Einmal ohne Weihrauch, aber mit Zauber, bitte!

In Hamburg begeisterte die Jubiläumsausstellung anlässlich Caspar David Friedrichs Geburtsjahrs die Massen, in Berlin zieht eine weitere Ausstellung seiner Werke seit April ebenfalls unzählige Menschen an. Der Kunsthistoriker Florian Illies widmet dem Maler nun einen ganzen Band. Doch kann der Zauber der Stille in Zeiten lautstarker, omnipräsenter politischer Schrecken überhaupt berühren – oder besser: Wollen wir uns berühren lassen?

Von Sophie-Marie Ahnefeld

Bild: Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer (1808–1810, Alte Nationalgalerie, Berlin) via Wikimedia Commons (Ausschnitt)

Dass der Autor, Journalist und Kunsthistoriker Illies als glühender Verehrer von Caspar David Friedrich gelten darf, ist seit seinem 2017 erschienenen Titel Gerade war der Himmel noch blau. Texte zur Kunst, aber auch aus zahlreichen journalistischen Beiträgen gemeinhin bekannt. Nun also geht die Liebeserklärung von Illies an den pommerschen Maler für das Friedrich’sche Jubiläumsjahr auf 241 Seiten in die Verlängerung. Neben einer biografischen Skizze thematisiert Illies in Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten (S. Fischer 2023) insbesondere die zeitgenössische wie auch retrospektive Rezeption Friedrichs, die irgendwo zwischen schillernd und abgründig die Geister spaltete – wenn ihm nicht sogar gesellschaftliche Gleichgültigkeit drohte. Trotz seiner offenkundigen Bewunderung für Friedrich, beansprucht Illies zugleich auch eine kritisch-distanzierte Perspektive, eine Befreiung Friedrichs von der »Weihrauchära«, wie der Kunstwissenschaftler Werner Hofmann dessen unkritische Glorifizierung bezeichnet: Kann das gelingen?

Es ist vor allem der unkonventionelle, nicht-chronologische Aufbau der Erzählstruktur, der das Werk auszeichnet. Illies schreibt niemals schlicht von vorne bis hinten, sondern hangelt sich an den vier für Friedrichs Malerei essenziellen Grundelementen Feuer, Wasser, Erde und Luft entlang und zieht dabei gekonnt Verbindungen zwischen verschiedenen Akteuren in verschiedenen Jahrhunderten, die eins verbindet: Die Gemälde von Caspar David Friedrich. Das reicht von dessen Beziehung zu Goethe, der, zunächst angetan von Friedrichs Malerei, einmal sogar ein Gemälde kurzerhand zerschlagen haben soll, über Friedrichs Inspiration für Walt Disneys Bambi, bis zu Samuel Beckets Warten auf Godot, aber eben auch für Leni Riefenstahls Film Das blaue Licht – und all das binnen weniger Seiten. So akrobatisch kann man sich nur durch die Friedrich’schen Lüfte schwingen, wenn man sich seines kunst-historischen Handwerkes sehr sicher ist. Und dieses Selbstbewusstsein darf Illies durchaus unterstellt werden.

Ein Thema, für das sich Illies besonders interessiert, ist die drastische Ambivalenz der Reaktionen auf Caspar David Friedrichs Kunst. Sie erscheint Illies als eines der größten kunsthistorischen Rätsel um den Maler. Die paradoxe Wirkung der Werke Friedrichs als wahlweise verzaubernd oder verstörend (wohl Illies Lieblingswort in Bezug auf Friedrichs Kunst) wird ausführlich und kenntnisreich untersucht.

»Wie kann es sein, dass ein und dasselbe Bild von einem einsamen Mönch am Meer den einen Menschen, den Kronprinzen [Friedrich Wilhelm IV., der 1810 mit 15 Jahren seine Mutter verlor] in tiefster Trauer trösten kann – und den zweiten, Heinrich von Kleist [der sich 1811 das Leben nahm], hinabgleiten lässt in den tödlichen Sog der Einsamkeit und Untröstlichkeit?«

Insbesondere in der Schilderung von Friedrichs Goethe-Verhältnis zeigt sich Illies dann von seiner humorvollen Seite, wenn er Goethe, der Sternzeichen Jungfrau und Aszendent Skorpion war, »giftige Pfeile in Richtung der doppelten Jungfrau Friedrich schießen« lässt und auch sonst vor allerhand kurioser Anekdoten um Friedrichs Ordnungsliebe oder eskalierende Prinzessinnenbanketts – inklusive Wortwitz – nicht zurückschreckt. Verbindungslinien durch die Zeit findet Illies überall: Da brennt Neubrandenburg 1945 unter der roten Armee genauso, wie Friedrich es 1835 gemalt hatte, und es ist ausgerechnet der Brand des Münchner Glaspalastes 1931 mitsamt einiger der berühmtesten Friedrich-Gemälde, der Adolf Hitler zum Bau des Hauses der Kultur motivierte – ohne Zweifel hat Illies ein ausgezeichnetes Gespür für die interessanten Erzählungen rund um Friedrich.

Florian Illies
Zauber der Stille.
Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten.
S. Fischer: Frankfurt a. M. 2023
256 Seiten, 25,00 €

Einen weiteren Fokus legt der Autor auf Friedrichs wiederholte politische Instrumentalisierung in den nachfolgenden Jahrhunderten, insbesondere zu Zwecken der nationalsozialistischen Heimatverklärung. Einer kritischen Betrachtung wird auch Friedrich selbst als Patriot und erklärter Napoleon-Feind unterzogen und erfährt damit in dem ansonsten gleißenden Scheinwerferlicht eine sanfte Korrektur. Die beanspruchte Befreiung Friedrichs von der »Weihrauchära« wird damit eingeleitet, jedoch kann hier mehr erwartet werden. Der Spagat zwischen Schwärmerei und kritischer Einordnung erweist sich dann doch als ein sehr breiter. Auch tut die breit anvisierte Publikumsbezogenheit dem Werk zwar grundsätzlich gut, indem auf wissenschaftliche Fachdiskurse eher verzichtet wird, dennoch wäre etwas mehr Differenziertheit oder auch Sensibilität von Illies gegenüber den Frauenfiguren, die wahlweise »am Schmollen« sind, wie Friedrichs Frau Caroline, oder ungeküsst und damit frustriert ihr Dasein fristen, wie die Prinzessin Mathilde, wünschenswert.

Florian Illies legt mit seinem Zauber der Stille ein amüsantes, vielschichtiges Sachbuch voller historisch fundierter Details vor, das sich gerade wegen seiner sprachlichen Leichtfüßigkeit gut liest. Trotz einer gewissen Thematisierung der weniger schimmernden Seiten Friedrichs, die anders als in früheren Besprechungen nun zumindest vorkommen, geht hier noch mehr. In Illies findet sich eher selbst ein romantischer Schwärmer als ein Analytiker. In dieser Schwärmerei zeigt er sich als äußerst mitreißend – auch wenn der Grat zwischen Zauber und Kitsch am Ende wohl ein schmaler bleibt.

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