Die Wanderausstellung conn3ct: 2 media, 1 story gastiert vom 7.10. – 18.12.2016 in Göttingen und will medienwissenschaftliche Fragen vermitteln. Dabei werden vor allem die gesellschaftlichen Folgen von Medienrevolutionen in den Blick genommen und exemplarisch der Buchdruck im 15. Jahrhundert mit der Digitalen Revolution unserer Zeit parallelisiert.
Von Hartmut Hombrecher
Bild: Public Domain
Neuland und Medienrevolution, Gefahr und Chance, Demokratie und Oligarchie. Die Thematisierungen des Internets in den klassischen analogen Medien sind divers und zielen nicht selten auf die eminente Bedeutung ab, die wohl heutzutage niemand mehr diesem Medium absprechen will. Was aber ist eine Medienrevolution eigentlich und wie sind ihre Folgen abzuschätzen? Wie entsteht ein neues Medium überhaupt? Wieso setzt es sich gegen andere durch? Und welche gesellschaftliche Relevanz kann einem Medium zugesprochen werden? Es sind solche Fragen, mit denen die Ausstellung conn3ct: 2 media, 1 story, die vom 07.10. – 18.12.2016 in der Paulinerkirche gezeigt wird, medienwissenschaftliche Perspektiven vermitteln will. Dabei ist der Blick stets ein doppelter: Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert wird mit der Entwicklung des Internets im 20. und 21. Jahrhundert parallelisiert.
Die BesucherInnen sind dabei nicht nur Zuschauer, LeserInnen und Betrachter der Ausstellung, sondern sollen in Interaktion treten – mit den Objekten und auch untereinander. Zu Beginn erhält man eine Chipkarte, die einen auf dem Gang durch die Ausstellung begleiten wird, und loggt sich mit ihr bei einer ersten Informationssäule ein. Der Rest ist freiwillig: Ob man seinen Namen einträgt, ein Selfie oder Shelfie auf der Karte speichert oder sie überhaupt nutzt, bleibt jedem und jeder selbst überlassen. Aber die Ausstellung verleitet dazu, zum Benutzer zu werden. Manche Informationen sind nur zugänglich, wenn man die Karte an die dafür vorgesehenen Slots hält. Dort erhält man etwa statistische Informationen von den bisherigen BesucherInnen der Ausstellung, die dabei helfen, sein eigenes Verhältnis zu den Medien Buch und Internet genauer zu bestimmen. Damit zieht conn3ct bereits auf einer ersten Ebene die Reflexion darüber ein, wie Medien von Menschen genutzt werden und diese wiederum auf sie zurückwirken. Dass die Aktionen aller AusstellungsbenutzerInnen mittels eines Feeds auf einer zentralen Monitorwand dargestellt werden, tut sein Übriges. Hier wird die Öffentlichkeit des Internets, insbesondere in den sozialen Medien, auch für diejenigen ein Stück weit erfahrbar, die bisher nicht aktiv an Facebook, Twitter oder Instagram partizipieren. Nach dem Gang durch die Ausstellung möchte man sich Martin Warnke anschließen, wenn er schreibt: »Das Internet – vielleicht die digitalen Medien überhaupt – als dasjenige technische Artefakt, das unsere Gesellschaft am nachhaltigsten verändert hat, hat es uns vorgemacht: den Kontrollverlust als Prinzip.«1Warnke, Martin 2011: Theorien des Internet zur Einführung. Hamburg: Junius. S. 176.
Alle Aspekte des medialen Erlebens werden auch in den Ausstellungstexten behandelt. Die Gliederung nach verschiedenen Gesichtspunkten im Umgang mit dem Internet ist dabei intuitiv und zielführend. Der zentrale Punkt liegt fraglos auf der Reflexion über die gesellschaftlichen Aspekte des Internets, vor allem über die sogenannten sozialen Netzwerke. Unter Follow wird aufschlussreich thematisiert, wie Machtstrukturen durch Medien gefestigt werden. Dabei wird das Abonnieren der Posts prominenter Personen Panegyrik und Anordnungen gegenübergestellt, die den Erhalt von Herrschaft in der frühen Neuzeit begünstigen. Dagegen zeigt die Abteilung Chat, wie Medien auch subversiv genutzt werden können. Die Ausstellung zieht Parallelen, wenn Aufstände im 21. Jahrhundert über soziale Netzwerke organisiert werden und fünfhundert Jahre früher Flugblätter sowie verbotene Schriften von Druckern unter Einsatz ihres Lebens gesetzt werden. Dass auch diese Entwicklungen nicht immer emanzipatorisch sein müssen, zeigt sich sowohl am Arabischen Frühling als auch an heute wohl als rechtspopulistisch zu bezeichnenden Pamphleten aus der Frühen Neuzeit, die angebliche Kriegsaufrufe des Osmanischen Reiches gegen die Christenheit zum Thema haben.
Dass die Parallelisierung von Buchdruck und Internetrevolution nur oberflächlich funktioniert, weil sie komplexe gesellschaftliche Rahmenbedingungen außer Acht lässt oder nur am Rande erwähnt, wird in der Ausstellung nicht besprochen. Besonders eindrücklich zeigt sich das am Beispiel der Kategorie Delete, wo mehr oder minder das »Recht auf Vergessen« im Internet in einen Topf mit der lückenhaften Überlieferung frühneuzeitlicher Drucke geworfen wird. Genau genommen liegen hier nämlich gegenteilige Phänomene vor: Eine Postinkunabel war ein aufwendiges Werk. Wenn sie verloren ging, war das weder aus ökonomischen noch aus persönlichen Gesichtspunkten für ihren Besitzer begrüßenswert. Bei personenbezogenen Informationen im Internet sind nicht nur die Besitzverhältnisse komplizierter, auch ist die Person, um deren Daten es geht, zumeist nicht mit einem ökonomischen Vorteil ausgestattet, sondern der Dienstleister, dem man die Daten mitteilt. Zudem enthält ein frühneuzeitliches Druckwerk nur selten Informationen, von denen man heute sagen würde, sie beträfen die Persönlichkeitsrechte von jemandem. Oder anders formuliert: Gewolltes Vergessen und zufälliges Vergessen von Wissen hängen auch von den sozialen Umständen ab, die durch das spezifische Medium mitgeschaffen werden.
Möglicherweise lassen sich gerade aus diesen Brüchen auch neue Denkhorizonte entwickeln. Das Konzept der Ausstellung ist nämlich nicht nur sehr unterhaltsam, sondern regt auch zum Nachdenken über die Mediengeschichte und über gesellschaftspolitische Fragen an. Die bei vielen Ausstellungen implizite Frage, ob »Inhalte und Identitäten oder schlicht Artefakte« zur Ausstellung gelangen2Kroucheva, Katerina / Schaff, Barbara 2013: Einleitung. In: dies. (Hrsg.): Kafkas Gabel. Überlegungen zum Ausstellen von Literatur. Bielefeld: transcript. S. 7–21, hier: S. 11., kann für conn3ct also ganz eindeutig beantwortet werden: Nicht nur historische, sondern auch die eigene Identität wird ausgestellt. Aber nicht nur, wer heute bereits als Digital Native aufwächst, bekommt durch die Ausstellung einen Eindruck davon, welche Bedeutung das Internet in den vergangenen Dekaden erhalten hat, und mehr noch, welche grundlegenden Veränderungen der Buchdruck vor mehr als 550 Jahren in Europa bewirkt hat. Auch wenn die Bücher räumlich eher an den Rand gedrängt werden, was vermutlich den festen Ausstellungsvitrinen des Kirchenraums geschuldet ist, zeigen sich an ihnen doch die Objektivierung und Materialität von Wissen, die im Digitalen zu verschwinden scheinen. Umso beeindruckender wirkt auch heute noch ein repräsentativer Großfolioband wie die ausgestellte Zainer-Bibel von 1475/76. Wenn hier ein Text in so opulenter Pracht präsentiert wird, wird vielleicht doch wieder die »einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag«, erfahrbar.3Benjamin, Walter 1963: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: ders.: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 15. Denn diese Bibel steht in direkter Opposition zur Kürze und Schmucklosigkeit der Textformen im Internet, wo geschätzte Lesezeiten auf Nachrichtenseiten in Minuten angegeben werden und ein »tl;dr« (als gängige Abkürzung für »too long; didn’t read«) unter manchen Text gesetzt wird, der die als zumutbar empfundene Länge überschreitet.
Die Ausstellung macht deutlich: Es sind dezidiert geistes- und sozialwissenschaftliche Perspektiven auf das Internet notwendig, wenn die technischen Entwicklungen nicht nur fortschrittsoptimistisch vorangetrieben werden, sondern auch in Hinblick auf ihre Konsequenzen für soziale Zusammenhänge, für die Kommunikation und das Denken reflektiert werden sollen. Solche Reflexionen können aber nicht nur in der Wissenschaft stattfinden, sondern müssen gesellschaftlich angeregt oder da fortgesetzt werden, wo sie bereits eingesetzt haben. Genau diese Schnittstelle übernimmt conn3ct: 2 media, 1 story, und man darf sich der Hoffnung hingeben, dass die gelungene Ausstellung jeden einzelnen Besucher anregt, sich mit seinen gedanklichen und gesellschaftlichen Positionen im Zeitalter der Digitalisierung auseinanderzusetzen.