Insel der Toten

Vergewaltigung, Drogenmissbrauch, Alkoholismus, häusliche Gewalt und Selbstmord. Zombieland ist ein aufrüttelnder Dreiklang aus Kurzgeschichten, Lyrik und Illustrationen. In ihrem Debut lässt die grönländische Nachwuchsautorin Sørine Steenholdt die LeserInnen hinter die Fassaden trister Wohnblöcke in der arktischen Metropole Nuuk blicken.

Von Daniel Nagelstutz

Bild: Wohnblock in Nuuk, Photo von © Daniel Nagelstutz

Sørine Steenholdts Debut Zombieland wurde 2016 für den Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert. Sie gehört zu einer jungen Generation grönländischer SchriftstellerInnen, deren Werk auch in Dänemark beachtliche Resonanz findet, in Deutschland mangels Übersetzungen allerdings eher unbekannt ist ‒ zu Unrecht. Steenholdt studierte Sprache, Literatur und Medien an der Universität von Grönland in Nuuk. Zombieland, bisher nur auf Grönländisch und Dänisch im Milik-Verlag erschienen, wurde von Maja-Lisa Kehlet Hansen mit expressionistischen Zeichnungen illustriert.

Steenholdt erzählt von Figuren, die ihr Leben aufgegeben haben. Menschen, die keinen Ausweg mehr aus einer Spirale von Gewalt und Alkoholmissbrauch finden. Menschen, die nur noch Hülle sind und trotzdem weiterleben. Und die Kinder jener »Zombies« werden in den gewaltigen Sog aus Selbstzerstörung unweigerlich mit hineingezogen. Ein apokalyptischer Alptraum, in den kaum Hoffnung dringt: Das ist Zombieland, eine lexikalische Abwandlung vom Dänischen »Grønland«.

Selten werden die Figuren aus Zombieland beim Namen genannt. Sie stehen für die anonyme Masse auf der Insel, deren eigene Biografie denen der Figuren nicht unähnlich ist. Jede/r dritte GrönländerIn unter 18 Jahren wurde bereits Opfer sexueller Gewalt. Jede/r fünfte junge GrönländerIn hatte schon einmal Gedanken an Suizid. Die Selbstmordrate des Landes ist weltweit die höchste. Wie die dänische Tageszeitung Berlingske in einem Artikel mitteilt, sogar zehnmal höher als die im Mutterland Dänemark, dessen Bevölkerung laut OSZE die glücklichste der Welt ist.

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Sørine Steenholdt
Zombieland

Milik Publishing 2015
144 Seiten, ca. 33€

Steenholdt legt den Fokus ihrer Kurzgeschichten auf das Verhältnis zwischen Müttern und ihren Kindern. Da ist das Mädchen, das mitten in der Nacht von ihrer betrunken Mutter aus dem Bett geholt wird, um mit ihr gemeinsam die Wohnung nach verlegten Zigaretten zu durchforsten. Die Suche der Tochter bleibt erfolglos. Da greift die Mutter in den Aschenbecher und zündet eine Kippe an, drückt sie auf dem Oberarm ihrer Tochter aus und schickt sie zurück ins Bett. In einer anderen Erzählung schläft eine stark alkoholisierte Mutter vor dem brennenden Gasherd ein. Die Tochter spielt mit dem Gedanken, den Herd einfach anzulassen. Sie erträgt den Menschen, dem sie rein gar nichts bedeutet, nicht mehr. »Jeg tænker på alt det, du har gjort mod mig og alt det, du aldrig gjorde. Mor et blot et ord.« (»Ich denke an all das, was du mir angetan hast und an all das, was du nie getan hast. Mutter ist doch nur ein Wort.«)

Zombies verkörpern in den Erzählungen neben Müttern, die dem Alkohol verfallen sind, und Männern, die durch Gewaltexzesse und Untreue ihre Familien zerstören, auch andere Gesellschaftsschichten, auf die Steenholdt ein detailreiches Augenmerk legt. Sie zeichnet das Bild einer lethargischen Jugend, für die soziale Medien, teure Markenkleidung und exzessive Partys alles bedeuten. Sie schildert eine Gesellschaft, die Hetzjagd auf PolitikerInnen macht, wenn sie deren Führungsstil und Eskapaden nicht mehr duldet. Steenholdt stellt somit die politische Reife eines Volkes in Frage, das mehrheitlich eine Loslösung von Dänemark befürwortet.

Mit Land. Klare farver, bestemte farver. Farver, der ikke er gennemsigtige, ikke halve farver. Mit land er malet med kærlighedens farver, malet med varme farver.(Mein Land. Klare Farben, bestimmte Farben. Keine durchsichtigen Farben, keine kalten Farben. Mein Land ist mit den Farben der Liebe gemalt, mit warmen Farben.)

Der Autorin gelingt es, die ProtagonisitInnen in Zombieland als Gefangene ihrer eigenen Realität darzustellen. Durch den Wechsel zwischen Innen- und Außenperspektive kommen sie den Lesenden besonders nahe, lassen sie mitleiden und mithoffen. Dabei überrascht sie mit unerwarteten und zugleich verstörenden Wendungen. Der Realismus ihrer Kurzgeschichten und Gedichte ist nur schwer zu ertragen. Die wenigen Lichtblicke, die sich in Zombieland finden, erlöschen schnell wieder: Als Erwachsene nehmen sich die Figuren vor, es besser zu machen als ihre Eltern. Aber lebende Tote sind ansteckend.

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