Und Schnitt!

G. W. Pabst ist bekannt für sein Talent beim Schnitt. So ähnlich wie er Szenen zerschneidet, neu anordnet und zu filmischen Meisterwerken zusammenklebt, verbindet auch Daniel Kehlmanns Roman Lichtspiel über den Regisseur geschickt Bilder von Geschichte, Filmkunst und verschiedenen Facetten menschlicher Natur.

Von Inken Deichmann

Bild: via Pixabay, CC0

Ein Regisseur, der aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst nach Hollywood emigriert, dann aber doch zurückkehrt und unter dem NS-Regime Filme dreht. So in etwa lässt sich die Handlung von Daniel Kehlmanns 2023 erschienenem Roman Lichtspiel sehr knapp zusammenfassen, der Kern des Buches ist damit allerdings kaum getroffen. Der Roman ist nämlich gerade nicht so angelegt, dass der Regisseur G. W. Pabst als typischer Protagonist in einer Haupthandlung direkt begleitet wird. Vielmehr ist seine Geschichte eingebettet in Bruchstücke aus den Leben anderer Personen, in Momentaufnahmen, bei denen der Fokus am Ende dann doch fast immer auf den leicht übergewichtigen Mann mit Brille fällt. Aus Pabsts Perspektive wird ebenfalls wiederholt erzählt, aber diese Passagen haben nicht mehr Gewicht als die vielen anderen aus der Sicht seiner Frau, seines Sohnes, seines Assistenten oder auch einer Person, die für die Handlung rund um G. W. Pabst gar nicht entscheidend ist.

»Wenn man Filme macht, ist man immer in Not«

Lichtspiel beleuchtet eine Reihe von Einzelschicksalen und fügt so nach und nach beinahe filmartig ein Bild von den Lebensumständen zur NS-Zeit zusammen. Gleichzeitig wird detailliert die kunstvolle Arbeit des berühmten Regisseurs geschildert und fast nebenbei ein Eindruck von G. W. Pabst vermittelt, der das Bindeglied all dieser kleinen Einblicke darstellt. Mit klarer, unkomplizierter Sprache führt der Roman durch immer neue Szenen, wobei die Erzählweise eine besondere Balance zwischen Distanz und Nähe zu den auftretenden Personen und insbesondere zu Pabst schafft: Leser:innen werden kaum dazu verleitet, sich mit ihm zu identifizieren, entscheidende Momente werden nämlich gar nicht oder nicht aus seiner Sicht erzählt, aber dennoch wird sein Charakter mit der Zeit vertrauter.

Daniel Kehlmann
Lichtspiel

Rowohlt Buchverlag: Hamburg 2023
480 Seiten, 26,00 €

Als beispielsweise für Dreharbeiten KZ-Häftlinge als Statisten verwendet werden, zeigt sich sehr deutlich, wie der damit verbundene Gewissenskonflikt Pabsts Assistenten Wilzek mental an seine Grenzen stoßen lässt; Pabsts Gedanken bleiben dagegen verschlossen. Dem Regisseur gelingt es offenbar, Nationalsozialismus und Krieg lediglich als eine weitere Notlage zu betrachten, auf die man bei Dreharbeiten immer gefasst sein muss. Mangels anderer Möglichkeiten hat er den Einsatz der Häftlinge veranlasst, für den Erfolg seines Films ergreift er also mitunter moralisch fragwürdige Maßnahmen. Um ihn deswegen uneingeschränkt zu verurteilen, ist sein Verhalten allerdings doch noch zu gut nachvollziehbar – es passt zu der Gesamtdarstellung des Mannes: Die Kunst macht für ihn das Leben aus und entwickelt sich immer mehr zu seinem Fluchtort.

Ausgefeilte Erzähltechnik

Während Pabsts Gedanken teilweise bewusst unzugänglich bleiben, lassen sich zum Beispiel die Überlegungen seines Sohnes Jakob mehrfach besonders eindrücklich mitverfolgen. Unter anderem erarbeitet dieser sachlich und analytisch eine Strategie, mit der er sich bei seinen Mitschülern trotz ständiger Schulwechsel behaupten kann. Die Art, wie er dafür seine Gefühle ausblendet und auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, erinnert an Filmszenen, bei denen ein Teil des Publikums lieber wegschauen möchte. Anders erfolgt die Beschreibung des Hausmeisters Jerzabek: Früher für seine bedingungslose Hilfsbereitschaft bekannt, hat er sich mit Überstreifen der NS-Uniform zum personifizierten Bösen gewandelt und tyrannisiert die Familie Pabst in deren eigenem Zuhause. Jerzabeks Perspektive wird nicht offengelegt, so dass er verzerrt und kaum noch als menschliches Wesen wahrgenommen wird und sein Auftreten stets ein unangenehmes Schaudern hervorruft.

Schon an diesen Beispielen lässt sich die bewusste Auswahl dessen erkennen, was und vor allem wie der Roman erzählt. An einigen Stellen wirkt die Gesamtstruktur fast schon zu systematisch und durchkomponiert, wenn etwa auffallend oft vermeintlich nebensächliche Informationen zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden. Andererseits lassen sich auf diese Weise ständig Bezüge herstellen und beim Blick aufs Detail geht der große Zusammenhang nicht verloren. Inmitten solcher klaren Anordnungen stehen wiederum einige skurrile, surreale Szenen. Zum Beispiel träumt Jakob von einer Fliege im Glas, genau wie seine Mutter sie am selben Abend alleine in ihrem Zimmer gesehen hat oder Pabst sieht vor einem Gespräch mit dem Propagandaminister, wie dieser mehrfach eintritt, um dann zu einer Person zu verschmelzen. Wenn die Grenzen zwischen Realität und Einbildung der Charaktere verschwimmen, wird dennoch wie selbstverständlich weitererzählt.

Bei Lichtspiel handelt es sich um einen sehr facettenreichen, systematisch aufgebauten Roman. Mit Einblicken in die Technik der 30er Jahre bietet er viel Raum für die Filmkunst und ruft selbst immer wieder in nüchternem Schreibstil eindrucksvolle Bilder hervor. Lichtspiel regt aber auch zu Reflexionen über die Verantwortung und den Wert von Kunst an und außerdem wird in den unterschiedlichsten Kontexten die Wirkung von Machtstrukturen auf den Einzelmenschen offengelegt. Im Zuge dessen werden abstoßende Eigenschaften oder Entwicklungen keineswegs versteckt – im Gegenteil, gerade den menschlichen Schattenseiten wird mit Kehlmanns Roman eine Bühne geboten.

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