In Asako Yuzukis japanischem Bestseller Roman Butter geht es um die Selbstfindung einer jungen Frau, versteckte Queerness und ein Leben ohne fettfreie Gerichte. Ihre erotischen, einem Vorspiel gleichenden Rezept-Ausmalungen sind appetitanregend und fulminant übertrieben.
Von Frida Labitzke
Manako Kajii liebt Butter mit der gleichen Intensität, mit der sie Margarine und Feministinnen verabscheut. Das bläut sie in Asako Yuzukis Roman Butter der ambitionierten Journalistin Rika bei ihrem erstem Gefängnisbesuch sofort ein. Kajii, die wegen des Mordverdachts an drei Männern im Tokioter Gefängnis sitzt, hat sie ausgewählt: Rika, und nur Rika, soll das heißbegehrte Interview mit der vermeintlichen Mörderin führen. Mit ihren Kochkünsten soll Kajii die Männer erst verführt, dann ausgenommen und schließlich aus dem Weg geräumt haben. Leicht macht sie es der Journalistin nicht, die erst zahlreiche kulinarische Aufgaben bewältigen soll, bevor ihre Fragen um Kajiis Vergangenheit und ihre Leidenschaften beantwortet werden. Egal ob Butter auf Reis mit Sojasoße oder der Verzehr einer heißen Nudelsuppe nach dem Koitus in einer kalten Winternacht, Rika versucht sich an allem und findet dabei viel über ihren eigenen Körper und sich selbst heraus.
Themen wie Body Positivity, die Kritik an veralteten Schönheitsidealen in Japan und auch (unterdrückte) Queerness webt Yuzuki geschickt in ihre Geschichte ein. So ist die eher nebensächliche Figur der Sängerin Megumi wohldurchdacht angelehnt an die japanische Plus-Size-Ikone Naomi Watanabe. Sie und auch Rika, die sich in ihrem eigenen Selbstfindungsprozess befindet, setzen sich gleichermaßen für ein gesünderes Körperbild ein. Dass sie nicht der vorherrschenden Meinung in der japanischen Gesellschaft, Frauen sollten unter 50 Kilogramm wiegen, entsprechen, nutzen sie als Waffe: die eine, indem sie sich auf der Bühne zeigt, laut ist und mit ihrer schlichten Präsenz für ein diverseres Körperbild steht. Die andere, indem sie alles isst, worauf sie Lust hat und somit das Ende von Food Shaming und einen sozialen Wandel in der japanischen Gesellschaft fordert.
Asako Yuzuki
Butter
Übers. von Ursula Gräfe
Aufbau-Verlag: Berlin 2022
442 Seiten, 23,00€
Fleischige Nudeln und lustvolle Bissen: Food Porn, aber anders
Das Thema der lesbischen Liebe zieht sich wie ein roter, aber leider versteckter, Faden durch Yuzukis Werke: Egal ob die intensive Freundschaft zwischen zwei Mädchen (Honya-san no Daiana/Diana the Book Clerk), die immer intensiver werdende Beziehung einer Büroangestellten und ihrer Chefin (Ranchi no Akko-chan/Akka’s Lunches) oder die Geschichte einer Erpressung (Nairu pāchi no joshikai/Nile Perch Women’s Club), alle Geschichten sind vor allem eins: intensiv. So verwundert es nicht, dass auch in Butter zahlreiche Andeutungen und Codes eingebettet sind. Lesbische Liebe spielt sich zwischen Essensvergleichen ab; erotische Rezept- und Lebensmittelbeschreibungen dienen den Figuren als Sex-Ersatz:
Bei ihrer Suche nach der Wahrheit zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Tokio und Niigata, versucht Rika bei jeder Unterhaltung, Kajii mehr zu entlocken und findet dabei stattdessen immer mehr zu sich selbst. »Das richtige Maß« will sie für sich finden, darauf achten, was ihr Körper möchte. Schon beim ersten nach Kajiis Anleitung gekochten Gericht wird ihr klar: für sich selbst kochen und verzehren, was man will, das ist wahrer Luxus. Im Verlauf der Geschichte wird sie dabei immer weiter in Kajiis Bann gezogen, soll für sie außerhalb des Gefängnisses essen, sehen, fühlen – ein Teil von ihr werden. Die toxische, aber eindeutig sexuelle Anziehung zwischen den beiden ist spürbar. Den Gegenpart dazu bildet Rikas enge und emotional ausgeglichene Beziehung zu ihrer besten Freundin Reiko, die ebenfalls tiefergehende Gefühle vermuten lässt. Schließlich wird es mit Kajiis Frage, ob Rika verliebt in sie ist, auch konkreter, was diese aber weder bejaht noch verneint.
Yuzukis Sprache lässt sich nicht anders als würzig beschreiben. Für ihre Beschreibungen von Essen, Rezepten und Lebensmitteln benutzt sie viele aussagekräftige Adjektive, die man eigentlich in anderen Bedeutungsbereichen erwarten würde, wie zum Beispiel »goldenes Aroma«, »feucht-rosa« oder auch »inbrünstig«. Asako Yuzukis Ausdrücke sind bunt und voller Gefühl: »Wenn ich gute Butter esse, habe ich das Gefühl zu fallen. (…) Ich werde nicht hinaufgewirbelt oder in die Höhe getragen, sondern ich falle. Sacht, wie man in einem Aufzug eine Etage tiefer sinkt. Mein ganzer Körper fällt, von der Zungenspitze an.« Rikas Perspektive leitet dabei durch den Text und wird nur einmal durch die ihrer Freundin Reiko abgewechselt, was einen eher überflüssigen Einschub im Textverlauf darstellt, der später auch keine weitere Bedeutung trägt.
Lebensgefühl Butter
Butter ist in der Roman-Metaphorik nicht gleich Butter. Sie ist ein Lebensmittel, steht für zarte Haut, das schwebende Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit, für Erotik. Sie ist ein Lebensgefühl, das wird durch Yuzukis Beschreibungen deutlich. Auch Rika verliebt sich immer mehr in das streichbare Fett und mit jedem Bissen auch mehr in sich selbst und ihren Körper. Eine unverkennbare Hommage an den französischen Schriftsteller Honoré de Balzac, der das Thema von Yuzukis Abschlussarbeit an der Rikkyō-Universität war, bildet das fiktive französische Gourmetrestaurant »Balzac«, in dem zuerst Kajii und schließlich auch Rika einen begehrten, butterreichen Kochkurs absolvieren. So stecken in diesem einzigartigen Lebensmittel alle unterdrückten Hoffnungen der Protagonistin, essen und genießen zu können, was sie will. Butter ist Körperliebe.
Rika will sich aus dem »deprimierenden Gefühl, abnehmen zu müssen« befreien, das immer noch zu viele Menschen bestens kennen. Hier zeigt sich die besondere Aktualität des Textes. Der Roman bietet somit eine gute Grundlage, um die in Japan wie anderswo vorherrschenden Körperbilder zu hinterfragen. Die Kritik an einer body-shamenden Gesellschaft hätte aber durchaus noch harscher ausfallen können. Leider bleibt es bei der queeren Thematik, wie auch in Yuzukis anderen Werken, nur bei Anspielungen, was daran liegen mag, dass es in Japan weder Antidiskriminierungsgesetze noch eine rechtlich geregelte Ehe für queere Menschen gibt – die gesellschaftliche Akzeptanz also offenbar immer noch gering ist. Die Autorin greift also wohl bewusst nur auf queeres Coding zurück. Trotzdem schafft sie es, durch ihre frischen Ideen bei Essensbeschreibungen zu beeindrucken. So fällt es leicht dranzubleiben, um den nächsten Höhepunkt der Köstlichkeiten mitzuerleben.