50 Shades of Braun

Was kann schon schiefgehen, wenn ein vierzehnjähriger Jude samt Mutter und jüngerem Bruder aus Israel in ein kleines Nest mitten in Sachsen-Anhalt zieht? Themen wie dieses und warum Internet-Pornographie wichtig für den Weltfrieden ist, erläutert Shahak Shapira sehr überzeugend in seiner Erstveröffentlichung.

Von Annika Gutermuth

Bild: Zarah via Pixabay / CC0 Public Domain

»Gut, Feuerwerk und Explosionen gibt´s in Israel das ganze Jahr über, aber nie so bunt und mit so wenigen Todesopfern.«
In der Silvesternacht 2015 wird Shahak Shapira in der Berliner U-Bahn angegriffen, nachdem er eine Gruppe junger Männer auffordert, die Hassgesänge gegen Juden einzustellen. Innerhalb kürzester Zeit werden die Medien auf ihn aufmerksam, und Shapira nutzt seine neu erlangte Präsenz und Stimme, um auf die verbreitete Hetze gegen Juden aufmerksam zu machen. 2016 erscheint seine autobiographische Erzählung Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen! Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde. Der Titel ist angelehnt an den weit verbreiteten Ausruf der »besorgten Bürger«: »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen«, auch wenn im Titel die allseits beliebten und obligatorisch dazugehörigen wütenden Ausrufezeichen, gepaart mit Einsen (ebenfalls wütend!!!1!11) fehlen. Das Buch beginnt in eben dieser Silvesternacht, in der sich Shapira sagt, dass er nach mehr als 12 Jahren in Deutschland nicht mehr bereit ist, diesen Antisemitismus hinzunehmen. Statt jedoch die Situation für den Lesenden aufzulösen, folgt eine Rückblende in das Jahr 2004, als Shapira mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder nach Sachsen-Anhalt zieht.

Die von der Saale abfließende Unstrut schlängelt sich zwischen üppigen Weinbergen, mittelalterliche Schlösser flüstern leise alte Geschichten, und majestätische Sonnenblumen bedecken die Felder wie ein frisch bezogenes Bett. Es ist so beschissen.

Das ländliche Sachsen-Anhalt erweist sich für Shapira nicht immer als geeignet für ein sorgenloses Heranwachsen, »[d]och das Leben ist wie Polen – da müssen wir durch«, sagt er sich und setzt sich sogar im Fußball gegen den kaminkehrenden Fußballtrainer und später ebenfalls in den Medien auftauchenden Neonazi Lutz Battke durch. Sein größtes Erlebnis sei bis heute jedoch die bestandene Führerscheinprüfung: »Ich, Shahak Shapira, ein Jude aus Israel, wurde von einem Nazi zum Führer ernannt.«

Seine Jugendzeit beschreibt er mit nahezu durchgängigem Sarkasmus. Der Ausbruch aus der ländlichen Idylle ins große Berlin soll sein Durchbruch werden, endet zunächst aber ziemlich alleine in einer zugemüllten Wohnung, die man, laut Shapira, auch als Motivationsbild für die Berliner Stadtreinigung hätte nutzen können. Doch nicht nur in das Leben des jungen Israeli bekommt der Lesende Einblick, auch in das seiner Familie: Er berichtet von den Großvätern, beide verstorben. Einer wird Opfer beim Attentat während der Olympischen Spiele 1972 in München, der andere stirbt, nachdem er den Holocaust mit all seinen Schrecken überlebt hat, Zuhause. Diese Abschnitte machen betroffen. Das Lachen über die Selbstironie des Autors verstummt bei den Erzählungen über Treblinka und die Gräueltaten der Nationalsozialisten, die sehr eindringlich geschildert werden. Shapira merkt an, dass man dieses Kapitel der Geschichte nicht ruhen lassen darf, man muss sich erinnern:

Die unzähligen Veranstaltungen, die KZ-Besuche und die riesigen Denkmäler. In Wirklichkeit ist es […] ein Privileg. Während ganz Europa immer weiter nach rechts rückt, können sich die Menschen in Deutschland fast glücklich schätzen, eine so starke, immerwährende Erinnerung daran zu haben, wozu Menschen fähig sind, wenn sie hassen.

Neben den Themen Ausländerhass, der Himmelsscheibe von Nebra (» […] ein unglaublich überbewerteter Nudelteller […]«), Hummus (welchen es bei einem verbesserten Verhältnis von Juden und Muslimen in Deutschland überall gäbe – »da gewinnen wirklich alle«), dem Berghain und dem Holocaust werden auch andere Motive und konkrete Probleme Shapiras in der neuen Wahlheimat Deutschland erläutert: Die deutsche Sprache und die Gewissheit, dass die Großväter mit der neuen Heimat nicht zufrieden wären. Auch berichtet der Autor von seinen Erfolgen oder Misserfolgen, beispielsweise bei Frauen und Tinder, Diäten oder den Ausnahmen, die man bei Gott so beantragen kann. Wie zum Beispiel seinen Wunsch, Bacon essen zu dürfen, den er als genehmigt interpretiert. Bisher sei ihm jedenfalls noch nichts geschehen.

Nur seine Zulassung als Pilot und den Durchbruch als großer DJ habe er noch nicht geschafft, aber für solche Stunden empfiehlt Shapira die wunderbare Welt der Internet-Pornographie, in welcher alle immer freundlich sind, es gäbe nur nette Kommentare, und sowieso habe die Porno-Industrie den Friedensnobelpreis verdient. Man bedenke nur mal, dass in all den Ländern, in denen eben jene hochkomplexen und hochwertigen Filme nicht frei zugänglich sind, Chaos und Gewalt an der Tagesordnung stehen. Gibt einem zu denken.

Englischsprachige Flüche und Kraftausdrücke wie »Because fuck you. That´s why.« und »Eck-arts-fucking-bergaer Straße« finden sich ab und an im Text wieder und erinnern an den amerikanischen Comedian Louis CK, den Shapira, wie er erst vor kurzem in einer Live-Schalte bei Facebook ausplauderte, zu seinen Lieblings-Comedians zählt. Seine Art zu schreiben, dieses Trockene, Sarkastische und Beobachtende wiederum, lässt sofort an Max Goldt denken.

Und wer herausfindet, ob es ein Muster bei der Streuung seines Lieblingswortes »Bulbul« (es bezeichnet in der persischen Sprache sowohl eine Vogelart, als auch das männliche Geschlechtsteil) gibt, der kann es für sich behalten und das Buch weiterempfehlen.

Tags from the story
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert