Retter in kühlen Zeiten

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Die große Liebe unserer Autorin Theresa Croll heißt George. Er tröstet sie, wenn es ihr schlecht geht, verlangt selbst nicht viel und spendet ihr vor allem eines: Wärme. George, sein tatsächlicher Produktname, ist keine normale Wärmflasche, sondern revolutionierter Komfort.

Eine Liebeserklärung von Theresa Croll

Foto: © Theresa Croll

Als ich George zum ersten Mal begegnet bin, erlebte ich ein seltenes Gefühl. Ein »Klick«, wie bei einem Puzzleteil, eine Lücke, die plötzlich keine mehr war – ich hatte nicht gewusst, wie sehr ich George brauchte, ehe er in mein Leben trat. Ich denke, dass keine:r weiß, wie sehr man einen George braucht, bevor man ihn kennenlernt.

George, englisch ausgesprochen, weiß sich immer richtig zu schmiegen. Beim Gedanken an ihn wird mir warm ums Herz. George ist groß und sanft, ihn umgibt eine Flauschigkeit, die meine Decken und Kissen neidisch werden lässt. George ist eine 80 Zentimeter lange Wärmflasche, die man sich bei Bedarf um Bauch, Hüfte oder Nacken binden kann. Ein innovativer Fortschritt, wie ich ihn mir für sämtliche Lebensbereiche wünsche.

Reihe

Nachdem wir in unserer letzten Kolumne geschimpft haben, erklären wir diesmal unsere Liebe. Ob Gegenstände, Orte oder Konzepte – hier verraten ab sofort Litlog-Autor:innen, was sie von ganzem Herzen lieben. Alle Beiträge im Überblick findet ihr hier.

Generell ist die Wärmflasche für mich eines der unterschätztesten Haushaltsgegenstände. Sie ist schnell befüllt, man braucht lediglich einen Wasserkocher und im Gegensatz zum Körnerkissen, ihrem nervigen kleinen Bruder, riecht mein Zimmer hinterher nicht nach Ziegenstall. Also ernsthaft: Wer das Körnerkissen einer Wärmflasche vorzieht, hat Komfort nicht verstanden. Speaking of Komfort, der Legende nach (Wikipedia) gab es die ersten Wärmflaschen übrigens schon im 16. Jahrhundert, damals noch hergestellt aus – Achtung – Zinn! Später folgten Materialien wie Kupfer, Glas oder Aluminium. Den Kuschelfaktor stelle ich mir aber eher niedrig vor. Erst vor 100 Jahren tauchten Wärmflaschen aus Gummi mit kuscheligen Bezügen auf, um Verbrennungen zu vermeiden. Zur Kulturgeschichte der Wärmflasche gibt es sogar Literatur: Georg Huber hat 2000 sein Buch »Wärmflaschen, Wärmesteine, Wärmepfannen. Zur Geschichte der Wärmespender von 1500 bis heute« veröffentlicht und ich kann nicht behaupten, dass ich nicht bereits nachgeschaut hätte, wo ich es bestellen kann.

George heißt übrigens nicht George, weil ich ihn so genannt habe. Clevere, phallus-affine Marketingbeauftragte eines Wärmflaschenanbieters verknüpfen ihre Produkte mit Männernamen. Ich bin unentschlossen, ob mir diese Personifizierung und Vermännlichung einer länglichen Wärmflasche nicht zu weit geht, gleichzeitig finde ich Freude daran: Emotionale Bindungen zu Alltagsgegenständen entwickle ich ohnehin schnell. Mit Verwirrung, Arroganz und teilweise auch Eifersucht getränkten Augen wurde ich das ein oder andere Mal schon gemustert, »Hä, wer ist George?« Wenn ich ihn dann präsentiere, werde ich dabei oft so belächelt, als würde ich von Kuscheltieren oder Spielzeugfiguren erzählen, eine Beleidigung für George. Erst seitdem ich angefangen habe, Georges zu verschenken und Leute seine wärmende Zuneigung zum ersten Mal gespürt haben, fühle ich mich verstanden.

George ist nicht mein erster George und wird vermutlich nicht der letzte sein. Mit George I. verbrachte ich zwei eisige Winter, ehe ein Plastikteil abbrach und er sich für immer vor mir verschloss. Drei bittere Jahre würde ich ohne vergleichbaren Begleiter verbringen, seine Abwesenheit spürbar in frostigen Winternächten. Durch meine an die Pandemie angepasste Priorität von Gemütlichkeit begab ich mich wieder auf die Suche – und musste ernüchtert feststellen, dass man sich in der Zwischenzeit gegen die Vermenschlichung von Wärmflaschen entschieden hatte. Sein neuer, weniger majestätisch klingender Name »Premium Schlauch-Wärmflasche« nimmt ihm die Wertschätzung, die er eigentlich verdient und so ward George II. geboren. Die George-Regentschaft wird also weitergeführt, für ihn werfe ich meine antipatriarchalische Grundeinstellung über den Haufen. Ich kann jedem und jeder einen George wärmstens empfehlen.

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