Eine Hommage an Schriftstellerinnen

Unter Frauen würdigt die oft übersehenen oder vergessenen Schriftstellerinnen der Vergangenheit und Gegenwart und ihren wesentlichen Beitrag zur Literatur. Es reflektiert die faszinierende Vielfalt weiblicher Stimmen und inspiriert dazu, selbst neue Lektürepfade einzuschlagen.

Von Kristin Siemon

Bild: Via Pixabay, CC0

»Was haben wir, was haben sie, die schreibenden Frauen, gemeinsam?« Auf diese Frage haben dreizehn Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur im Sammelband Unter Frauen. Geschichten vom Lesen und Verehren, herausgegeben von Anna Humbert und Linda Vogt, geantwortet. Vertreten sind unter anderem Gabriele von Arnim, Simone Buchholz, Ulrike Draesner, Rasha Khayat und Deniz Ohde, die bei gemeinsamer Fragestellung ganz unterschiedliche Texte präsentieren: Auf 188 bunt gemischten Seiten ist von Briefen bis hin zu Prosaerzählungen alles dabei. Aber immer geht es auf verschiedene literarische Herangehensweisen um das Verehren von Schriftstellerinnen. Wie Maria-Christina Piwowarski es im Vorwort des Buches passend formuliert: »Dieses Buch ist eine Schatztruhe.« Es geht um Schriftstellerinnen, deren Sein und Werk erst vergessen und dann wiederentdeckt wurde. So finden sich in diesem Buch beeindruckende Porträts von Autorinnen wie Violette Leduc, die von Yael Inokai liebevoll gewürdigt wird, oder Chimamanda Ngozi Adichie, deren Werk Mirrianne Mahn selbst zum Schreiben ermutigte.

Die Autorinnen der Gegenwart schreiben vorwiegend über Autorinnen des 19. und 20. Jahrhunderts. Einmal geht die Reise sogar zurück bis ins 13. Jahrhundert, als Daria Kinga Majewski von Mechthild von Magdeburg erzählt. Jeder Beitrag dieser Frauen gibt anderen Frauen eine Bühne. Es geht um weibliche Vorbilder in der Literatur: Schriftstellerinnen, die die Autorinnen dieser Anthologie inspirierten, prägten, ermutigten. Schriftstellerinnen, die neben ihren männlichen Kollegen zurückblieben, bekommen eine Stimme.

Brief an Selma Lagerlöf

In einem der dreizehn Beiträge schreibt Mareike Fallwickl einen Brief an Selma Lagerlöf, die Nils Holgersson schuf. Fallwickl erzählt von ihrem eigenen Leben im Vergleich zum Leben der schwedischen Autorin. Sie zeichnet ein Bild, das die Frauen von damals den Frauen von heute gegenüberstellt. Denn Fallwickls heutige und Lagerlöfs damalige Lebensrealität unterscheiden sich völlig voneinander. Selma, wie sie von Fallwickl liebevoll angeredet wird, wurde 1858 geboren und hatte als Frau noch wenig Rechte. Sie schrieb heimlich und engagierte sich in der Frauenbewegung, die sie letztendlich auch in ihrem Schreiben förderte. Daneben verfasste sie auch eine Petition für das Frauenwahlrecht. Auch ihr haben wir also zu verdanken, dass Frauen heute laut über Themen wie Autorinnenschaft, Care-Arbeit und Ehe reden können. Sie selbst konnte das noch nicht, aber sie hat uns den Weg dafür geebnet. Fallwickl nennt Lagerlöf eine »stille Revoluzzerin«, denn sie schrieb mutig. Und doch ist sie eine von vielen Schriftstellerinnen, die im patriarchalen Literaturbetrieb verschwunden sind, obwohl sie 1909 als erste Frau den Nobelpreis für Literatur erhielt.

Tanzen gegen die Normen

Was verbindet Rave mit Literatur? »Raving ist wie Schreiben, eine Praxis«, antwortet McKenzie Wark darauf. In ihrem Beitrag Fuck me ‘til I don’t exist illustriert Jovana Reisinger die Einzigartigkeit von McKenzie Wark und ihre persönliche, wenn auch einseitige Beziehung zur Schriftstellerin. Reisingers Text spielt gekonnt mit Text- und Interviewfragmenten von Wark, die an den passenden Stellen eingefügt wurden. Seit 2003 ist Wark Professorin für Medien- und Kulturwissenschaften an der New School for Social Research in New York City und geht, wie Reisinger, regelmäßig auf Raves. Diese Beschäftigung verbindet die beiden Frauen. In ihrem 2023 erschienenen Buch Raving setzt sich Wark intensiv mit dem Exzess auseinander und schildert ihre Liebe zur Rave-Kultur. Ihre Erfahrungen verarbeitet sie auch in anderen Texten wie Reverse Cowgirl (2020) oder Love and Money, Sex and Death (2023).

Der Rave nimmt einen wichtigen Platz in Warks Leben ein. Sie nutzt das Tanzen, um ihre eigene Gender-Dysphorie zu besänftigen und fragt sich, ob Raves besonders gut für queere Körper geeignet sind. Ihre Transition vollzog sie erst mit Mitte 50, und diese Erfahrung prägt auch ihre Werke tief. Für Reisinger ist Rave Hedonismus, Gier, Maßlosigkeit, Bewegung und Glücksgefühl, aber vor allem Freiheit und Körperlichkeit. Diese Bedeutung des Raves, das »Sich-tief-tief-tief-fallen-Lassen«, wie Reisinger es nennt, verbindet die Frauen. Wark schreibt jedoch nicht nur über Rave, sondern stets »lustvoll und verspielt« auch über Kapitalismus, Machtverhältnisse und Klasse. Sie prangert die gesellschaftlichen Einschränkungen und Gefahren für trans Körper sowie die Gewalt gegen Frauen an – Themen, die in Anbetracht ihrer eigenen Identität von persönlicher Bedeutung für Wark sind. Ihr Ziel ist es stets, patriarchale und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Und für Reisinger ist Wark deshalb eine wichtige Stimme und Inspiration, eine Weggefährtin. Eine wichtige Stimme für uns alle.

Von Krisenbewältigung bis Identitätssuche

Die Kapitel über Lagerlöf und Wark stehen nur beispielhaft für die vielen liebevoll verfassten Beiträge in Unter Frauen. Einmal geht es um die Flucht in die Literatur als Mittel zur Bewältigung von persönlichen Krisen. Ein anderes Mal steht die Entdeckung der eigenen Identität und Selbstfindung durch das Lesen einer bestimmten Autorin im Vordergrund. Aber vor allem die Gemeinschaft und Verbundenheit, die durch das Lesen dieser Autorinnen entstehen kann, ist außergewöhnlich. Manche der Beiträgerinnen nennen diese Verbundenheit Schwesternschaft, Nähe oder Verwandtschaft.

Anna Humbert, Linda Vogt
Unter Frauen

Rowohlt: Hamburg 2024
171 Seiten, 24 €

In den letzten Jahren erschienen bereits ähnliche Bücher wie Unter Frauen. Im Jahr 2018 gab die Pink-Protest-Gründerin Scarlett Curtis ein Buch heraus, das einem ähnlichen Aufbau folgt: The future is female! Was Frauen über Feminismus denken (Originaltitel: Feminists Don’t Wear Pink and Other Lies). Die vielstimmige Textsammlung enthält Beiträge von der Hollywood-Ikone bis hin zur Teenie-Aktivistin. Frauen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen erzählen ihre persönlichen Geschichten.

In der heutigen Zeit, in der Fragen zu Geschlecht, Identität und kultureller Vielfalt zunehmend an Bedeutung gewinnen, bietet Literatur wie diese eine wertvolle Perspektive auf die oft übersehenen Stimmen von Frauen und Schriftstellerinnen. Auch Unter Frauen fördert nicht nur das Bewusstsein für historische Ungerechtigkeiten, sondern unterstützt eine umfassendere und inklusivere Sichtweise auf Feminismus und die Vielfalt menschlicher Erfahrungen.

Ein Buch voller Trost und Inspiration

Dennoch hätte man sich dieses Buch früher gewünscht. Es spendet Trost, während patriarchale Verhältnisse unsere Zeit bestimmen. Es spendet Trost, während weibliche Erfahrungen und Gefühle von Unterdrückung historisch stabil bleiben. Es spendet Trost, weil es eine Verbundenheit zwischen allen Frauen demonstriert – über Zeit und Raum hinweg.

Unter Frauen hält, was der Titel bereits verspricht: Es ist eine Hommage an die weibliche Literatur. Frauen erzählen liebevoll und mit voller Bewunderung von anderen Frauen, geben ihnen eine Stimme. Diese Sammlung tut das, was Männer schon immer taten: literarische Vorbilder feiern. Und dabei ist jedes Kapitel einzigartig und wunderbar. Nach diesem Buch fragt sich frau vermutlich, welche Autorin sie zuerst lesen soll.

Was also all diese Frauen gemeinsam haben, ist, dass sie zusammenhalten müssen. Über Generationen hinweg. Denn noch immer schlägt ihnen so viel Ablehnung entgegen.

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