Der Sagenstoff rund um Robin Hood wird von John von Düffel zwar neu verarbeitet, aber bleibt sich dennoch selbst treu. Das Stück, bei dem Selina Girschweiler Regie führt, sorgt im Deutschen Theater Göttingen für Unterhaltung bei Jung und Alt.
Von Lara Müller
Bilder: Isabel Winarsch
Am Nachmittag des Volkstrauertags, am Tag der Premiere von Robin Hood, wird es plötzlich ganz still im Deutschen Theater. Ein Handwerker tritt auf die Bühne und scheint letzte Verbesserungen am Bühnenbild vorzunehmen. Die Scharniere der Bodentür werden noch einmal geölt, eine Schraube in die Wand gebohrt. Ein Kind flüstert lautstark: »Gehört das schon dazu?«
Scheinbar schon, denn nachdem der Handwerker fertig ist, wendet er sich an den neu aufgetretenen Musikanten, der dem Publikum von Robin Hood erzählt. Der Handwerker und der Musikant sind sich uneins, ob es Robin Hood wirklich gegeben hat, aber der Musikant lässt sich nicht beirren. Und spätestens mit seiner ersten musikalischen Einlage hat er die Aufmerksamkeit der vielen Kinder im Saal.
Das Stück von John von Düffel unter der Regie von Selina Girschweiler verarbeitet den altbekannten Sagenstoff um Robin Hoood auf sympathisch klassische Art, mit gerade so vielen modernen Einflüssen, dass es für Jung und Alt unterhaltsam bleibt. Schließlich ist die Geschichte Robin Hoods schon mehrere hundert Jahre alt und existiert in verschiedenen Variationen. Dabei bleibt zumeist ein Kernelement gleich: Es geht um den Vagabunden Robin Hood, der mit seiner Bande den Reichen nimmt und den Armen gibt. Es ist charmant, wie direkt am Anfang der Aufführung die Frage nach der Historizität Robin Hoods aufgeworfen wird. Schließlich macht gerade jene die Figur so interessant.
Die Figuren als Vorbilder für die Jüngsten
Robin Hood selbst tritt als liebenswürdiger Charakter auf, der seinen Prinzipien stets treu bleibt, ohne dabei an Humor und Witz zu verlieren. Und wenn er Gefahr läuft, seinen moralischen Kompass zu ignorieren, wird er von seiner Geliebten, der Prinzessin Marian, wieder auf den rechten Weg gebracht. Robin Hood vermittelt dem Publikum durch seinen empathischen Einsatz für die Schwachen, was es auch heute noch heißen kann, ein Held zu sein.
Marian erscheint als wildes, abenteuerlustiges Mädchen, dem im Palast die Decke auf den Kopf zu fallen scheint. Sie zeigt, dass man sich nicht mit dem zufrieden geben muss, was einem in die Wiege gelegt worden ist, sondern sein Leben selbst gestalten kann. Als sie Robin Hood das erste Mal im Wald trifft, sprühen die Funken zwischen den beiden. Genau auf einer Wellenlänge sprechen sie direkt nach ihrem Zusammentreffen wie aus einem Munde und ärgern Marians Tante Gouvernante. Auf diese liebreizende Art wird auch den Jüngsten im Publikum Romantik vermittelt.
Als ›Comic-Relief‹-Figur sticht Marians Tante Gouvernante besonders hervor. Gespielt von Andreas Jeßing, der auch Bruder Tuck verkörpert, aber als Gouvernante eine weiße Bob-Perücke trägt, stöckelt die Gouvernante an verschiedenen Stellen über die Bühne und bettelt die Prinzessin an, mit ihr ein Selfie zu machen. Ein Stück weit soll der Witz der Figur wohl daher rühren, dass sich in Wahrheit ein Mann hinter den divenhaften Zügen der Tante verbirgt. Inwiefern das im 21. Jahrhundert noch angemessen ist, mag etwas fragwürdig sein, feststeht aber, dass Jeßing als Gouvernante die meisten Lacher vom Publikum kassiert.
Sehr viel moderner wird die Figur des ›Little John‹ gehandhabt. Little John ist in von Düffels Robin Hood nämlich eigentlich eine Joanna, die einzige Frau der Bande und Robin Hoods beste Freundin. Als die beiden das erste Mal zusammen auf der Bühne erscheinen, entbrennt sofort ein feuriger Wettstreit zwischen Robin und Joanna – nur, dass es keinen klaren Gewinner gibt. Joanna ist Robin Hood in allen, auf witzvolle Art zufällig wirkenden Kategorien ebenbürtig. So absolvieren sie beide ähnlich perfekte Radschläge und auch beim Dance Battle nehmen sie sich nicht viel. Als Joanna von einem der Bandenmitglieder darauf hingewiesen wird, dass Frauen bei ihnen nicht mitmachen dürfen, antwortet sie ganz cool: »Ach ja? Wer bestimmt denn das?« Insofern lassen sich durchaus feministische Züge im Stück finden, ohne, dass diese einen zentralen Aspekt einnehmen.
Die Bühne als Geisterwald
Es erklärt sich von selbst, dass sich die Bande der Vogelfreien, wie sich Robin Hood und seine Freunde nennen, die meiste Zeit über im Wald aufhält. Auf der Bühne ragen mehrere, aus verschiedenen Stoffen gefertigte Bäume in den Himmel. Das allein ist schon schön anzusehen, aber noch viel beeindruckender sind die wechselnden Atmosphären und Wetterzustände. So wird in den anderthalb Stunden an verschiedenen Stellen dafür gesorgt, dass der:die Zuschauer:in etwas zum Gucken hat. Schnee fällt vom Himmel und Nebel zieht über den Waldboden. Echtes Feuer wird in einer Tonne entzündet, Lichterketten herabgelassen. Obwohl sich fast die gesamte Handlung im selben Geisterwald abspielt, wird das Bühnenbild von Mara Zechendorf dadurch nicht langweilig.
An einer Stelle entpuppen sich sogar zwei Gehängte als lebendige, getarnte Menschen. Diese werden an zwei Drahtseilen von der Bühnendecke gelassen. Auch das ist natürlich ein Spektakel, und dass einer der beiden Gehängten für wenige Augenblicke ein Problem dabei hat, sich von seiner Sicherung zu lösen, als seine Füße den Boden berühren, fällt den Kindern im Publikum kaum auf, so sehr hängen sie an den Lippen Robin Hoods.
Actionreiche Kämpfe und kreatives Bogenschießen
Eine Inszenierung Robin Hoods, der als bester Bogenschütze weit und breit bekannt ist, funktioniert nicht ohne Bogenschießen. Aber Pfeil und Bogen im Theater bergen natürlich gewisse Gefahren. Dieses Hindernis wird auf ebenso kreative Weise gemeistert, mit der auch der Witz in den verschiedenen Kampfszenen beibehalten wird. So werden die Pfeile unter pfeifenden Sounds von den beistehenden Figuren zum Ziel befördert und der böse Sherrif am Ende prompt in einen Teppich eingewickelt. Gerade gegen Ende nehmen das Kämpfen und Schießen ein wenig überhand, allerdings bleibt der Unterhaltungsfaktor – beispielsweise durch Megafonansagen beim Schießwettkampf – weiterhin bestehen. Zusätzlich besticht das Familienstück auch durch seine knappe Länge von einer Stunde und zwanzig Minuten.
»Er nimmt den Reichen und gibt den Armen.«
Der mehrere hundert Jahre alte Robin Hood scheint tatsächlich sehr gut gealtert zu sein: immer noch aktuell, immer noch unterhaltend und immer noch ein Vorbild für Jung und Alt. Gerade durch die spannenden, aber nicht überzogenen Modernisierungen wird das Publikum durchgängig bei der Stange gehalten, sodass die Zeit wie im Fluge vergeht. Auf spielerische und teilweise sogar interaktive Art und Weise wird den Kleinen und Großen Gerechtigkeit und Loyalität nahegelegt. Und auch den Älteren im Publikum wird wohl der eine oder andere Lacher über die Lippen rutschen, sodass das Stück am Ende für eine:n jede:n einen unterhaltsamen Nachmittag verspricht.
Robin Hood wird noch bis Ende Januar im Deutschen Theater zu sehen sein.