Ghosting oder Liebe?

Nina denkt, sie hat in Max die Liebe ihres Lebens gefunden, doch dann ghostet er sie. Dolly Alderton schreibt in Gespenster amüsant über die Anfänge einer möglichen Partnerschaft und deren abruptes Ende. So zeichnet sie ein realistisches Bild von der Liebe im 21. Jahrhundert.

Von Jana Schaefer

Bild: Via Pixabay, CC0

Eigentlich könnte Nina mit ihrem Leben sehr zufrieden sein: Sie hat eine Eigentumswohnung in London, ihr zweites Kochbuch soll bald veröffentlicht werden und sie hat tolle Freund:innen. Trotzdem fehlt ihr etwas, weshalb sie sich bei der Dating-App Linx anmeldet und versucht, ihren Traummann zu finden. Und Max scheint auch perfekt zu passen – oder doch nicht? Nach einigen Wochen voller Dates antwortet Max Nina nicht mehr, er ghostet sie. Ghosting, also das plötzliche Ausbleiben von Antworten, ist ein Begriff aus der Ära des Internets, auch wenn das Phänomen selbst natürlich älter ist – schon zuvor war ein abrupter Abbruch einer Freundschaft oder Beziehung möglich. Die Unverbindlichkeit des Internets verstärkt Ghosting aber besonders, da SMS, digitale Dienste oder Dating-Seiten wie Tinder, Linx oder Bumble einen Überfluss an möglichen Dates bieten.

In Dolly Aldertons Debütroman Gespenster von 2020 geht es um zwischenmenschliche Beziehungen oder vielmehr darum, wie diese im digitalen Zeitalter auf der Strecke bleiben. Alderton ist Journalistin und Autorin, sie hat eine Kolumne namens Dear Dolly in The Times und hat bereits das Memoir Alles was ich weiß über die Liebe veröffentlicht.

Eindimensionale Charaktereigenschaften

Die Handlung bietet eine Vielzahl an Nebencharakteren, deren Beziehungen zur Protagonistin meist kompliziert sind. Missgönnt Nina ihren Freund:innen den persönlichen Erfolg oder ist sie bloß genervt von deren vorgelebtem perfekten Leben? Dabei sind die Figuren überwiegend reduziert auf einen bestimmten Aspekt ihres Lebens, sodass sie eindimensional bleiben. So erzählt der Handlungsstrang um Ninas älteste Freundin allein von ihrem Familienleben. Einige Nebenhandlungen hätten gerne ganz fehlen dürfen, da sie nur von der Haupthandlung ablenken und somit den Fokus zu sehr verschwimmen lassen.

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Dolly Alderton
Gespenster

Übers. von Eva Bonné
Hoffmann und Campe: Hamburg 2020
384 Seiten, 22,00€

Am meisten überzeugt die Handlung um Ninas Vater, dessen schwere Krankheit auf ihr lastet. Ihr Vater erinnert sich immer weniger an Nina, ihre Mutter und das gemeinsame Leben. Der ehemals lebenslustige und schelmisch aufgelegte Mann erkennt selbst, dass er sich verändert, kann dies jedoch nicht in Worte fassen. Einmal steht er in seinem alten Elternhaus und erkennt nichts wieder, die neuen Besitzer:innen sind für ihn Besucher:innen seiner verstorbenen Mutter. So traurig die fehlenden Erinnerungen ihres Vaters Nina auch machen, schafft Alderton es immer, einen Funken Humor und Mitgefühl in die emotionalen Szenen einzubinden.

Geister mit Identifikationspotenzial

Der Roman ist mit 384 Seiten recht lang, aber durch die einfache Sprache und die lebendigen Schilderungen angenehm zu lesen. Dennoch fehlt es der Geschichte an Höhepunkten. Das Liebesleben Ninas und das Ghosting, das dem Buch seinen Namen gibt, spielen nicht die Hauptrolle – es sind die anrührenden Szenen zwischen Nina und ihrem Vater, und ihre Versuche, gemeinsame Momente und Erinnerungen heraufzubeschwören, die einen als Lesende:n am stärksten berühren. Oder ihre Gespräche mit ihrer einzigen Single-Freundin Lola. Dabei ist auffällig, wie wenig wörtliche Rede die Autorin benutzt. Meistens handelt es sich nur um kurze Sätze. Der:die Lesende erfährt also in erster Linie über Ninas Gedanken, wie sie sich fühlt und was ihr Gegenüber empfindet.

Gespenster besticht durch eine interessante Protagonistin, in der sich besonders Millennials widerfinden können. Lockere Lektüre, die vielleicht etwas kürzer hätte ausfallen dürfen. Trotzdem entmutigt das Buch mögliche Online-Dating-Nutzer:innen nicht völlig, denn es wird deutlich, dass auch unter vielen Steinen irgendwann ein Juwel dabei sein kann. So werden neben Ninas dysfunktionaler Beziehung mit Max auch andere, glückliche Partnerschaften beschreiben, etwa anhand ihrer Eltern oder ihrer engen Freund:innen. Nina, oder vielleicht eher Dolly Alderton, scheint trotz allem an die Liebe zu glauben.

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