen abgrenzen können. Im letzten Kapitel macht er deutlich, dass er sich diese historischen Gegebenheiten durch Elefanten zu erklären versucht: »Enthalten diese Kindheitsbegleiter nicht schon die ›ganze‹ Geschichte, Rassismus, Kolonialismus, die drohende Auslöschung der Tiere?«

Bildliche Stärke

Die Naturkunden-Reihe zeichnet sich durch liebevolle Gestaltung aus und hat viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Man kann sich vom Einband und dem durchdachten Design, entworfen von Judith Schalansky, umgesetzt von Pauline Altmann, nur angezogen fühlen. Und dann in diesem Angezogensein bestätigt werden. Besondere Wertschätzung verdienen die von Altmann ausgewählten Elefantenillustrationen. Auf fast jeder Doppelseite finden sich kleine, schön arrangierte Zeichnungen, Lithografien, Fotostudien, Gemälde, Zirkusplakate oder indische Buchmalereien. Die Bildquellen lassen sich größtenteils zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert verorten. Eine kurze Bildunterschrift erklärt den zeitlichen sowie geografischen Zusammenhang des Abgebildeten. Teilweise unterstreichen Abbildungen das im Text Gesagte, teilweise stehen sie unabhängig vom Text und ermöglichen einen anderen Blickwinkel auf das Gelesene. Das Ende des Buches bilden die für die Naturkunden-Reihe typischen Portraits, wo einzelne Elefantenarten mit Bild und Erklärtext kurz vorgestellt werden. Aufgrund der geringen Artenzahl fällt dieser Teil des Buches übersichtlich aus.

Alles in allem handelt es sich bei dem Elefantenbuch um keine stringente Geschichtserzählung im historiographischen Sinne, aber auch nicht nur um ein Sachbuch. Es erinnert mehr an einen Roman: Schaper fängt bei den Elefanten in seiner Wohnung an und nimmt eine:n mit zu seinen persönlichen Elefantenerlebnissen mit dem Elefanten Mowa, liefert naturkundliche Aspekte (zur Haut von Elefanten ebenso wie zu ihrem Sozialleben – beides mal hart, mal soft) und zeigt Elefanten als politische Machtmittel sowie in die Verzahnungen von Elfenbein und Sklavenhandel. Er beleuchtet ihre Rolle als Showtier, als Vorbild für Bauten. Kindergeschichten bekommen ebenso ihren Platz wie Bezugnahmen literarischer Größen: Goethe »zeigte sich aber nicht allzu begeistert, er spricht von einer ›der größten Unformen der organischen Natur.‹« Europäische und US-amerikanische Elefantengeschichten wie die von Jumbo sind merklich im Vordergrund, haben aber oft Bezüge zu Afrika und Asien.

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