In Biller über Biller I

Gerne hätten wir die Rubrik »Prominent ignoriert« der ZEIT eigens für die kürzlich stattgefundene Lichtenberg-Poetikvorlesung kreiert. Maxim Biller, diesjährig als Dozent geladen, schoss über das Format hinaus und ließ etliche ZuhörerInnen erstaunt zurück. Eine Bestandsaufnahme in zwei Teilen.

Von Dorothee Emsel

Bild: mit freundlicher Genehmigung vom Literarischen Zentrum Göttingen

Part One

»Skepsis« als Schreibhaltung attestiert der frisch habilitierte Kai Sina Göttingens diesjährigem Poetikdozenten in seiner Laudatio. Und das Vermögen, das »offene ästhetische Feld« und die künstlerische Freiheit mit »unerschöpflicher Kreativität« ausnutzen zu können. Applaus. Biller löst Kai Sina kokettierend ab. Er verspricht, er würde Sina sofort ein Buch abkaufen, wäre nicht er selbst der beschriebene Autor. Flapsig honoriert er zudem die Einführung; es sei sehr interessant, was der Herr Sina da über ihn gesagt habe, er könne ja alles gar nicht wiederholen, wolle dies auch nicht, kurz und knapp: Neben Juden und Deutschen, das müsse noch ergänzt werden, beschäftige ihn in gleichem Maße das Verhältnis von Mann und Frau.

Poetikvorlesung

Zum 17. Mal fand am 31.01. und 01.02.2018 in der Aula am Wilhelmsplatz die Lichtenberg-Poetikvorlesung statt. Ausgerichtet vom Literarischen Zentrum in Kooperation mit dem S. Fischer Verlag, der Stiftung Niedersachsen, dem Wallstein Verlag und der Georg-August-Universität Göttingen, hatte die diesjährige Poetik-Dozentur der Autor und Kolumnist Maxim Biller inne.

Der Ankündigungstext lud zu einem Abend ein, an dem Literatur als Balanceakt zwischen Handwerk und Genie beleuchtet werde: »Aber ist das wirklich die einzig mögliche Definition von Literatur? Als Praktiker, nicht als sich selbst erklärender und doch nur täuschender Theoretiker, nähert sich der Autor und Journalist in seinen Poetikvorlesungen dieser Frage – und antwortet literarisch, in der Sprache der Prosa.« Geantwortet auf die aufgeworfene Frage hat Biller – da kann man auch nicht wohlwollend herumnuscheln – nicht. Denn er eröffnet keine Diskurse, er philosophiert nicht, er wird nicht groß in seiner Rede. Stattdessen liest er aus seinem noch unveröffentlichten Buch (vorläufiger Werktitel: Sechs Koffer). Als fast innovativ könnte man werten, dass er das Veranstaltungsformat damit zur Lichtenberg-Lesung1Poetikvorlesungen liegt folgendes Credo zugrunde: Maßgeblich für dieses Format war die im Wintersemester 1959/60 erstmalig stattfindende Frankfurter Poetikvorlesung. Literaturinteressierte und Studierende sollen über ihre meist produktorientierte Textanalyse hinaus von Könnern und Macherinnen der Literaturszene auf das Prozessorientierte verwiesen werden, unterrichtet über poetologische Ansichten über zeitgenössische Literatur, über die Wirkung des Kreativen. Ein bisschen wie die Sendung mit der Maus: eine Komplexitätsreduktion des literarischen Kosmos. profanisiert. Biller sagt: »Wie soll ich über meine eigene Literatur reden? Das geht nicht«. Es ginge schon, seine VorgängerInnen bewiesen das, er jedenfalls besinnt sich darauf, das Darüber-Sprechen zu ersetzen durch ein Daraus-Lesen.

Der neue Roman handelt auch vom Protagonisten Maxim Biller, erzählt wird die Geschichte einer Familie, die aus dem Prag der 60er-Jahre in den Westen emigriert. Da beginnt schon die erste Schwierigkeit: Die Auszüge einer Familienchronik mit einem Handlungsrahmen beinahe epischer Bandbreite rein auditiv nachzuvollziehen ist schwierig, die Befindlichkeiten der Familienmitglieder übereinzubringen mit den sozialpolitischen Gegebenheiten der Länder und Städte, in denen sie sich befinden, und deren emotionale Verbindungen untereinander auszuloten ebenfalls. Manche Zusammenhänge werden in Briefwechseln dargestellt, Biller zitiert den Protagonisten, der sich über die geschriebenen Zeilen seiner Schwester beugt: »Wollte ich Zeile für Zeile dabei sein?« Und eben weil sich Biller so dehnend selbst ergeht in dem, was er verfasst hat, Konzentration aber größtenteils immer wieder ausfällt wie eine der Deckenleuchten im Saal, Lider sich senken, ist zu antworten: »Nein, gerade möchte ich nicht Zeile für Zeile dabei sein.« Und dabei ist Biller doch so ein guter Vorleser mit seinem unverkennbaren, herrlich fließenden Sprech-Duktus, manche Wörter schwingen leicht aus, seine tschechische Muttersprache blitzt in der Betonung durch.
Häufig macht er eine Atempause und lässt einen Satz nach unten hin abgleiten. Sprachlich formal die Ankündigung des Veranstaltungsendes, aber dann setzt er doch wieder an für den nächsten Abschnitt. Das Publikum zieht mehrmals geräuschvoll Luft durch die Zähne oder ergeht sich in einem halblaut gezogenen »Hmpf«, wenn entgegen aller Erwartung fortgefahren wird im Text. Im Buch ermutigt eine Reporterin den fiktionalisierten Biller gerade: »Nicht so schnell, Herr Biller, Sie haben noch so viel Zeit!« In den hinteren Reihen flüstert jemand (etwas zu laut): »Das hoffe ich nicht!« Ein halbes Dutzend HörerInnen verlässt während der Lesung den Saal. Der freimütige Autor reagiert zum Abschied mit einer wahrscheinlich tief empfundenen Entschuldigung: »Es tut mir leid, ich habe mich verrechnet. Es war jetzt doch länger als gedacht.«

Zusammengefasst: 1: Biller about Biller.2In der Runde des Literarischen Quartetts vom 29.04.2016 fragte auch der Literaturkritiker Uwe Wittstock: »Reden wir hier über Bücher oder reden wir über Biller?« 2: Der zu lesende Auszug wurde offenbar vorher nicht auf seine Länge überprüft, eine eventuelle Bedürfnislage des Publikums also nur bedingt austariert. 3: Konzept Poetikvorlesung verweigert. Man möchte ja fast hoffen, dass sich hinter allem ein großer poetisch-transzendentaler Plan verbarg. »Konzeptkunst funktioniert nicht«, hatte Biller eingangs noch proklamiert. Versuchte eine/r, dessen Performance etwas weniger Profanes als eine mittelmäßige Lesung abzugewinnen, wäre sie dann genau das: dysfunktionale Konzeptkunst.
Mit Spannung wird erwartet, ob er diese Haltung im Mai beibehält, wenn er in Heidelberg seine zweite Poetikvorlesung in diesem Jahr absolviert.

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