Cho Nam-Joo landet mit Kim Jiyoung, geboren 1982 einen weltweiten Bestseller und erzählt die Geschichte der in Südkorea lebenden Kim Jiyoung. Sie greift darin Themen wie Sexismus, Gender Pay Gap und das Herabsehen auf die Arbeit von Hausfrauen und Müttern sehr gelungen auf.
Von Laura Theismann
Dass der Roman Kim Jiyoung, geboren 1982 der südkoreanischen Autorin Cho Nam-Joo auf Bestsellerlisten der ganzen Welt landete und bisher über 2 Millionen Exemplare verkaufen konnte, erscheint wenig überraschend. Es wird die Geschichte von Kim Jiyoung erzählt und gleichzeitig das Schicksal von Frauen auf der ganzen Welt widergespiegelt, indem Themen wie Sexismus, Misogynie und Ungleichbehandlung in der Arbeitswelt erzählerisch aufgearbeitet werden.
Wir begegnen Kim Jiyoung im Jahr 2015, als ihr Mann bemerkt, dass sie sich seltsam zu benehmen scheint. Sie schlüpft in die Rollen von Frauen in ihrem Umfeld, wie in die ihrer Mutter, ihrer Schwiegermutter oder auch in die einer guten Freundin. Die Vermutung liegt nahe, dass sie an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leiden könnte, allerdings wird im Laufe der Geschichte immer deutlicher, worin Kim Jiyoungs seltsames Verhalten wirklich begründet liegen könnte.
Das Leben einer Frau
So wird Kim Jiyoungs Leben nach und nach aufgefaltet, angefangen mit ihrer Kindheit und Jugend. Die Erzählinstanz beschreibt die Sorge ihrer Mutter, nach zwei Töchtern wieder keinen Sohn zu gebären. Als sich herausstellt, dass es wieder ein Mädchen werden soll, lässt die Mutter es abtreiben und bringt ein paar Jahre später einen Sohn zu Welt. Geschlechtsbestimmung und Abtreibung weiblicher Föten sind im Südkoreader1980er Jahre weithin gesellschaftlich akzeptiert, von der Politik werden sie als Geburtenkontrolle im Sinne der »Familienplanung« bezeichnet.
Jiyoungs kleiner Bruder wird in der Familie deutlich bevorzugt und muss im Gegensatz zu den Schwestern nicht im Haushalt helfen. Es wird berichtet, wie die Töchter vieler Familien unter schwersten Bedingungen in Fabriken arbeiten, um die Studienplätze ihrer Brüder mitfinanzieren zu können. Während dies bei ihrer Mutter noch so der Fall war, darf Kim Jiyoung eine Schulausbildung genießen auf ein Studium hinarbeiten. Um dies zu erreichen und ihre Noten zu verbessern, besucht sie eine Nachhilfeschule. Dort wird sie eines Tages von einem Jungen angesprochen, der sich einbildet, sie hätte Interesse an ihm gezeigt. Auf der Busfahrt nach Hause wird sie von jenem Jungen beobachtet und verfolgt, was große Angst in ihr auslöst. Durch die Hilfe einer anderen Frau kann Jiyoung der Situation entkommen, später macht ihr Vater sie für den Vorfall allerdings selbst verantwortlich. Er wirft ihr zum Beispiel vor, sie hätte keinen so kurzen Rock anziehen sollen.
Strukturelle Benachteiligung
Die Autorin lässt immer wieder Studien in Verbindung mit Zahlen und Daten in die Erzählung einfließen, welche die Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen schmerzhaft ans Licht bringen. Dies stört den Lesefluss in keiner Weise, sondern macht das allumfassende Benachteiligungsproblem noch eindrücklicher. Als Kim Jiyoung 2005 ihr Studium beendet, muss sie feststellen, dass sie trotz vieler Zusatzqualifikationen zahllose Absagen zu ihren Bewerbungen erhält. Eine zu diesem Umstand passende Studie, welche die Autorin an der Stelle anführt, besagt, dass die Frauenquote 2005 in Südkorea bei 100 untersuchten Unternehmen gerade einmal 29,6 Prozent betrug. Trotzdem wird darin von einem »starken Frauenanteil« gesprochen.
Nam-Joo Cho
Kim Jiyoung, geboren 1982
Übers. von Ki-Hyang Lee
Kiepenheuer&Witsch: Köln 2021
208 Seiten, 22,00€
Eine weitere Umfrage, die im gleichen Jahr bei Personalleitern von 50 Unternehmen durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass 44 Prozent der Teilnehmer einem Mann mit vergleichbaren Qualifikationen im Zuge einer Einstellung den Vorzug geben würden. Kein Einziger gab dagegen an, Frauen zu bevorzugen. Kim Jiyoung wird auf ihrer Arbeit im Vergleich zu Männern in gleicher Position schlechter bezahlt und nicht für längerfristige Projekte ausgewählt, da nach der Meinung der Geschäftsleitung die Arbeitsintensität nicht mit Familienplanung vereinbar wäre. Kim Jiyoung, geboren 1982ist ein feministischer Roman, ohne dabei aufdringlich zu sein. Dies zeichnet mitunter die Brillanz der Erzählung aus: Anhand des recht durchschnittlichen Lebens von Jiyoung wird unaufgeregt und nüchtern aufgezeigt, wie viele erschütternde Ungerechtigkeiten eine Frau im Laufe ihres Lebens ertragen muss.
Kim Jiyoung gibt schließlich, nach einem gemeinsamen Abwägen mit ihrem Mann, ihre Karriere auf, um ein Kind zu bekommen. Sie fühlt sich dabei sehr von ihrem Umfeld, vor allem ihren Schwiegereltern, gedrängt und schließlich auch sehr allein gelassen. Die große Menge an Arbeit, vom Kochen, Putzen, Wäsche waschen bis hin zum Kümmern um das Baby wird zu allem Überfluss auch noch kaum anerkannt. Ein paar Mittdreißiger machen sich über Jiyoung im Park lustig und schauen auf sie als Mutter herab. Sie meinen, das Leben als Hausfrau und Mutter sei ja sehr angenehm, die Frau würde sich auf dem Geld ihres Mannes ausruhen und hätte sonst nichts zu tun, woraufhin Jiyoung unter Tränen den Park verlässt und sich auf die Suche nach einem Nebenjob begibt.
Emotional unemotional
Nam-Joo zeigt an Kim Jiyoungs Beispiel auf, wie zermürbend das Leben einer Frau und schließlich auch das einer Mutter sein kann. Wie wahrscheinlich viele andere Frauen auf der Welt, hadert Jiyoung mit ihrem Schicksal und hätte gerne in ihrem Job weitergearbeitet. Erst unter dem gesellschaftlichen Druck von außen ließ sie sich dazu drängen, eine Familie zu gründen. In gewisser Weise wird ihre Identität dadurch fragmentiert, dass gesellschaftliche Erwartungen an die verschiedenen »Rollen« an sie als Frau gestellt werden. In jeder Rolle ist sie allerdings letztendlich struktureller Benachteiligung und Diskriminierung ausgesetzt. So lässt sich das Hineinschlüpfen in die Rollen anderer Frauen als Verzweiflungsschrei Kim Jiyoungs deuten, die all die Ungerechtigkeiten ihr gegenüber oft stillschweigend hingenommen hat.
Ihre Geschichte liest sich dabei oft wie eher wie eine Art Bericht, der in der Übersetzung von Ki-Hyang Lee stilistisch recht unemotional wirkt. Dies tut dem Mitfühlen mit der Protagonistin allerdings keinen Abbruch: Vielmehr ist jener Stil, der ohne große Metaphern auskommt und dabei recht schmucklos erscheint, Ausdruck der Gefühlswelt Kim Jiyoungs. So betrachtet sie oft recht nüchtern ihre eigenen Probleme und relativiert diese. Aufgrund des emotionalen Themas berührt die Geschichte Jiyoungs trotzdem ungemein. Sie zeigt anhand eines mahnenden Beispiels, wie tiefgreifend die Ungleichbehandlung von Frauen immer noch in unserer Gesellschaft verankert ist. Es bleibt zu hoffen, dass feministische Werke wie Kim Jiyoung, geboren 1982, weiterhin von vielen Menschen rezipiert werden und somit einen Beitrag zur Gleichberechtigung von Mann und Frau leisten können.