»Ich bin kein Frickler«

In den 2010er Jahren schien Lyrik beinahe ausgestorben. Zehn Jahre später ist dieser Eindruck dank Instagram und Usern wie Max Richard Leßmann mehr als hinfällig. Was es mit Gedichten macht, wenn sie von 185.000 Followern gelesen werden, verrät Max im Interview – und gibt Einblicke in seine Poesie der tiefsinnigen Textreduktion und besorgte Anrufe von Mama.

Ein Interview von Sophie-Marie Ahnefeld

Bild: Bjoern Weinbrandt

Max, du veröffentlichst Lyrik, schreibst Songs, hast einen Podcast und im letzten Jahr ist dein Roman Sylter Welle (Kiepenheuer & Witsch 2023) erschienen. Wie beschreibst du deinen Beruf selbst?

Ich sage meistens einfach nur: Ich schreibe. Das fasst es ganz gut zusammen. Dabei war der Weg dahin vielleicht ein bisschen ungewöhnlich. Ich schreibe seit ich elf oder zwölf bin, also seit mehr als 20 Jahren und seit fast sieben Jahren habe ich jeden Tag auf Instagram veröffentlicht. Die ersten zwei Jahre hat das relativ wenig Leute interessiert. Irgendwann wurden es dann mehr Follower und Klicks und im dritten Jahr hat sich der KiWi-Verlag an mich gewendet…

… der dann sowohl deinen Gedichtband Liebe in Zeiten der Follower als auch Sylter Novelle veröffentlicht hat. Wie war diese Erfahrung für dich, die eigenen Texte gedruckt und gebunden in der Hand zu haben?

Ich habe immer den großen Traum gehabt, irgendwann einen Roman beim KiWi-Verlag zu veröffentlichen. Wie viele andere Autor:innen des KiWi-Verlages sehe ich mich selbst genau an dieser Schnittstelle aus Literatur und Popkultur.

Im Roman ist die erzählende Figur ein gewisser Max. Wer ist dieser Max, Max?

Max hat viele Einflüsse von mir. Wir teilen uns Gedanken und Erlebnisse, aber Max heißt vor allem deshalb Max, weil das ein Name ist, über den ich frei verfügen kann und bei dem niemand sagen kann: »Das bin ja ich, warum benutzt du meinen Namen?« Ich habe schon viele Texte geschrieben und die Hauptfigur hieß eigentlich immer Max – wobei, ich hatte auch einmal eine, die hieß Richard.

Es gibt diese biografischen Elemente, trotzdem ist der Text ja ein Roman. Was macht ihn für dich dazu?

Eins zu eins wiederzugeben, was war, interessiert mich nicht so sehr. Viel spannender ist: Was hätte sein können, was hätten diese Personen auch sagen können? Was hätte ich vielleicht auch gerne gesagt oder getan? Man könnte sagen, ich spiele Was-Wäre-Wenn-Spielchen mit meiner eigenen Geschichte.

Du schreibst und sprichst und singst in verschiedensten Formaten. Aus welchem Impuls heraus entstehen deine Texte und weißt du vorher immer schon, ob es ein Gedicht, ein Song oder Prosa werden soll?

Am Anfang ist da meistens ein Gedanke oder ein Gefühl. Wenn ich eine Geschichte erzählen will, dann wird es ein prosaischer Text, wenn es ein Gefühl ist, dann wird es ein Songtext oder ein Gedicht. Ich habe mich für den Roman jeden Tag darangesetzt und ihn wie aus kleinen Bausteinen aufgebaut – das hat etwas mit meinem Belohnungssystem im Gehirn zu tun. Ich finde es einfach schön, wenn Dinge abgeschlossen sind. Ich bin kein Frickler. Ich schreibe wahnsinnig viel und ich habe mir dadurch ein Gefühl für Sprache erarbeitet. Bei mir geht es ganz viel um Flow, um Rhythmus, um Fluss und um Sound. Die Texte, die dann entstehen, verändern sich meistens nicht mehr stark.

Schreibst du per Hand oder am PC?

Ich schreibe fast alles am Handy.

Der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht sagte im Jahr 2013: »Nie seit der Antike wohl hat Lyrik weniger Leser gehabt als heute.« Seitdem hat ein radikaler Wandel stattgefunden. Der Lyrikband milk and honey von Rupi Kaur, die ebenfalls durch ihre Posts auf Instagram Bekanntheit erlangte, verkaufte sich beispielsweise mehr als 3,5 Millionen Mal. Wie verändert Instagram unser Verhältnis zur Lyrik?

Ich halte das für verkürzt. Jeder Songtext ist doch auch ein Gedicht und von Musik sind wir doch wirklich umgeben. Längere Texte haben es auf Insta aber tatsächlich einfach schwer, auch wegen der kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Ich sehe das aber als Herausforderung, auf die ich mich gerne einlasse und tatsächlich hatte mein Lyrikband auch sehr gute Verkaufszahlen.

Was bedeutet das dann konkret für deine Gedichte?

Ich habe auch schon Gedichte veröffentlich, die nur zwei, drei Worte haben. Ich würde meine Texte vergleichen mit den so genannten Ready-mades von Marcel Duchamp, die so funktionieren, dass alltägliche Dinge aus ihrem gewöhnlichen Kontext entfernt werden und durch eine Neukontextualisierung zu Kunst erhoben werden. Das trifft auch für Worte zu, denn je weniger Worte da sind, desto mehr muss man als Leser:in mitdenken. Sobald ich ein Gedicht veröffentlicht habe, gehört es nicht mehr mir, dann gehört es den Leuten, dann ist relevant, was sie fühlen. Je weniger ich sage, desto mehr entsteht manchmal bei den Menschen. Auch, wenn ich weiß, dass es Menschen gibt, die sich an diesem Stil stoßen und bezweifeln, ob das literarisch wertvoll sei.

Wie gehst du mit einer solchen Kritik um?

Das greift mich nicht wirklich an. Es gibt da so eine Anekdote zu Picasso, der im Restaurant von einem Gast angesprochen wird, ob er auf eine Serviette etwas malen könnte und er malt dann seine berühmte Taube und fordert eine große Summe Geld für die Zeichnung. Der Gast ist darüber erstaunt, die Zeichnung habe doch nur wenige Sekunden gedauert und Picasso antwortet: ›Ich habe viele Jahre daran gemalt.‹ So ist das für mich auch mit der Kürze der Texte. Im Hintergrund steht dabei immer alles, was ich schon gemacht habe. Reduktion ist einfach ein total interessantes Mittel.

Hast du literarische Vorbilder?

Das ist immer ein bisschen schwierig zu sagen, was genau ein Vorbild oder eine Inspiration ist. Wen ich dichterisch am meisten bewundere, sind Erich Kästner und Mascha Kaléko. Besonders gefällt mir Kästners Begriff der ›Gebrauchslyrik‹. Ich finde es wichtig, dass Texte verwendbar sind, dass man sie verstehen kann, dass sie benutzbar sind.

Diese Anwendbarkeit findet auf Instagram ja direkt statt, wo sich ein Lyrik-Post unmittelbar neben einem gesellschaftlichen Appell bezüglich psychischer Gesundheit, neben einer Story aus dem persönlichen Alltag einreiht. Bist das auf deinem Instagram-Profil alles du?

Das bin alles ich, da gibt es auch wenig doppelten Boden. Manchmal veröffentliche ich ein trauriges Gedicht und bekomme dann einen Anruf von meiner Mutter, die nachfragt, ob alles okay ist. Also mitunter veröffentliche ich einen Text auch erst später, da sage ich ihr dann, dass alles okay ist. Aber was man auf Instagram sieht, bin schon ich. Menschlichkeit, Liebe und Selbstliebe, das sind meine Werte. Meine grundsätzliche Haltung ist eine umarmende.

Hast du auch Tiktok?

Nee, ich habe keine Lust, noch auf einer anderen Plattform abzuhängen. Ich muss da auch ein bisschen auf mich selbst aufpassen.

Bild: Tim Bruening
Max Richard Leßmann hat auf Instagram 185.000 Follower und veröffentlicht dort jeden Tag ein Gedicht. Bei Kiepenheuer & Witsch sind von ihm der Gedichtband Liebe in Zeiten der Follower (2022) und der Roman Sylter Welle (2023) erschienen.

Wie sieht es denn aus mit der Vereinbarkeit von Themen wie psychischer Gesundheit und Instagram – einer Plattform, die ja eher weniger bekannt ist für einen positiven Effekt auf Psyche und Selbstwert des Individuums?

Also eines meiner Lieblingsmantras ist: Wenn man draußen schreit, dann hört einen drinnen keiner. Man muss schon an die Orte gehen, an denen es wehtut, um nachhaltig etwas zu ändern.

Liest du selbst Instapoetry von anderen?

Nein, aber ich konsumiere sowieso nicht so viel Social Media. Ich versuche, mehr zu produzieren als zu konsumieren. Ab und zu tausche ich Wrestling Memes oder Star Wars Memes mit meinem Cousin, das wars. Wenn ich auf der Suche nach Inspiration bin, schaue ich manchmal schon nach, was andere Leute so machen, aber ich entscheide mich dann trotzdem immer unabhängig davon, was ich selbst für Inhalte schaffen möchte. Ich würde insgesamt schon allen Menschen dazu raten, so wenig Social Media wie möglich zu konsumieren, sondern selbst zu produzieren. Oder wie man im HipHop sagt: Never get high on your own supply.

Aber Produzierende brauchen doch Konsumierende…

Ja, aber es gibt ja genug Leute, die nicht produzieren. Also es gibt ja auch Leute, die ins Kino gehen und keine Schauspieler:innen sein möchten. Ich sehe aber unseren Umgang mit Social Media allgemein durchaus kritisch und glaube, dass wir da alle ein bisschen auf uns aufpassen müssen.

Was dürfen wir denn in Zukunft von dir erwarten? Gibt es vielleicht auch noch ganz andere Ausdrucksformen, die du ausprobieren möchtest?

Gerade arbeite ich an meinem zweiten Roman, zu dem ich aber noch nicht viel verraten möchte. Grundsätzlich kann ich mir auch vorstellen, irgendwann im filmischen Bereich zu arbeiten, beispielsweise Drehbücher zu schreiben.

Auf Instagram hast du dir die Challenge gestellt, dieses Jahr 100 Glücksmomente zu sammeln. Wie viele hast du schon?

Ich glaube, ich habe bestimmt schon über 100, da ist nur die Frage: Will man alles mitfilmen, will man vielleicht nicht manchmal auch in dem Moment sein? Ich habe jetzt schon 20 Videos circa gesammelt. Das ist für mich aber vor allem ein Versuch, mich selbst an die schönen Momente zu erinnern, so eine Art Erinnerungskühlschrank. Sodass man sich das angucken kann in dunklen Momenten: Guck mal, das war ganz schön schön.

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