Stereotype dekonstruieren

Das Ensemble des Staatstheaters Kassel sorgt in knallbunten Drag-Kostümen mit »Bunbury (Ernst ist das Leben)« für eine unterhaltsame Oscar-Wilde-Inszenierung. In der Komödie steckt jedoch eine ernste Kritik an Stereotypen.

Von Lucie Mohme

Bilder: Katrin Ribbe

Wie es im viktorianischen England in Stadtwohnungen üblich war, ist das erste Bühnenbild von »Bunbury (Ernst ist das Leben)« mit einem klassisch schwarz-weißen Farbmuster versehen, Fliesen sowie Wände sind geometrisch geprägt. Bei genauerem Hinsehen sind Ranken und Blumen zu erkennen – aber auch Darstellungen von Sex-Szenen. Der Hintergrund verrät also schon, worum es geht: um Trieb, Lust, Sex, aber auch um Identität, Gender und Geschlecht. Die Inszenierung am Staatstheater Kassel spielt sich in einem Stadthaus, dem Garten eines Landhauses und im Landhaus selbst ab. Typische Aufenthaltsorte von Dandys, wie es der Autor des Stücks, Oscar Wilde, höchstpersönlich war. Die Szenerie sowie die Rollendarstellung sind nicht verwunderlich, denn Wilde stellt sich in seinen Stücken immer auch selbst dar.

Knallende Farben

Bunte Kostüme gibt es in Bunbury am Staatstheater Kassel zu sehen. Bild: Katrin Ribbe

Dazu kommen die Kostüme, die sich knallig vom zweifarbigen Bühnenbild abheben. Pink, Lila, Grün und Blau sind in kräftigen Schattierungen je ein oder zwei Rollen zugeteilt. Die Perücken sind farblich angepasst und türmen sich teilweise hoch auf den Köpfen der Schauspieler:innen. Das Make-Up ist bei den weiblichen Rollen, die von den männlichen Schauspielern verkörpert werden, im Drag-Stil gehalten. Eine naheliegende Wahl, da Drag als Kunstform schon von Grund auf die Performance der Geschlechter zelebriert.

»Bunburysieren« heißt das, was die beiden Protagonisten Algernine und Jaqueline sich als Hobby zugelegt haben. Es bedeutet, sich eine Person, wie zum Beispiel »Bunbury« oder auch »Ernst«, als Ausrede auszudenken, um nicht an gesellschaftlichen Veranstaltungen, etwa einem Treffen mit den Verwandten, teilnehmen zu müssen. Wenn die arme Freundin Bunbury krank ist, muss Algernine nun mal zur Hilfe eilen. Das Ganze ist also eine Verwechslungskomödie, denn im Verlaufe des Stückes fliegt das ein oder andere Bunburysieren auf: Jaqueline und Algernine geben sich auf dem Landhaus als Ernst aus, da sie beide jeweils Männer heiraten wollen, die als Bedingung für eine Heirat stellen, dass die Frau mit Vornamen »Ernst« heißen soll. Dieser etwas skurrile Anspruch ist eine Übertreibung der Ansprüche an Partner:innen. Im Gegensatz zum Originaltext ist das aber hier auf Männer umgemünzt: Sie haben die hohen Ansprüche und über sie wird diskutiert und gerätselt, wie man ihnen gerecht werden könnte. Amüsant erscheint dies wohl auch heute noch dem Publikum, das oft mehrheitlich den Kopf schüttelt. Als herauskommt, dass keine der beiden Frauen Ernst heißt, stellt sich dies tatsächlich als unüberwindbares Hindernis für eine Hochzeit heraus. Kurz bevor das Stück ohne Happy End ausgeht, gibt es jedoch eine unvorhersehbare Wendung. 

Selbstdarstellung, Performance und Gesellschaft

Selbstdarstellung und Performance bilden den Kern der Inszenierung von Christian Weise. Die deutsche Fassung von Wildes Stücks stammt in diesem Fall von der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Die Performance der sozial antrainierten Verhaltensweisen von Frau und Mann kommt hier deutlich zum Ausdruck. Denn im Gegensatz zum Original sind die Rollen im Stück vertauscht. Statt Jack gibt es Jaqueline und statt Algernon Algernine, aus Gwendolyn wird Gwendo und aus Cecily Cecil. Es kommt jedoch zu einem doppelten »Tausch«, da die weiblich gelesenen Rollen von männlichen Schauspielern dargestellt werden und die männlich gelesenen Rollen von weiblichen Schauspielerinnen. Zusätzlich gibt es zwei nicht-binäre Rollen, die ohne Pronomen angesprochen werden. Durch den doppelten »Switch« und die auffallend stereotypisch feminin und maskulin gespielten Rollen regt die Inszenierung dazu an, stereotypisches Verhalten der Geschlechter in Frage zu stellen.

Jonathan Stolze als Algernine. Bild: Katrin Ribbe

Beim Publikum kommen besonders die musikalischen Szenen gut an. Jonathan Stolze performt zu Beginn als Algernine »Boys« von Charli XCX. Mit Extravaganz, ausdrucksstarker Mimik und einer Leichtigkeit im Spiel sticht Stolze im ganzen Stück hervor. Auch die zweite musikalische Szene wird mit Szenenapplaus gefeiert. Marcel Jaqueline Gisdol singt als Dr. theol. Chasuble »It’s a Sin« von den Pet Shop Boys. Das Lied baut dabei auf die vorangegangen Rede Chasubles auf, die sich vor allem auf das Gefühl bezieht, in eine Gesellschaft nicht hereinzupassen. Das Kostüm von Chasuble ist in der Robe eines:r Priester:in gehalten, diese ist eine der Rollen ohne Pronomen. Insgesamt setzen diese Szenen der gesamten überragenden Performance des Ensembles aber nur das i-Tüpfelchen auf.

Sich selbst belächeln

Publikumsliebling des Abends ist Onkel August, verkörpert von Lisa Natalie Arnold. Arnold spielt den älteren konservativen Onkel passend überspitzt, der nüchtern über das Leben des Sohnes Gwendo bestimmt, vor allem in Bezug auf seine Heirat. Damit erreicht die Inszenierung genau wie damals im England des 19. Jahrhunderts, dass das Publikum, das überwiegend als gutbürgerlich gelesen werden kann, ironisch über sich selbst lacht. Kritik übt das Stück also sicherlich auch in heutiger Zeit noch. Hoffentlich wird jedoch im Gegensatz zu damals einiges ernster genommen, vor allem was sozial antrainierte, weibliche und männliche Verhaltensweisen angeht. Denn wortwörtlich heißt es in der Komödie: Es ist wichtig, E-/ernst zu sein.

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