Christian Huber, sonst eher komödiantisch für das ZDF Magazin Royal tätig, wagt sich in seinem Debütroman Man vergisst nicht, wie man schwimmt an die Ausgestaltung einer dramatischen Coming-of-Age-Geschichte. Dabei gelingt es ihm, durch seinen Schreibstil und den gelungenen Figurenzeichnungen etwas Eigenes zu kreieren, jedoch nicht, sich gänzlich von den genretypischen Beschränkungen zu lösen.
Von Lukas Teusch
In seinem Roman Man vergisst nicht, wie man schwimmt mischt Christian Huber seine Comedy-Erfahrung, die er bisher hauptsächlich als Sketch-Autor für Jan Böhmermanns Satireshow eingesetzt hat, gekonnt mit den eigenen schriftstellerischen Stärken und erschafft so ein nachvollziehbares Bild vom Kleinstadtleben, dessen Struktur man unentwegt folgen kann. Nur leider etwas zu genau.
Als der 15-jährige Krüger sich am Morgen des letzten Sommertages dazu entschließt, den ganzen Tag alleine zu Hause zu bleiben und nichts zu tun, weiß er noch nicht, dass die Ereignisse des Tages sein ganzes restliches Leben zu beeinflussen werden. Angefangen bei seinem besten Freund Viktor, der ihn nach draußen zerrt, damit er ihm bei seinem Ferienjob hilft, entspinnt sich eine Ereigniskette, deren eng ineinander greifende Glieder einfach nicht abreißen mögen. Als dann noch die gleichaltrige Jacky wie ein Komet in Krügers Alltag einschlägt, ändert sich für ihn alles. Doch selbst ihr kann er die eine Geschichte nicht erzählen. Die eine, die niemand wissen darf, wegen der er sich nicht verlieben kann und niemals wieder Schwimmen gehen wird.
Als würde man einen Film sehen
Der filmische Erzählstil Hubers vermittelt einen sehr genauen Einblick in die Hauptfigur und ihre Sicht auf die Umgebung. Dadurch entstehen teils dramatische Sequenzen, deren bildgewaltige Schilderungen nicht nur Krüger schwindelig zurücklassen. In Kombination mit den rasch wechselnden Schauplätzen und der zügig voranschreitenden Geschichte ergibt sich eine Lesedynamik, die den Rezipient:innen ein Weglegen des Romans beinahe unmöglich macht.
Dadurch täuscht der Roman über seine Schwächen hinweg, die ganz klar in den genretypischen Handlungselementen, wie beispielsweise Hauspartys, liegen, indem er sie aus Krügers Sicht ausgestaltet und so individualisiert.
Doch ein Roman, dessen Fokus auf den Erlebnissen von Jugendlichen liegt, überzeugt meist nicht durch eine ausgefallene Geschichte, sondern steht und fällt mit seiner Figurendarstellung. Natürlich lässt sich auch hier nicht von der Hand weisen, dass es sich bei fast allen Charakteren anfänglich um Abziehbilder handelt. Dabei gelingt es dem Roman dennoch, den Figuren mit Interaktionen und Handlungen Leben einzuhauchen.
Intermedialität als Genrekompensator
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal sind die von der Hauptfigur verfassten Geschichten, deren jeweilige Platzierung innerhalb der Handlung immer wieder das eben Geschehene in einem neuen Licht erscheinen lassen. So werden Dorflegenden realer, Charakterzeichnungen abstrakter und die Handlung bleibt nicht genretypisch eintönig, sondern dynamisch. Des Weiteren sind die Erzählungen Krügers Indiz für Hubers Schreibtalent, da er dort sein Können im Erzählen anderer Genres erkennbar macht, deren Verwendung so in einem Coming-of-Age-Roman sonst keinen Anklang finden würde.
Christian Huber
Man vergisst nicht, wie man schwimmt
dtv: München 2022
400 Seiten, 22,00€
Außerdem finden einige Musikstücke, unter anderem von den Red Hot Chili Peppers oder Eminem, ihren Weg in den Roman. Laut einer Aussage in einem Interview seien diese Songs und Bands für den 38-jährigen Autors, der zur Handlungszeit des Romans ebenfalls sechzehn war, maßgeblicher Teil seiner Jugend gewesen, weshalb ihm die Verwendung hier sinnvoll erschien, um den Leser an seiner Vergangenheit teilhaben zu lassen und so ein authentischeres Gefühl für seine Coming-Of-Age-Erzählung zu erzeugen.
Vermeidbare Vorhersehbarkeit
Inhaltliche Wiederholungen können ein effektives Mittel sein, um einer Geschichte Komplexität zu verleihen und das Planungsgeschick des Autors in den Vordergrund zu rücken. Nur muss ihre Verwendung dafür auch gelingen. Huber macht stilistisch den Fehler, zu genau mit dem Finger auf später noch wichtige Ereignisse oder Objekte zu zeigen. So lassen sich nach den ersten hundert Seiten mindestens drei plausible Theorien für den restlichen Romaninhalt aufstellen, von denen eine garantiert nah dran sein wird. Dadurch wird die dargestellte Reise vorhersehbarer, als sie sein müsste. So hilft dann leider auch der dynamische Schreibstil nicht über die Enttäuschung hinweg, genau auf das Ende getroffen zu sein, das sich vor dreihundert Seiten bereits ankündigte.
Ein anschauliches Beispiel für solch auffällige Wiederholungen ist die ständige Erwähnung von Krügers wichtiger Hintergrundgeschichte. Anfangs wirkte diese wie eine gute Einleitung und ein Wegbereiter für die kommende Entwicklung des Protagonisten, doch im Verlauf des Buches begegnet dem:r Leser:in die gleiche Formulierung auf gut jeder zwanzigsten Seite erneut. Das nutzt sich ab und stört die eigentlich vorhandene Dynamik:
Keine Überraschung, aber überraschend gut
Die Endlichkeit eines Moments, einer Jahreszeit oder einer Begegnung mit einem liebgewonnenen Menschen: Der Darstellung des Gefühls, das solche Momente begleitet, verschreibt sich Christian Huber in seinem Roman. Mit viel Fingerspitzengefühl entspinnt er eine Geschichte, die mit einem dynamischen Erzählstil, warmherzigen Charakteren und einzigartigen internen Kurzgeschichten aufwartet, die die sonst genretypische Handlung auflockern. Dabei ist Huber nur teils zu aufdringlich mit Hinweisen auf später noch wichtige Handlungselemente. Liest man jedoch darüber hinweg, kramt in der eigenen Nostalgiekiste und reichert sich so das Leseerlebnis zusätzlich an, kann Man vergisst nicht, wie man schwimmt als durchaus gelungenes Portrait eines ereignisreichen Sommertages beschrieben werden.