In Valentinstag von Richard Ford wird die letzte Reise des ehemaligen Immobilienmaklers Frank Bascombe mit seinem todkranken Sohn zum Mount Rushmore geschildert. Ein Roman der alltäglichen, eigenbrötlerischen Töne mit groteskem Humor, der gleichzeitig eine rührende Vater-Sohn-Beziehung zeigt.
Von Luis Pintak
Der Immobilienmakler Frank Bascombe begleitet Richard Ford schon einige Zeit: 1986 erschien Der Sportreporter, gefolgt von weiteren Erfolgen wie Unabhängigkeitstag. Mit Be Mine, auf Deutsch als Valentinstag 2023 im Hanser Verlag in der Übersetzung von Frank Heibert erschienen, legt Ford nun seinen wohl letzten Roman vor. Nicht nur der Autor ist inzwischen älter geworden, auch seine Figur befindet sich nun in den 70ern. Frank, 74, verkaufte früher Häuser an der Ostküste der USA, vor allem in New Jersey. Jetzt im Ruhestand hat er einen Teilzeitjob bei der Immobilienfirma Die Hausflüsterer im fiktiven Ort Haddam, New Jersey, die Häuser für exklusive Kunden mit Anonymitätsbedarf verkauft. Und so erzählt er von seinem »einsame[n] Seniorenleben«, »inkl. Schlüsselkarte und Bibliotheksausweis«. Von seiner zweiten Frau Sally ist er geschieden, sie ist jetzt im »Dienst der Trauernden in fernen Landen« als »Laiennonne«, wie er erzählt.
Mit seiner ersten, bereits verstorbenen Partnerin Ann hat Frank zwei Kinder. Seine Tochter Clarissa lebt mit ihrer Partnerin in Scottsdale, Arizona. Manchmal ruft sie Frank an; im Hintergrund ist dann Hundegebell aus ihrer Hundepension zu hören. Und dann ist da eben noch Franks Sohn Paul, 47. Paul erkrankt an einer schnell voranschreitenden ALS-Variante im Gehirn, »nicht dem Rückenmark, deshalb erledigt sie ihr schmutziges Geschäft schneller«. Manchmal nennen Paul und Frank ALS trocken wie eine Bar mit dem Namen »Al’s«.
Ein Road-Trip trotz ALS-Erkrankung
Auch wenn Paul in der für ihre Qualität bekannte Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota, behandelt wird, ist das Todesurteil gefällt. Paul hat sich immer gewünscht, mit seinem Vater eine Wohnmobil-Tour zu amerikanischen Orten mit »brüllkomisch[en]« Namen wie Whynot oder Horseheads zu machen. Aufgrund seines Zustands wird daraus nichts. Dafür geht es im Wohnmobil zum Mount Rushmore in South Dakota. Unterwegs klappern sie regional bekannte Reiseziele ab, wie beispielsweise den »einzigen Mais-Palast der Welt« bei Sioux Falls in South Dakota.
Schon nach den ersten Seiten von Valentinstag fällt eins besonders auf: Humor. Abstruser, hintergründiger Humor. Zugleich ist das Thema schwer und nahegehend. Franks und Pauls Alter, 74 und 47, dürfte nicht zufällig sein, haben sie doch ihre Gemeinsamkeiten. Beide wirken wie Alltagsmenschen, deren Durchschnittlichkeit sich durch banale Dinge äußert, die sich aber auch durch Abweichungen in ihrer Gewöhnlichkeit auszeichnen. Bei Frank äußert sich dasetwa in seiner Gesundheitsverfassung: »Ich besaß seit Jahren eine Blutdruckmanschette, benutzte sie aber nie. Ich hatte grauen Star auf beiden Augen, bemerkte aber nichts.«
Besondere Durchschnittsmenschen
Paul wirkt ebenfalls gewöhnlich und doch anders. Frank beschreibt Paul als »mein ungewöhnlicher Sohn«, Ärzt:innen haben ihn in der Vergangenheit jedoch als normal eingestuft. Man merkt, dass Paul anders als sein Vater ist, sodass sich eine komplexe Beziehung ergibt:
In ALS-Gesprächsgruppen wird Paul verbal ausfallend, sodass andere Teilnehmende nichts mit ihm zu tun haben wollen. Frauen findet er auf »verstörende« Weise anziehend; er fängt in ihrer Umgebung an zu stammeln, »dann blubberte alles aus ihm heraus, was ihm gerade kaleidoskopisch durchs Gehirn schoss«. Klassenkameradinnen gingen ihm deswegen aus dem Weg. Paul neigt zu polemischen Kommentaren über Politik und alles, was ihn beschäftigt. Frank fragt sich immer wieder, was oder ob er etwas falsch gemacht hat. Er spürt, dass er Paul vernachlässigt hat und macht sich Gedanken, wie Paul sein Sohn sein kann. Frank ist wiederum Pauls »Lieblingsarschloch«. Gerade Pauls Krankheit scheint sie zu verbinden.
Durch ihre Eigenheiten ergibt sich ein skurriles Gespann, das sich in einem Van in einem wohl noch skurrileren Teil der USA fortbewegt. So fahren sie von einem winterlichen Minnesota, in dem es schneit, »als wär’s Alaska« und man alles als »cool« wegstecke, nach South Dakota. Es ist schön, dass Ford den Blick auf den Mittleren Westen legt. Gerade, wenn man sich für unbekanntere Regionen der USA abseits vom Mainstream interessiert, kann man hier fündig werden. Für Orte wie Rochester, Sioux Falls oder Rapid City, die wohl gerade Nicht-Amerikaner:innen nicht geläufig sein dürften, ist zumindest ein Blick auf die Landkarte notwendig, um sie besser einzuordnen.
Scharfblick für den Alltag und Kritik an Oberflächlichkeit
Fords Schreibstil ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Der Satzbau ist manchmal geprägt von kurzen, etwas abgehackten Sätzen : »Rochester, Minnesota. In der trüben Jahreszeit des Lupercal. Heilige, blutige Märtyrer, Opfer.« Hieran gewöhnt man sich jedoch nach ein paar Seiten. Mit Frank beweist Ford einen Scharfblick für den Alltag, den man in der amerikanischen Literatur nicht missen möchte. Zwar zeichnet er eine idyllische Kulisse mit Staaten wie South Dakota. Doch ebenso lässt sich Kritik verlauten:
Beschreibungen am Rande wie diese enthüllen die Oberflächlichkeit einer amerikanischen Stadt wie Rapid City. Fast ein wenig stereotyp, müsste man diese noch sanfte Zuspitzung nicht als die Kehrseite des American Dreams und des Strebens nach Freiheit und Glück in einer von Kapitalismus geprägten Welt verstehen. Frank entlarvt die Verödung des amerikanischen Lebensstils anhand des Klischees von überquellendem Konsum und übertriebenen Autos, das längst prägende amerikanische Wirklichkeit ist.
Idyllisches Porträt und politische Sprengkraft
Ford gelingt mit Valentinstag ein scheinidyllisches Porträt der amerikanischen Gesellschaft im Mittleren Westen. Seinen Worten wohnt eine Sprengkraft inne, zeigen sie doch eine gewisse Brisanz der politischen Landschaft der USA. Frank beobachtet:
Vielleicht ist Frank etwas altbacken und verkorkst, aber er erkennt immer wieder die Ungereimtheiten der Gesellschaft. Beim Mount Rushmore meint er, dass keiner der eingemeißelten vier Präsidenten wiedergewählt würde, sie seien »Sklavenhalter, Frauenhasser, Homophobe, Kriegstreiber, historische Schlaumeier, die sich alle viel zu sicher gefühlt haben«. Auch Paul, mit dem es in Sachen Politik öfters Reibungen gibt, meint, dass das Nationalmonument »super« und zugleich »komplett sinnlos und lächerlich« ist.
Lob auch an den Übersetzer
An dieser Stelle sei auch der Übersetzer Frank Heibert gelobt, der Humor, Alltagssprache oder ulkige Begriffe wie »Wolkenkuckucksheim« und »Hausflüsterer« adäquat ins Deutsche transferiert und sowohl Annotationen als auch ein Nachwort anfügt. Man möchte das Buchgar nicht mehr aus der Hand legen, so verfliegen die Seiten. Durch die seltsamen Figuren ist es humorvoll. Gleichzeitig ist der Roman wegen der Vater-Sohn-Beziehung und Pauls baldigem Tod tiefgründig. Als Paul Frank seine Valentinstagskarte übergibt, werden Franks Augen ein klein wenig feucht. Auf der einen Seite möchte man herzhaft lachen, auf der nächsten doch wieder weinen. Schön wäre noch eine kleine Landkarte, denn die Lage besagter Städte und Staaten haben nicht alle gleich vor Augen.
Mit Valentinstag legt Richard Ford einen Roman vor, den man nicht in der Weltliteratur missen möchte. Bewundernswert ist der Scharfblick für die US-amerikanische Gesellschaft, für Politik und für Menschen ebenso wie der Humor und die Tiefgründigkeit. Zwar kündigte Ford an, dass dies sein letzter Roman sei. Vielleicht entscheidet er sich aber noch einmal um. Zu begrüßen wäre es allemal.