Monica Ali führt die Leser:innen mit ihrem neuen Roman Liebesheirat zunächst in die Irre: Zu glauben, es handele sich lediglich um eine leichte Culture-Clash Komödie, wird der komplexen Geschichte nicht gerecht – vielmehr entwickelt sie sich immer mehr zum tiefgründigen Beziehungsdrama.
Von Alexandra Noll
Zwei Menschen treffen aufeinander, verlieben sich, und leben dann glücklich bis an ihr Lebensende zusammen – das könnte man von einem Buch mit dem Titel Liebesheirat erwarten. Weit gefehlt, denn in Monica Alis Roman ist »das Leben nicht simpel«.
Zwei Welten, ein Paar
Im Zentrum der Handlung stehen Yasmin Ghorami und Joe Sangster. Beide arbeiten als angehende Ärzt:innen im gleichen Londoner Krankenhaus und sind verlobt. Sie kommen jedoch aus unterschiedlichen kulturellen Welten: Yasmin hat bengalisch-indische, muslimisch geprägte Wurzeln und lebt mit ihren konservativen, traditionsbewussten Eltern und ihrem rebellischen Bruder unter einem Dach, Joe hingegen mit seiner feministisch eingestellten, unkonventionellen Mutter. Zu Beginn des Romans sorgt sich Yasmin wegen des ersten Treffens der Eltern. Doch wider Erwarten freunden sich die Mütter an. Dann kommt jedoch ein Geheimnis nach dem anderen ans Tageslicht und sowohl die Beziehung zwischen Yasmin und Joe als auch die zu ihren Eltern wird auf den Prüfstand gestellt.
Des einen Unglück, des nächsten Glück
Die Geschichte wird dabei aus drei Erzählperspektiven geschildert: in den meisten Kapiteln aus Yasmins Sicht, ab und an aus der von Joes Mutter und der seines Therapeuten. Warum nicht aus Joes eigener Perspektive erzählt wird, bleibt offen. Klar wird aber, dass es in dieser Geschichte nicht nur um Yasmin und Joe geht, sondern auch um ihre Vorgeschichte, das Leben ihres Bruders und Vaters und das ihrer Mütter und deren Eltern.
Es geht um Verflechtungen zwischen dem Schicksal der einen Generation zu dem der Folge-Generation(en). Was des:r einen Unglück war, ist des:r nächsten Glück – das deutet sich bei der Lektüre an. Aber ebenso, dass in jedem Negativen auch etwas Gutes stecken kann. Binsenweisheiten, mit denen sich eine breite Leser:innenschaft identifizieren können sollte.
Culture-Clash-Komödie oder Gefühlsdrama? Ein Buch mit zwei Gesichtern
Ali nimmt sich Zeit, ihre Geschichte und Figuren zu entwickeln. Als Leser:in braucht man dabei Geduld: Während sich die ersten 200 Seiten durch scheinbar unnötige Details und lexikonartige Exkurse – zum Beispiel medizinische Fachbegriffe, muslimische Glaubensgeschichten, indische Kleidungs- oder Essensbezeichnungen – etwas zäh lesen lassen und immer wieder Zeit, Geduld und Konzentration vonnöten ist, um Personen und Handlungen für sich zu ordnen, möchte man das Buch während der letzten 400 Seiten nur noch ungern beiseitelegen. Denn ab dem zweiten Drittel gibt der Roman ein Geheimnis der Figuren nach dem anderen preis und irritiert mit Themen wie Rassismus, Sucht oder Vergewaltigung und Plot-Elementen wie emotionalem Inzest, einem Baby und Affären.
Während das Drama seinen Lauf nimmt, entsteht ein Strudel von Gefühlen: von Scham und Stolz über Leidenschaft, Wut und Angst bis hin zu Schuld. Am Ende kommt die große Auflösung und doch bleibt offen, ob es nun ein Happy End für alle Beteiligten gibt oder nicht.
Empfehlenswert?
Lesenswert ist das Buch auf jeden Fall – schildert es doch hautnah und lebensecht das Liebes- und Lebensgeflecht zweier Familien, die es tatsächlich so oder ähnlich geben könnte. Während sie am Anfang zu unterschiedlich zu sein scheinen, können sie sich hingegen am Ende gerade deshalb so gut unterstützen und ergänzen.
Monica Ali
Liebesheirat
Klatt-Cotta: Stuttgart 2022
592 Seiten, 25,00€
Besonders ist auch, dass Figuren wie Joes Mutter oder Yasmins Bruder, die durch Alis Darstellung zu Beginn der Geschichte eher »nervig« und unsympathisch wirken, eine Entwicklung durchmachen und dann »menschlich« und sogar sympathisch erscheinen. Insgesamt sind die Figuren und ihre Plots überzeugend angelegt und die Möglichkeit, aus dem offen gestaltete Roman-Ende verschiedene Ausgänge deuten zu können, wird vermutlich unterschiedliche Leser:innen-Vorlieben zufrieden stellen. Insgesamt geht der Roman weit über leichte Unterhaltungsliteratur hinaus und kann vermutlich trotzdem auch vom Leben gestresste und enttäuschte Menschen ansprechen und ermutigen, das Leben so anzunehmen, wie es kommt und das Beste daraus zu machen.
Es lohnt sich also dranzubleiben, trotz 600 Seiten Beziehungs-Komplikationen. Der Roman ist eben wie das echte Leben: alles, aber nicht simpel.