Stephan Schäfer schreibt in seinem Debütroman 25 letzte Sommer über zwei gegensätzliche Figuren, die sich durch die wichtigsten Dinge im Leben verbunden fühlen. Eine Erzählung, die Achtsamkeit und Fürsorglichkeit propagiert, aber letztlich seicht bleibt und wenig Neues mit sich bringt.
Von Sidney Lazerus
Der Hamburger Journalist und Manager Stephan Schäfer erzählt in seinem ersten Roman 25 letzte Sommer (Park x Ullstein, März 2024) von einem Mann, der sich im hektischen Berufsalltag verloren hat, Zuflucht auf dem Land sucht. Eines Samstagmorgens entschließt sich der Ich-Erzähler, eine Runde im nahegelegenen See zu schwimmen, um die gewünschte Erfrischung zu finden. Er sehnt sich danach, seine Gedanken, die wie immer um die noch anstehenden Aufgaben kreisen, einmal kurz abzuschalten, möchte sich gewissermaßen aus diesem geistigen Käfig befreien. Am See begegnet er dem offenherzigen Bauern Karl, der ihn sogleich zu sich auf den Hof einlädt – einfach so, einen völlig Fremden. Die Einladung wird rasch angenommen. Der Erzähler wird an diesem Wochenende bedeutsame Erkenntnisse für sein Leben gewinnen.
Augenblickliche Vertrautheit
Am Küchentisch bei Karl lernen sich die beiden besser kennen – der gestresste Manager und der gelassene, warmherzige und empathische Kartoffelbauer als plakativer Gegenpol. Der gewöhnlich, so beschreibt er sich, verschlossene und insbesondere im Berufsleben eher distanzierte Erzähler fühlt sich bei Karl sofort wohl. Er erzählt dem bis vor einer halben Stunde noch Fremden vertrauensselig seine ganze Lebensgeschichte, leistet seinem neuen Freund sogar bei einem kurzen Mittagsschlaf Gesellschaft. Diese unmittelbare Freundschaftlichkeit ist im echten Leben vielleicht wünschenswert, doch eher selten. Die Begegnung der beiden Figuren wirkt zu konstruiert, der Grund ihres Zusammentreffens, das gemeinsame Bedürfnis eines Bads im See, etwas zu banal. So kommt ein Eindruck von Unglaubwürdigkeit beim Lesen zustande. Sichtbar wird: Die Priorität des Erzählens liegt weniger auf einer ausgefeilten Handlung als auf der auszudrückenden Message des Romans.
Die beiden Männer widmen ihr Gespräch, während sie Butterkuchen essen, ihren Wünschen, Träumen und Erinnerungen, fallen dabei an passenden Stellen auch einmal in einstimmiges, schweigendes Grübeln. Der Ich-Erzähler gewinnt Abstand von seiner ständigen Erreichbarkeit, von seinem »gedanklichen Schreibtisch«. Er ist sich sehr genau darüber bewusst, was er ersehnt, was ihm fehlt. An Karl kann er einen alternativen, ausgeglichenen Lebensstil beobachten, sich wie ein Schüler an einem Lehrer ein Beispiel an ihm nehmen. Als Leser:in bekommt man durch den oft fragenden und reflektierenden Duktus einen detaillierten, authentischen Einblick in die Gedankenwelt des Erzählers, wird sich in vielen Punkten sicherlich gut mit ihm identifizieren können. Schäfer – erfolgreicher Chefredakteur und zeitweise CEO – wird selbst Erfahrung mit Stressbelastungen haben, so legt es seine erfolgreiche Karriere bei dem Medienunternehmen Gruner + Jahr (Brigitte, Schöner Wohnen) und RTL Deutschland nahe.
Tiefsinnige Lebensweisheiten oder äußerer Schein?
Nachdem er sich beruflich zuerst den Erwartungen seiner Eltern gebeugt habe, so erzählt Karl, habe er sich seinen geliebten Kartoffeln hingegeben. Er habe sein ganzes Leben auf den Erdapfel aufgebaut und sich so seinen Traum erfüllt. Jetzt verbringt er seine Tage mit dem Sortieren von Kartoffeln – eine Tätigkeit, die ihm genügt, ihm Frieden gewährt. Er ist die Ruhe in Person, überträgt diese, so der Eindruck, im Laufe der langen persönlichen Gespräche auf seinen Gast.
Während Karl als eine komplexere Figur entworfen wird, verharrt der Ich-Erzähler aber eher in seiner Eindimensionalität, wie durch die häufig akzentuierte Differenz auffällt. Es folgt nicht, wie erhofft, eine Initiative des Ich-Erzählers. Er verharrt in dem bloßen Wunsch, auch sein Leben in ein glückliches zu verwandeln, sich zu erlauben, seine To-do-Liste häufiger mal zu vergessen. Er möchte nicht mehr bloß rastlos von einem Punkt zum nächsten hetzen, seine wertvolle Zeit auch mit Dingen füllen, die ihm Befriedigung schenken. Was also bleibt dem:der Leser:in nach der Lektüre? Ein Bauernsprichwort kann diese Frage wohl am besten beantworten: Ein Glaube ohne Tat ist ein Feld ohne Saat. Dass die Autorität der To-do-Liste trotz der neuen Erkenntnisse am Ende siegreich bleibt, ist nicht ausgeschlossen.
Existenzielle Fragen des menschlichen Lebens – aber wo bleibt der Tiefgang?
Am Ende des für den Protagonisten ungewöhnlichen Tages wirft Karl übergangslos die These in den Raum, dass ihnen beiden wohl noch ungefähr 25 Sommer bleiben. »25 Sommer. Ein Wort, eine Zahl, was für eine Dimension. Ich hatte so darüber noch nie nachgedacht.« Dieser titelgebende und auch ansprechende vermeintliche Leitgedanke des Romans wird an einigen wenigen, späten Stellen aufgegriffen, ansonsten nicht weiter in die Gespräche und Handlung des zweiten Tages eingesponnen, er wirkt nicht nach. Die Botschaft wird trotzdem auf jeder Buchseite deutlich: Lebe jedes deiner noch kommenden Lebensjahre bewusst, folge deinen Träumen und genieße jeden Augenblick, denn du hast nur das eine Leben. Ein gelegentliches Gähnen während der Lektüre der kurzen Kapitel ist da nicht auszuschließen. Die Handlung selbst bleibt substanzarm, ihre Entwicklung voraussehbar – Offensichtlichkeiten verkauft als philosophische, augenöffnende Offenbarungen.
Der leichte Stil erinnert an bekannte Erzählungen wie Streleckys Das Café am Rande der Welt. Schäfers Roman verspricht ebenso, ›die großen Fragen des Lebens‹, den Sinn des Lebens als existenzielles Thema zu behandeln, bleibt aber für dieses Anliegen zu oberflächlich, die Inhalte wirken flüchtig. Dass sich 25 letzte Sommer aber auch genauso flüchtig-leicht liest, ist dagegen eine Stärke von Schäfers Erzählen. Schlicht gesagt: eine ruhige, durchaus behagliche Sommerlektüre für den Strandkorb, die passagenweise Unterhaltung und Vergnügen bieten kann und uns die To-do-Liste für kurze Zeit vergessen lässt.